Am 13. Februar 2020 eröffnet die Ausstellung „Birgit Kleber augen l blicke“ im Erdgeschoss des Museum für Fotografie, organisiert von der Helmut Newton Stiftung und der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin.
Die Liste der von Birgit Kleber porträtierten Schauspieler und Schauspielerinnen liest sich wie ein Who’s who der nationalen und internationalen Filmszene – von Udo Kier über Diane Kruger und Franka Potente bis Willem Dafoe. Darüber hinaus entstanden und entstehen in dieser systematischen Bildserie Porträts von Regisseuren, Produzenten oder Drehbuchschreibern, denn Kleber hat über 20 Jahre lang deutsche und internationale Filmstars auf der Berlinale fotografiert, zunächst für den Berliner Tagesspiegel, später im eigenen Auftrag. Über 300 Fotografien von Birgit Kleber sind inzwischen Bestandteil der Sammlung des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt, dort gab es Anfang 2019 eine erste Ausstellung dieser Porträts, und nun – ein Jahr später, anlässlich des 70. Geburtstags der Berlinale – begegnen uns mehrere Dutzend dieser intensiven „Augenblicke“ auch im Berliner Museum für Fotografie, dicht an dicht, in Petersburger Hängung, Farbe neben Schwarz-Weiß, Mann neben Frau, alt neben jung. Die enge Präsentation der ausdrucksstarken Köpfe, in drei unregelmäßigen Tableaus angeordnet, verführt zu einem vergleichenden Sehen. Die Inkjet Prints, gedruckt auf mattem Hahnemühle-Papier und kaschiert auf Alu Dibond, werden stets unverglast präsentiert und so jede Reflexion vermieden. Der Betrachter spiegelt sich insofern nicht im Glas des Bilderrahmens und begegnet dem oder der Dargestellten unmittelbarer. Dies wird dadurch unterstützt, dass die meisten Köpfe in Lebensgröße vor uns erscheinen.
Es ist eine etwas sonderbare Körperhaltung, die sich die Fotografin für ihr Gegenüber ausgedacht hat, leicht angespannt, sitzend und stark nach vorn gebeugt. Birgit Kleber kommt dem Menschen sprichwörtlich nahe und lässt jedem und jeder Einzelnen, trotz der nahezu identischen und nivellierenden Versuchsanordnung, seine oder ihre Individualität. Das sorgsam vorbereitete, konzentrierte Shooting, also die Augen-Blicke durch und in die Kamera, dauert meist nicht länger als fünf Minuten, stets bei natürlichem Licht, in der Berlinale-Lounge, Hotelzimmern und teilweise etwas abseitigen Räumen. Es ist ein Prozess, der mit einem authentischen Porträt endet, das einen „in die Magengrube trifft“, wie es Birgit Kleber nennt, eine Formulierung ihrer geschätzten Kollegin Berenice Abbott zitierend. Und so können wir auch der Berliner Fotografin ein großes Kommunikationstalent und eine erstaunliche psychologische Einfühlungsgabe konstatieren, ansonsten wäre eine solche Intensität im Ausdruck der unterschiedlichen Künstlercharaktere, eingefangen in nur wenigen Minuten, wohl unmöglich.
Viele Schauspieler und Schauspielerinnen – wie auch andere im Rampenlicht stehende Prominente – sind mitunter etwas eitel. Sie nutzen die Kameralinse, auch für statische Aufnahmen, häufig als eine Art Spiegel. Ein Fotograf oder eine Fotografin muss – jenseits des bloßen Dokumentierens – etwas Besonderes erschaffen, um dem allgemein- gültigen und bekannten Bild der Leinwandstars ein möglichst klischeefreies, neues und ungewöhnliches Abbild hinzuzufügen. Birgit Kleber gelingt dies immer wieder neu. Sie dokumentiert, wie wir hier sehen, nicht allein das Aussehen der Prominenten, sondern fängt deren Ausstrahlung, ja Aura ein. Der wortlose Dialog, der gelegentlich zu solch außergewöhnlichen Porträts führt, scheint auf einer Art Seelenverwandtschaft zu fußen. Ihren Blick für und auf die Menschen konzentriert sie meist auf deren Gesichter, besonders die Augen, die ja gemeinhin als Spiegel der Seele gelten. Und wenn ein individuelles Einzelporträt nicht möglich ist, fasst sie sie im engen Bildausschnitt auch als Brust- oder Dreiviertelporträt, dann meist am Rande der Berlinale-Pressekonferenzen. Die Porträtierten schauen neugierig, offen und direkt zurück in ihre Kamera, natürliches Selbstbewusstsein ersetzt in dieser Bildsequenz die Pose, was relativ selten bleibt im Filmbusiness. Wir spüren in den Aufnahmen eine gewisse Vertrautheit, letztlich schwanken sie zwischen Distanz und Nähe. Klebers Bildnisse werden zu visuellen Kommentaren, zu subtilen Interpretationen der Dargestellten. Jedes ihrer Porträts erzählt eine komplexe Geschichte, und die Menschen werden uns in dieser Ausstellung zugleich als private und als öffentliche Person vorgeführt, mit unterschiedlichen emotionalen Facetten gleichzeitig, jeweils innerhalb eines Bildes. Und wenn Monika Bellucci auf einer Fotografie, die etwas separiert auf einer der Ausstellungswände hängt und auch das Cover des begleitenden Katalog ziert, die Augen schließt, entspannen sich nicht nur ihre Mundwinkel, sondern es öffnet sich für uns auch ein ganz anderes Assoziationsfeld zwischen Kontemplation und Tagtraum, was dem Medium Film ja geradezu eingeschrieben ist.
Die inhaltliche Nähe von Birgit Kleber zum Werk von Helmut Newton und Alice Springs ist evident, haben doch alle drei teilweise die diesselben Menschen vor der Kamera gehabt, etwa Charlotte Rampling, Volker Schlöndorff, Barbara Sukowa, Wim Wenders oder Monika Bellucci – und alle sind zu individuellen und gleichberechtigten Bildergebnissen gekommen. Gute Porträts können in der Rezeption augen- und bewusstseinsöffnend sein, und auch in Birgit Klebers visuellen Personenschilderungen begegnet uns eine jeweils unnachahmliche Verbindung aus Selbstbewusstsein und Verletzlichkeit, jenseits einer schauspielerischen Selbstrepräsentation.
Fotos: Copyright Birgit Kleber