Leonard Freed sagte einmal über Kontatkbögen: „Kontaktbögen sind Geldverschwendung. Weil sie Geldverschwendung sind, liebe ich sie.“
Der entscheidende Augenblick – in der Fotografie ist dieser alles bestimmend. Er ist eine Synthese aus Wissen, Sensibilität, Technik, Form, Zufall und purer Intuition. Wenn all diese Elemente zusammentreffen, entstehen so starke, einzigartige Bilder, dass sie über das Alltägliche hinausgehen und etwas vom Wesen des Lebens enthüllen. Was jedoch ist ausschlaggebend dafür, dass bestimmte Fotografien zu Ikonen werden und sich ins kollektive Gedächtnis brennen? Was geschah kurz vorher, was folgte im Anschluss? Der Kontaktbogen dokumentiert weit mehr als die Entstehung des entscheidenden Moments. Er gibt einen intimen Einblick in den Arbeitsprozess des Fotografierens. Seine Bildsequenzen zeichnen die Spur einer Bewegung durch den Raum nach und zeugen zugleich vom Anspruch der Fotografie auf eine transparente Darstellung der Wirklichkeit.
Gleichzeitig ist die Veröffentlichung dieses Rohmaterials ein absoluter Tabubruch. Denn die Publikation dieses Mediums ist meist nicht vorgesehen und bleibt als Zwischenprodukt im geschützten Raum des Ateliers oder der Fotowerkstatt. Der Kontaktbogen ist in erster Linie das Logbuch des Fotografen, eine Entscheidungshilfe bei der Auswahl und der Index von späteren Negativarchiven. Gleichzeitig ist er jedoch mehr als ein künstlerisches Skizzenbuch; er zeigt die misslungenen Schritte auf dem Weg zum Endprodukt mit all seinen Irrtümern, Fehltritten, Sackgassen – und glücklichen Fügungen. Hier ist jede Drehung und Wendung, jede Entscheidung verzeichnet. Mit dieser totalen Transparenz und Entblößung seiner Arbeitsmethode macht sich der Fotograf angreifbar. Er riskiert, die Aura des Einzelbildes zu brechen und den kreativen Prozess zu entzaubern. So entsteht auch beim Betrachten des Kontaktbogens die Faszination, einerseits unmittelbar am Geschehen teilzunehmen und dem Fotografen über die Schulter zu sehen, andererseits damit etwas Verbotenes zu tun – wie in ein fremdes Tagebuch oder einen fremden Kleiderschrank zu blicken.
Umso mutiger ist daher der seltene Einblick, den die legendäre Foto-agentur Magnum mit dieser Ausstellung gewährt. Sie umfasst aus sieben Jahrzehnten über 100 Kontaktbögen der renommiertesten Fotografen weltweit – von Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Chim, Werner Bischof, George Rodger und Elliott Erwitt, über Inge Morath, René Burri, Eve Arnold, Leonard Freed, Thomas Hoepker, Josef Koudelka und Gilles Peress bis hin zu Martine Franck, Martin Parr, Jim Goldberg, Trent Parke, Jonas Bendiksen, Bruno Barbey, Paolo Pellegrin und Alec Soth. In chronologischer Reihenfolge zeigt die Ausstellung leidenschaftlich engagierte Reportagen aller Couleur.
Foto: Marc Riboud, Eiffel Tower, Paris, France, 1953 © Magnum Photos