Am 29. November 2019 eröffnet in der Berliner Helmut Newton Stiftung die Ausstellung „Body Performance“ mit Werken von Vanessa Beecroft, Yang Fudong, Inez & Vinoodh, Jürgen Klauke, Robert Longo, Robert Mapplethorpe, Helmut Newton, Barbara Probst, Viviane Sassen, Cindy Sherman, Bernd Uhlig und Erwin Wurm.
Performance ist eine eigenständige Kunstform, und die Fotografie ist ihr ständiger Begleiter. In dieser Gruppenausstellung werden erstmals Fotosequenzen vereint, deren Ursprung in Performances, in Tanz- und Bühnengeschehen liegt, ergänzt durch eine paraphrasierte Street Photography und konzeptionelle Bildserien. Stets steht der Mensch und sein Körper im Mittelpunkt, und der Fotograf oder die Fotografin hat die jeweilige Aktion dokumentiert oder interpretiert, häufig auch initiiert. Die enge Verbindung zwischen Performance, Happening und Aktionskunst mit der Fotografie besteht bereits seit vielen Jahrzehnten und reicht von den Dadaisten und Surrealisten über die Wiener Aktionisten bis zu den aktuellen Körperinszenierungen im öffentlichen Raum eines Spencer Tunick. Mit den Werken der dreizehn international renommierten Künstler*innen entsteht in den Ausstellungsräumen der Helmut Newton Stiftung eine multiple Bühne, auf der wir unterschiedlich agierende, fotografierte Menschen sehen, die in parallele, tagtraumartige Realitätsebenen zu rutschen scheinen.
Eine für das Werk von Helmut Newton relativ unbekannt gebliebene Serie, die seit den 1980er-Jahren in Monte Carlo entstand, sind die Aufnahmen des dortigen Balletts. Statt auf einer klassischen Bühne fotografierte er die Tänzer und Tänzerinnen auf den Straßen Monacos, den Treppenstufen hinter dem berühmten Casino, nahe eines Notausgangs im Theatergebäude oder nackt bei sich zuhause. So deklinierte er auch mit den Akteuren des „Ballet de Monte Carlo“ eine Kompositionsidee durch, die unnachahmlich für sein Werk steht: „Naked and Dressed“ – und thematisiert erneut das Wechselverhältnis von Exhibitionismus und Voyeurismus.
Dieses begegnet uns ebenfalls bei Bernd Uhlig und seinen Interpretationen der Choreografien von Sasha Waltz, die er seit vielen Jahren begleitet. Für die Tanzfotografie ist die Figur-Raum-Komposition ein entscheidender formaler Aspekt, doch die Dokumentation des Bühnengeschehens bleibt stets auch Interpretation; im Fall von Bernd Uhlig und Sasha Waltz findet die visuelle Materialisierung einer genuin flüchtigen Kunstform eine geradezu kongeniale Verbindung. Mal zeigt er uns nahansichtige, gleichsam eingefrorene Gesten, mal das gesamte Bühnengeschehen im Sekundenbruchteil. So spielen in Uhligs Aufnahmen, wie in Waltzs Inszenierungen, Architektur und die Sinnlichkeit des Körpers abwechselnd die Hauptrolle.
Die italienische Künstlerin Vanessa Beecroft stellt in ihren großangelegten Performances nackte oder bekleidete Frauen auf und aus, was einer Tanztheaterinszenierung nicht unähnlich ist. Dies geschieht meist in Galerien und Museen, und häufig sind es öffentliche Veranstaltungen. Die Frauen sitzen dort an langen Tischen oder bilden stehend eine Formation, sie bewegen sich während der stundenlangen Aktionen nur im Zeitlupen-Tempo, während Beecroft diese „bewegte Bewegungslosigkeit“ fotografisch dokumentiert. Die Performance und ihr Bild sind letztlich gleichberechtigt im Werk. In ihrer legendären Performance „VB55“ in der Berliner Nationalgalerie hat sie im Jahr 2005 einige Dutzend Frauen in transparenten Nylonstrumpfhosen aufstellen lassen; sie waren bekleidet und doch nackt, was Helmut Newtons Bildidee „Naked and Dressed“ interessant paraphrasiert.
Jürgen Klauke hat in seiner lebensgroßen „Viva España“-Serie (1976/1979) dagegen nur zwei Menschen interagieren lassen; einen Mann und eine Frau, die auf einer dunklen Bühne einen sonderbaren Tanz aufführen. Von beiden Protagonisten sehen wir nur die Körper: der Mann steht, die Frau wirbelt kopfüber gleichsam um ihn herum. Die sukzessive Betrachtung der mehrteiligen Sequenz führt allerdings zur Illusion einer Bewegung zurück. Klauke lässt die bekleideten bzw. halbbekleideten Körper von Mann und Frau gleichsam verschmelzen, ähnlich wie er es zeitgleich in zahlreichen Travestie-Selbstporträts, das Weibliche und Männliche nivellierend, realisiert hat.
Erwin Wurm geht einen absurd-humoristischen Schritt weiter, wenn er Menschen um eine Miniperformance vor der Kamera bittet, die nur eine Minute dauert. Die Mitspieler verwandeln die Straße, Innenräume oder eine Erwin Wurm-Ausstellung mit entsprechenden interaktiven Objekten zu einer Bühne für die „One Minute Sculptures“. Es sind mal kuriose, mal alberne Verrenkungen und Verdrehungen, die Wurm sich für die Besucher ausdenkt, die für einen kurzen Zeitraum selbst zu einem Kunstwerk werden. Nicht immer gelingen die Versuche, auf schmalen Flächen zu liegen, seinen Kopf in eine Kiste zu stecken oder zwei Tassen auf dem Rücken liegend auf den ausgestreckten Beinen zu balancieren.
Viviane Sassen begeistert seit Jahren die Modefotowelt. Auch sie arbeitet in erster Linie mit dem menschlichen Körper, etwa indem sie ihn aufs Äußerste für eine Aufnahme verdreht. Die Modelle werden von ihr eigenwillig choreographiert und inszeniert, beispielsweise farbig bemalt, verschattet, gespiegelt, durch Gegenstände überlagert und zumeist in fotografischen An- und Ausschnitten entindividualisiert, eine Methode, die wir aus dem Surrealismus kennen. Gelegentlich kehrt sie sogar das allgemein gültige statische Gefüge von oben und unten um, was zu einer gewissen Orientierungslosigkeit in der Rezeption führt.
Irritationen begegnen uns ebenfalls bei Cindy Sherman, und zwar bereits in der frühen kleinformatigen Schwarz-Weiß-Serie „Untitled Film Stills“, in der sie Ende der 1970er-Jahre wie eine Schauspielerin in immer neue Rollen zu schlüpfen scheint. Mal steht die junge Frau im Bad und betrachtet sich im Spiegel, mal schaut sie, auf einer niedrigen Fensterbank sitzend, aus dem Fenster einer Wohnung. Auf anderen Bildern taucht sie im urbanen Raum auf; es scheinen unspektakuläre Alltagsbeobachtungen zu sein, die jedoch bewusst inszeniert sind, mit sich selbst als Akteurin. Die Idee des Rollenspiels setzt sie später fort, wobei sie sich in den farbigen, unbetitelten Selbstporträts aus dem Jahr 2000 auch schon mal hinter dicken Schminkschichten und Perücken, Masken oder Brustprothesen versteckt. Im Spiel mit Veränderung, Camouflage und Repräsentanz zitiert Sherman natürlich auch das Medium Film.
Barbara Probst hingegen überrascht mit einer unvergleichlichen, spielerisch-experimentellen Mischung aus klassischer Straßenfotografie, Porträt, Stillleben und neuerdings auch Mode. Ihre Aufnahmen arrangiert sie zu Diptychen, Triptychen und gelegentlich zu wandfüllenden Tableaus bestehend aus einem Dutzend Einzelbildern in Schwarzweiss und Farbe; sie tragen stets den gleichen Titel, „Exposures“, zusätzlich individualisiert mit einer Bildnummer, dem Aufnahmeort und dem auf die Minute genauen Datum. Denn sie fotografiert die gleiche Situation mit mehreren Kameras aus unterschiedlichen Blickwinkeln zeitgleich, sekundengenau ausgelöst mit Radiowellen.
Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin irritieren – als Fotografenpaar Inez & Vinoodh – seit den 1990er-Jahren die Modebildwelt mit irrealen Körperbildern, etwa durch Bildmanipulationen entstandene Verschmelzungen von realen Menschen und Puppen oder von Männern und Frauen. So erweitern Inez & Vinoodh nicht nur gängige Darstellungsmodi von Editorial und Werbung, sondern sogar die Grenzen der Realität; einzelne Personen werden beispielsweise digital aus einem Bild eliminiert, und zurück bleibt eine entsprechende Fehlstelle, oder die Geschlechter und Hautfarben ihrer Protagonist*innen sind radikal verändert.
Yang Fudongs Schwarz-Weiß-Fotografie ist inspiriert vom französischen Film noir und den noch früheren Shanghai-Filmen, also aus einer Zeit, als die chinesische Hafenstadt noch sehr vom Westen inspiriert war. Mit seinen melancholischen Aktaufnahmen scheint er eine zeitlose Vergangenheit zu beschwören; auch in seinen eigenen Filmen begegnet uns eine vergleichbar reduzierte und rätselhafte Narration. Nacktheit so offen zu zeigen, gilt in großen Teilen der chinesischen Gesellschaft noch immer als provokant. In der Serie „New Women“ sitzen oder stehen einzelne oder mehrere nackte Frauen in einer spärlich und zugleich luxuriös ausgestatteten Studio-Bühne. Die Fotografien wirken wie Standbilder des eigenen, parallel entstandenen Videofilms.
Robert Longo realisierte seine Fotosequenz „Men in the Cities“ Ende der 1970er-Jahre auf dem Dach seines Lofts an der Manhattan Bridge in New York. Wir sehen Menschen in unnatürlichen Posen, deren Bewegungen fotografisch eingefroren sind; es könnten wilde Tänze sein oder Zitate aus amerikanischen Western, aus Kriegs- oder Gangsterfilmen, etwa wenn einer der Protagonisten im Kugelhagel stirbt. Tatsächlich war es ein solcher Filmstill aus Fassbinders „Der amerikanische Soldat“ (1970), der Longo zu dieser performativen Bildserie inspirierte. Seine Modelle wichen schwingenden oder geworfenen Gegenständen aus, während Longo sie fotografierte.
Robert Mapplethorpe wiederum choreographierte 1980 nur eine Person – die ehemalige Bodybuilding-Weltmeisterin Lisa Lyon, die sich selbst als Bildhauerin des eigenen Körpers bezeichnete – im Körperanschnitt auf einem Felsen im kalifornischen Joshua-Tree-Nationalpark liegend. Mapplethorpe zeigt uns in diesem ungewöhnlichen Freiluft-Setting eine Art Ballett-Choreographie und hinterfragt gleichzeitig Klischees stereotyper Weiblichkeit. Newton fotografierte Lyon etwa zeitgleich und war ebenso fasziniert von ihrem muskulösen Körper. Mit dieser im wahrsten Wortsinn starken Frau schließt sich in der Ausstellung „Body Performance“ ein Kreis.
So sehen wir in der Helmut Newton Stiftung die unterschiedlichsten Ansätze und Ausprägungen für künstlerische Aktionen und Körper-Performances: Menschen tragen Kleidung für ungewöhnlich inszenierte Modebilder, sie agieren vermeintlich irrational auf Straßen und Hochhausdächern oder bewegen sich minimalistisch auf Felsen und in Museumsräumen, schließlich als Tänzer und Tänzerinnen auf und neben der Bühne. In der Ausstellung begegnen uns Rollenspiele und Grenzüberschreitungen des Körperlichen – zeitgenössische fotografische Blicke auf die verschiedensten visuellen Aspekte zu Körper und Raum, Tanz und Bewegung. Und so geraten in unserer Rezeption auch Fragen von Fremd- und Selbstwahrnehmung, von Identität und Emotion in den Blick.
Eröffnung: Freitag, 29. November 2019, 20 Uhr
Laufzeit: 30. November 2019 – 10. Mai 2020