Unter dem Titel „Fotografien werden Bilder“ stellt das Frankfurter Städel Museum rund 200 Fotografien von Volker Döhne, Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Tata Ronkholz, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Thomas Struth und Petra Wunderlich, alles Schüler der legendären Becher-Klasse, vor.
Die Ausstellung geht der Frage nach, welchen Einfluss Bernd und Hilla Becher auf ihre Studentinnen und Studenten an der Düsseldorfer Kunstakademie ausübten. Was eint bzw. trennt die Arbeiten der Schülerinnen und Schüler von ihren Lehrern? Gibt es überhaupt so etwas wie eine Becher-Schule oder hat man es ‚nur’ mit einer Gruppe sehr erfolgreicher Fotografinnen und Fotografen zu tun, die in einem besonders günstigen historischen Moment am ‚richtigen Ort’ studiert haben? Die Ausstellung nimmt das Werk des Künstlerpaares Bernd und Hilla Becher als Ausgangspunkt, um die radikale Veränderung im Umgang mit dem Medium der Fotografie und ihre kunsthistorische Tragweite bis in unsere Gegenwart aufzuzeigen. Zu sehen sind großformatige Hauptwerke sowie zentrale Frühwerke der wohl einflussreichsten deutschen Fotografengeneration.
Die Studentinnen und Studenten der ersten von vielen aufeinanderfolgenden Becher-Klassen an der Düsseldorfer Kunstakademie haben die Kunst unserer Gegenwart in Bezug auf ihre ästhetischen, medialen und ökonomischen Rahmenbedingungen verändert.
„Die ersten – inzwischen weltbekannten – Schülerinnen und Schüler von Bernd und Hilla Becher haben einen ganz maßgeblichen Anteil an der Etablierung der Fotografie als gleichberechtigter künstlerischer Ausdrucksform. Die neun in unserer Ausstellung präsentierten Künstlerinnen und Künstler bewegen sich im Unschärfebereich von Malerei und Fotografie und entsprechen mit dieser bewussten Durchlässigkeit der Gattungsgrenzen einem zentralen Schwerpunkt der Sammlung Gegenwartskunst im Städel Museum“, unterstreicht Städel Direktor Dr. Philipp Demandt. „Was mit der Lehre Bernd und Hilla Bechers angestoßen und von ihren Schülerinnen und Schülern weiterentwickelt wurde, ist ein neuer Bildbegriff, in dem sich mediale wie ästhetische Grenzziehungen zwischen Skulptur, Malerei und Fotografie auflösen. In dem historischen Moment also, in dem sich die Fotografie als eigenständiges Medium emanzipierte, läutete sie zugleich ihr eigenes Ende ein“, ergänzt Dr. Martin Engler, Kurator der Ausstellung.
Als maßgeblicher Impuls für die veränderte Wahrnehmung des Mediums der Fotografie kann die Begründung des Lehrstuhls für künstlerische Fotografie 1976 an der Düsseldorfer Kunstakademie gesehen werden. Diesen hatte Bernd Becher in enger Zusammenarbeit mit seiner Frau Hilla Becher bis 1996 inne. Noch vor der Berufung an die Düsseldorfer Akademie hatten Bernd und Hilla Becher mit ihrer Fotografie historischer Industriearchitektur wichtige Werke geschaffen: Fördertürme, Hochöfen, Gasbehälter oder Wassertürme wurden mit bestechender Tiefenschärfe zentralperspektivisch in frontaler Ansicht und bevorzugt vor einheitlich grauem Himmel aufgenommen. Die Einzelbilder gruppierten die Bechers im Raster zu großformatigen Tableaus – den Typologien.
Die Studentinnen und Studenten der ersten Stunde haben sich insbesondere in ihrem Frühwerk intensiv mit den künstlerischen Strategien ihrer Lehrer befasst, um diese mit Beginn der 1990er-Jahre sehr eigenständig und in unverwechselbaren Stilausprägungen weiterzuverfolgen. „Fotografien werden Bilder“ konzentriert sich bewusst auf die Studentinnen und Studenten der frühen Jahre der Becher-Klasse, die 1976 mit Höfer, Döhne, Hütte und Struth beginnen und mit dem Abschluss des Studiums von Gursky und Sasse, 1987/1988 enden.
