In einer umfassenden Retrospektive zeigt das Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) erstmals einen Überblick über das Schaffen der Fotografin Madame d‘Ora (1881-1963) und nimmt eine Neubewertung ihres Werkes mit besonderem Schwerpunkt auf dem Nachkriegswerk vor.
Wer sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Madame d‘Ora porträtieren lässt, verleiht seiner Person einen Hauch französischer Eleganz. Von 1910 bis in die 1930er Jahre inszeniert Madame d’Ora die Wiener und Pariser Gesellschaft und die Künstlerbohème. Sie fotografiert Schriftsteller wie Arthur Schnitzler, die russische Primaballerina Anna Pawlowa, die skandalumwitterte Nackttänzerin Anita Berber, Josephine Baker und Größen der Modewelt wie Coco Chanel und Madame Agnès. Die Bilder aus dem Atelier d’Ora spiegeln den Anspruch der Abgelichteten auf einen Platz in der Welt der schönen, gebildeten und berühmten Menschen. Durch die äußerst erfolgreiche Kooperation mit Bild- und Zeitschriftenagenturen erreicht Madame d’Ora eine breite Öffentlichkeit. Ihre Porträts und Modefotografien zeigen den Übergang von aristokratischen Idealen zu einem Bild von der „neuen Frau“, welches von der Welt des Theaters und Films geprägt ist, die sich in einer sich rasant entwickelnden Zeitschriftenkultur verbreitet. Während des nationalsozialistischen Regimes verschlechtert sich die Auftragslage der jüdischen Fotografin zunehmend. 1942 flüchtet sie vor der Deportation in ein Bergdorf in der Ardèche. Zurück in Paris nimmt sie 1945 die Porträtfotografie wieder auf. Doch das Unfassbare hinterlässt Spuren: Madame d’Ora wendet sich den Opfern der Gesellschaft und des Krieges zu und fotografiert in österreichischen Flücht¬lingslagern und Pariser Schlachthäusern.
Madame d’Ora (1881-1963) wird als Tochter eines Wiener Hofgerichtsadvokaten in eine wohlhabende jüdische Familie mit dem bürgerlichen Namen Dora Philippine Kalmus hineingeboren. Nach ihrer Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien absolviert sie bei dem Fotografen Nicola Perscheid in Berlin ihre Lehrzeit. 1907 eröffnet sie mit ihrem Geschäftspartner Arthur Benda (1885-1969) ein eigenes Atelier in ihrer Heimatstadt Wien. Von 1921 bis 1926 unterhält sie ein Sommer-Atelier im Kurort Karlsbad und eröffnet 1925 ein Studio in Paris. 1926/27 trennen sich ihre und Bendas Wege. D’Ora siedelt nach Paris über und führt nur das dortige Studio weiter. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Paris 1940 muss sie fliehen und hält sich in Südfrankreich versteckt. 1959 findet ihre Laufbahn nach einem Unfall ein abruptes Ende, 1963 stirbt sie im Alter von 82 Jahren in Frohnleiten in der Steiermark.
Die Ausstellung wurde gemeinsam mit dem Photoinstitut Bonartes, Wien, entwickelt. Sie wird im Anschluss im Leopold Museum, Wien (13.7. – 29.10.2018) und in der Neuen Galerie Museum for German and Austrian Art, New York, gezeigt. Die Kuratorinnen der Ausstellung in Hamburg sind Esther Ruelfs und Cathrin Hauswald (MKG), für das Leopold Museum Monika Faber und Magdalena Vuković (Photoinstitut Bonartes).
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog Hg. von Monika Faber, Esther Ruelfs undMagdalena Vuković, mit Beiträgen u.a. von Andrea Amort, Christian Brandstätter, Monika Faber, Jean-Marc Dreyfus, Cathrin Hauswald, Sylvie Lécallier, Peter Schreiner, Esther Ruelfs, Aenne Soell, Katharina Sykora, Magdalena Vuković u.a., 355 Seiten, Brandstätter Verlag, Buchhandelsausgabe 49,90 Euro, Museumsausgabe 39,90 Euro.
Bild oben: Madame d‘Ora (1881-1963) Josephine Baker, 1928 Silbergelatineabzug 19,4 x 16 cm © Nachlass d’Ora/Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Bild links: Madame d‘Ora (1881-1963) Comtesse Heléne Costa de Beauregard, 1953 Silbergelatineabzug 25,7 x 22,9 cm © Nachlass d’Ora/Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Bild rechts: Madame d‘Ora (1881-1963) Marquis George de Cuevas mit Schafsköpfen 1956/57 aus der Schlachthof-Serie Silbergelatineabzug, 30,2 x 20,8 cm © Nachlass d’Ora/Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg