Am 26. November eröffnet der Gropius Bau die erste große Ausstellung Zanele Muholis in Deutschland. Muholi ist nicht-binär und verwendet im Englischen die Pronomen they/them. Als visuelle*r Aktivist*in wurde Muholi in den frühen 2000er Jahren mit Fotografien bekannt, die Geschichten von Schwarzen lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, trans* und inter* Menschen in Südafrika und darüber hinaus erzählen.
Die Ausstellung im Gropius Bau zeigt bis zum 13. März 2022 die ganze Bandbreite von Muholis Schaffen und versammelt mehr als 200 Fotografien: von der ersten Werkreihe Only Half the Picture bis zur aktuellen Serie Somnyama Ngonyama. Muholis Arbeiten befassen sich mit Sexualpolitik, rassistischer Gewalt, kommunalem Widerstand und Selbstbehauptung – und sind zugleich ein Akt der Sichtbarmachung, der Ermächtigung und des sozialen Aktivismus, der Stereotypen und den heteronormativen Blick in Frage stellt.
In den 1990er Jahren durchlief Südafrika einen tiefgreifenden sozialen und politischen Wandel. Die Post-Apartheid-Verfassung des Landes aus dem Jahr 1996 war die erste weltweit, die Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung verbot; trotzdem ist die LGBTQIA+-Community auch heute noch Gewalt und Verfolgung ausgesetzt. In der frühen Serie Only Half the Picture fängt Muholi die Komplexität von Erfahrungen innerhalb der queeren Community ein: Momente der Liebe und Intimität stehen neben Bildern, die auf intensive, traumatische Ereignisse im Leben der Porträtierten eingehen. Anhand von Fotografien und zusätzlichen Dokumentationen unterstreicht die Ausstellung auch Muholis wichtige Rolle als Aktivist*in und Organisator*in: Muholi engagiert sich in kollektiven Initiativen sowie in der Medienarbeit und inspiriert jüngere Generationen zu einem Weg des Widerstands und der Hartnäckigkeit.
Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius Bau: „Muholis Arbeit ist ein wichtiger Teil des Programms des Gropius Bau, das sich auf Ausdrucksformen von Fürsorge und Heilung, diversen künstlerischen Gemeinschaften und sozio-politischem Wandel gründet. Muholis Arbeit zeigt, wie Heilung, Empathie und Empowerment trotz kollektiver Traumata wirken können und wie Fotografie zugleich ein Mittel der Reparatur und des Aktivismus sein kann. Vor dem Hintergrund des Wandels in Post-Apartheid-Südafrika und der anhaltenden Diskriminierung der LGBTQIA+-Community feiert Muholi Schwarzes und queeres Leben.“
Ein Kernstück der Ausstellung ist Muholis visuelles Archiv von Porträts, Faces and Phases, ein Hauptwerk, das Schwarze Lesben, trans* und gender-nonkonforme Personen würdigt und feiert. Alle Teilnehmenden blicken direkt in die Kamera und fordern die Betrachtenden auf, diesen Blick zu halten, während Dokumente individuelle Geschichten einfangen oder an Verstorbene erinnern. Über 500 Fotografien und Zeugnisse bilden so ein lebendiges und wachsendes Archiv dieser Community in Südafrika und darüber hinaus.
Die Ausstellung umfasst außerdem weitere wichtige Serien: Brave Beauties zeigt nicht-binäre Menschen und trans* Frauen, von denen viele Miss Gay-Schönheitswettbewerbe gewonnen haben. Being ist eine Reihe von zärtlichen Bildern von Paaren, in denen die gleichgeschlechtliche Liebe bejaht und gleichzeitig vorherrschende Stereotype und Tabus in Frage gestellt werden. Fotografien wie Melissa Mbambo, Durban versuchen ebenfalls, öffentliche Räume für Schwarze und queere Communitys zurückzuerobern, wie zum Beispiel einen Strand in Durban, an dem während der Apartheid die sogenannte „Rassentrennung“ herrschte. In jeder dieser Serien erzählt Muholi sowohl kollektive als auch individuelle Geschichten von gemeinsamen Erfolgen, Verwandtschaftlichkeit und Trauer. Die Bilder stellen vorgefasste Vorstellungen von Abweichung und Opferrollen in Frage und ermutigen die Betrachter, sich mit den eigenen Trugschlüssen auseinanderzusetzen und ein gemeinsames Gefühl von Verständnis und Solidarität zu schaffen.
2012 begann Muholi mit der berühmten Serie dramatischer Selbstporträts unter dem Titel Somnyama Ngonyama („Hail the Dark Lioness“ auf isiZulu), in denen Muholi verschiedene Posen, Charaktere und Archetypen annimmt, um Fragen nach race und Repräsentation zu verhandeln. Von Schwämmen und Latexhandschuhen bis hin zu Gummireifen und Kabelbindern – alltägliche Materialien werden in politisch aufgeladene Requisiten und Kostüme verwandelt. Die daraus resultierenden Bilder erforschen Themen wie Arbeit, Rassismus, Eurozentrismus sowie Sexualpolitik und kommentieren oft Ereignisse in der Geschichte Südafrikas sowie Muholis Erfahrungen als Schwarze, queere Person aus Südafrika auf Reisen im Ausland. Durch die Verstärkung des Kontrasts in den Fotografien betont Muholi auch die eigene Hautfarbe und zeigt stolz die Schönheit des Schwarzseins, während gleichzeitig auf rassistische Stigmata, Paradoxien der Unsichtbarkeit und Hypervisibilität eingegangen wird.
Mit der Ausstellung von Zanele Muholi setzt der Gropius Bau seine Tradition fort, Ausstellungen bedeutender Fotografen des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart zu zeigen, darunter Akinbode Akinbiyi im Jahr 2020, Lee Miller, Berenice Abbott, Robert Doisneau und Thomas Struth im Jahr 2016 sowie Diane Arbus im Jahr 2012.
Zanele Muholi wird kuratiert von Natasha Ginwala (assoziierte Kuratorin, Gropius Bau), Yasufumi Nakamori (Kurator für internationale Kunst (Fotografie), Tate Modern) und Sarah Allen (ehemalige Kuratorische Assistenz, Tate Modern).
https://www.tate.org.uk/whats-on/tate-modern/exhibition/zanele-muholi