Candida Höfer (*1944) ist vor allem durch ihre Aufnahmen von öffentlichen Innenräumen wie Bibliotheken, Universitäten, Museen oder Wartesälen bekannt.
Die Vorgehensweise von Thomas Struth (*1954) erinnert an die seiner Lehrer, jedoch hat er seinen Motivkanon erweitert. In seinem Werk beschäftigt er sich mit kulturellen Strukturen, bildet neben Straßen auch Museen oder religiöse Kultstätten ab und porträtiert Familien.
Die schwarz-weißen Bildreihen von Petra Wunderlich (*1954) bilden Kirchen oder Steinbrüche ausschnitthaft ab. Diese überführt sie in ein neues, abstrahiertes Kompositionsgefüge.
Die Werkgruppen Volker Döhnes (*1953) stehen konzeptuell wie motivisch den Typologien Bernd und Hilla Bechers sehr nahe: Er entwickelte Serien wie Kleineisenindustrie oder Kleine Eisenbahnbrücken und Unterführungen im Bergischen und Märkischen Land.
Tata Ronkholz’ (1940–1997) fotografisches Hauptinteresse galt Fabriktoren, Schaufenstern oder Trinkhallen und Imbissen, die sie stets bildmittig und bei gleichmäßigem Tageslicht aufnahm.
In besonderer Weise und in immer wieder neuen Formulierungen ist auch Thomas Ruff (*1958) der seriellen Methodik seiner Lehrer verpflichtet. Seine Porträtaufnahmen sowie die zum Teil aus gefundenem Material entstandenen und stark vergrößerten Nachtaufnahmen verdeutlichen seine grundlegend skeptische Haltung gegenüber dem Wahrheits- und Dokumentationsanspruch von Fotografie.
Axel Hüttes (*1951) frühe Architekturausschnitte befragen soziale Situationen mittels einer von Distanz und Anonymität bestimmten fotografischen Bildgestaltung. Er widmet sich dabei zersiedelten Landschaften ebenso wie vermeintlich unberührter Natur.
Jörg Sasse (*1962) widmete sich in seinem Frühwerk hochartifiziellen und zugleich prosaischen Arrangements kleinbürgerlicher Wohnkultur.
Auch Andreas Gurskys (*1955) frühe Fotografien sind vom unvermittelten Interesse an der alltäglichen Umgebung geprägt – im privaten wie im öffentlichen Raum, im Arbeits- wie im Freizeitkontext. Die Entwicklung der Becher-Klasse zeigt, wie der sich öffnende Werkbegriff der
Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag ein Katalog mit 256 Seiten und ca. 178 Abbildungen, mit einem Vorwort von Philipp Demandt, Essays von Alexander Alberro, Jana Baumann,
Martin Engler und Steffen Siegel sowie Texten von Lukas Engert, Iris Hasler, Markus Kramer und Kristin Schrader. Deutsche Ausgabe, 34,90 Euro (Museumsausgabe).
Die Ausstellung läuft vom 27. April bis 13. August 2017
Bild ganz oben: Thomas Struth (*1954)
The Consolandi Family, Mailand, 1996 (2014)
Chromogener Farbabzug, 178 x 214,2 cm
Art Collection Deutsche Börse
Deutsche Börse Photography Foundation
© Thomas Struth
Bild oben links: Bernd (1931–2007) und Hilla Becher (1934–2015)
Fachwerkhäuser, 1959-61 / 1974
Silbergelatine-Abzug auf Barytpapier, 152,4 x 112,5 cm
Sammlung Deutsche Bank
© Estate Bernd & Hilla Becher
Bild oben Mitte: Andreas Gursky (*1955)
Pförtner, Passkontrolle, 1982 (2007)
Tintenstrahldruck, 43,2 x 52,5 cm
Leihgabe des Künstlers / Courtesy Sprüth Magers
© Andreas Gursky; VG Bild-Kunst, Bonn 2017 Courtesy Sprüth Magers