Nur wenige Fotografen sind mit einem einzigen Bild berühmt geworden. „Le Baiser de l’Hôtel de Ville“ von Robert Doisneau (1912–1994)ist ein solches Bild. „Meine Fotos gefallen den Leuten, weil sie darin wiedererkennen, was sie sehen würden, wenn sie aufhören würden sich abzuhetzen. Wenn sie sich Zeit nehmen würden, um die Stadt zu genießen…“, so Robert Doisneau. Der Fotograf hat sein berühmtestes Motiv im März 1950 vor einem Pariser Straßencafé in der Rue de Rivoli auf- genommen. Das Bild des sich küssenden Paares war eine Auftragsarbeit des Magazins LIFE. Obgleich Doisneau dabei dem Zufall auf die Sprünge half, enthält es eine ganze Geschichte: Es wurde zum Sinnbild von Paris als „Stadt der Liebe“.
Doisneaus Werk umfasst rund 350.000 Fotografien, darunter Aufnahmen, die professionelles Handwerk sind, und solche, die die Kraft und Ausstrahlung eines künstlerischen Solitärs haben. Als Bildjournalist war er für Magazine wie Vogue, Paris Match, Le Point und LIFE tätig. Ein Großteil seiner Bilder entsteht in der Mitte des letzten Jahrhunderts bei Streifzügen durch die französische Metropole.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählt Paris zu den führenden Kunstmetropolen der Welt und ist Anziehungspunkt für Künstler aller Nationen. Das dortige Leben ist ein ideales Umfeld, um es in Momentaufnahmen festzuhalten. Künstler wie Henri Cartier-Bresson, Brassaï, André Kertész, Martin Munkácsi, Germaine Krull und Robert Doisneau nutzen die technischen Errungenschaften einer Kamera mit kurzer Belichtungszeit und kultivieren die Fotografie des Augenblicks. Sie rücken den Menschen in den Mittelpunkt und machen parallel zum Trend – das zunehmende Eindringen des öffentlichen Lebens in die Privatsphäre – das Private, Intime und Persönliche visuell öffentlich.
Doisneau wurde 1912 in dem kleinen Ort Gentilly, im Südwesten von Paris geboren. 1928 schließt er sein Studium an der Ecole Estienne in Paris mit einem Diplom für Lithografie und Gravur ab. 1931 arbeitet er zunächst als Assistent des Fotografen und Herausgebers der „Encyclopédie pho- tographique de l’art“, André Vigneau (1882–1968), von 1934 bis 1939 als Werkfotograf beim Automobilhersteller Renault. Er beendet die Tätigkeit bei Renault, um bei der renommierten Agentur Rapho als selbständiger Bildjournalist zu arbeiten. Während des Zweiten Weltkrieges dokumentiert er den Alltag im besetzten und später befreiten Paris. Er wollte seine Arbeiten als Ermutigung zum Leben verstanden wissen.
Bis heute steht Robert Doisneau für das, was „humanistische Fo- tografie“ genannt wird: eine Fotografie, die sich den Menschen in ihrem Alltag zuwendet. Es sind die überraschenden Augenblicke des Pariser Großstadtalltags, die ihn zu einem wichtigen Chronisten des 20. Jahrhunderts werden lassen.
Die Ausstellung gibt mit rund 100 ausgewählten Arbeiten einen Einblick in Doisneaus Werk. Sie zeigt seine Faszination für das Normale, Kleinbürgerliche und für das Melancholische, Zerbrechliche. „Robert Doisneau – Fotografien Vom Handwerk zur Kunst“ läuft vom 9. Dezember 2016 – 5. März 2017 im Berliner Martin-Gropius-Bau.
Bild oben: Robert Doisneau Le Baiser de L`’Hôtel de Ville, Paris 1950 © Atelier Robert Doisneau, 2016
Bild links: Robert Doisneau Les 20 ans de Josette, 1947 © Atelier Robert Doisneau, 2016