Das Museum der bildenden Künste Leipzig (MdbK) zeigt bis zum 22. August 2021mit „Andreas Gursky“ die erste institutionelle Einzelausstellung des international erfolgreichen Fotokünstlers in seiner Geburtsstadt.
Seit den 1980er Jahren ist Andreas Gursky (*1955) wesentlich an der Erschließung neuer Ausdrucksformen in der künstlerischen Fotografie beteiligt. Durch den Einsatz von Farbe, die extremen Großformate, die Erschließung neuer ästhetischer Möglichkeiten der Digitalfotografie und die beständige kritische Reflexion über die Bedingungen der Produktion und Rezeption fotografischer Bilder prägt er den Diskurs der zeitgenössischen Fotografie bis heute nachhaltig.
Im MdbK kann Andreas Gurskys Schaffen nun in einer persönlichen Auswahl des Künstlers anhand von rund 60 Fotografien nachvollzogen werden. Neben bekannten Hauptwerken wie „Ruhrtal“ (1989), „Paris, Montparnasse“ (1993) oder „99 Cent“ (1999) sind auch neue Arbeiten aus dem Jahr 2020 zu sehen, die noch nie in einem musealen Zusammenhang ausgestellt waren, darunter „Bauhaus“ und „Kreuzfahrt“. Die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und die Sparkasse Leipzig, beide langjährige Partner des MdbK, haben das Museum auf dem Weg zur Realisierung begleitet und durch ihre Unterstützung die Ausstellung möglich gemacht.
Andreas Gurskys Bilder werden oft durch spontane visuelle Eindrücke ausgelöst, bevor der Künstler sie in einem langen, kreativen Prozess ausarbeitet. Seine Motive erscheinen vertraut: Massenveranstaltungen, Arbeitswelt, Freizeit, Massentierhaltung, die internationalen Schauplätze des Konsums und der Finanzwirtschaft sowie ganz allgemein das komplexe Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt.
Gurskys Werke wirken auf den ersten Blick dokumentarisch. Doch bei näherer Betrachtung vereint der Künstler in ein und demselben Werk verschiedene Zeitebenen sowie Nah- und Fernsicht mit außergewöhnlicher Tiefenschärfe. Er stellt die Sehgewohnheiten auf die Probe und irritiert. Seine Arbeiten sind komplexe Re-Konstruktionen der Wirklichkeit, getragen von einem umfassenden Blick auf unsere Welt mit zeitgeschichtlicher Relevanz.
Die umfangreiche Werkpräsentation von Andreas Gursky im MdbK umfasst mehr als 35 Jahre seines künstlerischen Schaffens, Zeugnisse einer konsequenten Weiterentwicklung der künstlerischen Fotografie. Bereits während seines Studiums in den 1980er Jahren entdeckte der Fotograf sein Interesse an komplexen, groß dimensionierten Strukturen, anfangs in der Landschaft, später vor allem in der zeitgenössischen Architektur. In den Analogfotografien „Klausenpass“ (1984) und „Salerno“ (1990) werden die Wanderer im Hochgebirge zu kleinen, beinahe abstrakten Formen und die zu verladenden Autos und Container in der süditalienischen Hafenstadt zu faszinierenden Mustern. Die Individualität des Ortes und der Menschen tritt zu Gunsten grafischer Strukturen in den Hintergrund. Mit den Mitteln der Digitalfotografie verstärkte Andreas Gursky diese Effekte und begann zunehmend, seine eigene Bilderwelt zu konstruieren. Für „Paris, Montparnasse“ (1993), eines seiner frühen digitalen Werke, kombinierte er zwei Aufnahmen ein und desselben Gebäudes zu einem einzigen monumentalen Bild. Mit dem aus zahllosen Fotografien einzelner Waren zusammengesetzten „Amazon“ (2016) trieb er dieses Prinzip auf die Spitze.
Neben diesen an Details geradezu überquellenden Bildern stehen auf wenige Elemente wie Himmel, Baukörper, Straße oder Feld reduzierte Bildräume, die an Werke der abstrakten Farbfeldmalerei erinnern. In den Fotografien „Rhein III“ (2018) und „Bauhaus“ (2020) konzentriert sich der Künstler auf grafische Strukturen und Farbflächen, die zum eigentlichen Gegenstand der Bilder werden, ohne dass der Bezug zur äußeren Realität gänzlich verloren ginge.
Andreas Gursky wurde 1955 in Leipzig in eine Fotografenfamilie geboren. Sein Großvater Hans Gursky (1890–1960) führte in Taucha ein eigenes Porträtatelier und einen Postkartenverlag. Sein Vater Willy Gursky (1921–2016) studierte unter anderem an der Leipziger Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe, der heutigen HGB, und betrieb von 1948 bis 1955 ein Atelier am Dittrichring. 1955 floh er in die Bundesrepublik, seine Frau Rosemarie und sein Sohn Andreas folgten ihm kurz darauf nach. Dieser familiäre Hintergrund wird in der Ausstellung thematisiert. Es sind Dokumente und Fotografien seines Vaters und Großvaters zu sehen. Trotz der familiären Tradition war es für Andreas Gursky keine Selbstverständlichkeit, Fotografie zu studieren. Entscheidend war vielmehr sein Entschluss, das Medium als künstlerische Ausdruckform zu denken, der ihn an die Kunsthochschule Essen und schließlich 1980 an die Düsseldorfer Kunstakademie in die Klasse von Bernd Becher (1931–2007) führte. 1987 schloss er dort sein Studium als Meisterschüler ab. Das gemeinschaftliche fotografische Schaffen von Bernd und Hilla Becher prägte Andreas Gursky durch den sachlichen, objektivierenden Blick und die Offenheit gegenüber zeitgenössischen Strömungen der bildenden Kunst.
Bereits im Sommer 2017 fanden erste Gespräche über eine große Ausstellung im MdbK statt. Andreas Gursky war vom ersten Moment an von der zeitgenössischen Architektur fasziniert und hat das Museum seitdem mehrmals zur Vorbereitung besucht. Insbesondere die Vielfalt und Großzügigkeit der wohlproportionierten Räume nahm er als inspirierende Einladung wahr. Daher ist seine Werkpräsentation im dritten Obergeschoss des MdbK auf einer Fläche von rund 1.500 qm zu sehen.
Aus Anlass der Ausstellung erscheint das Künstlerbuch „–2020. Andreas Gursky“*. Bewusst wählt der Künstler nicht die Form eines klassischen Katalogs, sondern lädt vielmehr zu einer Entdeckungsreise durch seinen Bilderkosmos ein. Neben ikonischen Werken und bisher unveröffentlichten Fotografien werden auch private Snapshots gezeigt, Momentaufnahmen, festgehalten meist mit dem Smartphone, die viel über Gurskys Vorgehensweise verraten. Zudem erzählen Arbeiten seines Vaters und Großvaters von der langen Fototradition der Familie und stellen Bezüge zu Leipzig her. Ausgewählte Zitate aus Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ verweben die einzelnen Ebenen.
Für die Ausstellung können online über die MdbK-Homepage oder unter Tel. 0341 / 21699954 Zeitfenster reserviert werden. Aktuell ist die Reservierung pandemiebedingt verpflichtend, ebenso das Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes. Die Besuchendenzahl ist beschränkt.
*„2020. Andreas Gursky“, Künstlerbuch hrsg. von Andreas Gursky, 188 Seiten, 57 Bildtafeln, Hardcover mit Leineneinband, 30 x 26,3 cm, ISBN 978-3-00-066711-4, eine Publikation von Andreas Gursky, 1. Edition 03/2021, 5.000 Exemplare, 89 €.