Oliver Blohm ist für sein Fotoprojekt GENDER_BINARY mit dem New Talent Award 19/2 – powered by Canon – ausgezeichnet worden. In ebenso analytischen wie ästhetischen Close-Ups von Geschlechtsorganen sucht der Fotograf die Auseinandersetzung mit angeborenen und gefühlten Geschlechterrollen.
ProfiFoto: Oliver, wie kam es zu Deinem Projekt GENDER_BINARY? Welches Konzept steckt dahinter?
Oliver Blohm: Ich war schon immer neugierig, was es bedeutet, Mensch zu sein, aber als ich vor etwa acht Jahren nach Berlin kam, begann für mich eine bewusstere Auseinandersetzung mit dem Thema, von Sexualität und körperlicher Anziehungskraft, bis hin zur emotionalen und intellektuellen Bindung. Ich lernte viele neue Menschen und verschiedene Perspektiven auf die Wahrnehmung des Körpers kennen, sowie unterschiedliche Ausprägungen von Sexualität und sexueller Orientierung.
Mich frustrierten die Klischees, die die Menschen über Geschlechterstereotypen hatten, und begann mich zu fragen, warum das Geschlecht so viel Macht in unserer Gesellschaft hat. Auch wenn es meiner Meinung nach keine Rolle spielt, oder besser gesagt, überhaupt keine Rolle spielen sollte. Mein Gefühl ist, dass es keinen Unterschied macht, welche Hautfarbe oder welches Geschlecht jemand hat. Mit diesem Projekt möchte ich die Auseinandersetzung mit dem in der Gesellschaft manifestierten Verständnis der Geschlechter anregen – und die Frage stellen, wie wir beginnen können, Grenzen abzubauen und zu lernen, einander respektvoll zu akzeptieren.
ProfiFoto: Die Frage nach den Geschlechterrollen reduziert sich in Deinen Bildern auf die Geschlechtsorgane … Warum konzentriert sich das Projekt auf Genitalien, und warum sind die Fotos mit 50×60 cm so großformatig?
Oliver Blohm: In der deutschen Sprache steht das Wort “Geschlecht” neben seiner eigentlichen Bedeutung auch als Bezeichnung für Genitalien. Das hat mich auf die Idee gebracht, das ganze Thema genau darauf zu reduzieren.
Es gibt zwei Gründe, warum ich mich für das Format und die Technik entschieden habe. Zum einen ist die Wahl der 20×24 Polaroid Kamera dem einmaligen Charakter der analogen Aufnahmen mit deren einmaligen Artefakten geschuldet. So, wie die Fotografierten einmalige Individuen sind, sind auch die Bilder Unikate. Der zweite Grund ist die Größe des Aufnahmeformats, denn so hatte ich das Gefühl, zum Kern der Sache vordringen zu können. Ich wollte dem Betrachter eine ungewohnte Perspektive durch das überdimensionale Format bieten und ihn so mit Fragen zu konfrontieren. Wenn du einen Penis siehst: Was bedeutet das? Bedeutet das, dass dieser Typ Autos mögen oder Macho sein muss? Wenn du eine Vagina siehst: Bedeutet das, dass sie kochen muss, oder dass sie für die Betreuung von Kindern verantwortlich ist? Und was passiert, wenn ich etwas sehe, das künstlich ist, weil es vorher nicht von Natur aus da war, weil jemand das Gefühl hatte, dass das natürliche Geschlecht nicht das richtige ist? Hetero? Schwul? Trans? Es geht immer nur um das Geschlecht, aber das sollte so nicht sein.
ProfiFoto: Was war für Dich persönlich das Besondere bei der Umsetzung Deines Projekts?
Oliver Blohm: Ich habe während dessen viele Menschen getroffen: Heteros, Transgender-Leute, Homosexuelle. Und ich habe über viele verschiedene, sehr private Dinge gesprochen. Ich bemerkte, dass es immer Gemeinsamkeiten und Verbindungen gab – am Ende des Tages sind wir alle nur Menschen. Ich hatte das Glück, viele Geschichten kennengelernt und auf viele offene Fragen über Geschlecht, Sexualität und was die Menschen über dieses Thema denken, Antworten bekommen zu haben. Als das letzte Bild gemacht war, hatte ich das Gefühl, dass es noch so viel mehr zu entdecken gibt. Ich habe unbekanntes Terrain betreten und werde das Thema in irgendeiner Form weiter vertiefen.
Zur Person
Oliver Blohm, geboren 1987 in Schwerin, fotografiert – obwohl er der Generation der Digital Natives angehört – ausschließlich analog, allem voran mit Sofortbildverfahren. Seit 2018 ist er der Operator einer der zwei weltweit noch aktiven Polaroid 20×24 Kamera, deren großformatige Bilder die besondere Ästhetik entfalten, die so typisch für Sofortbildmaterial ist. „Sofortbildfotografien sind das perfekte Bindeglied zwischen der schnellen Verfügbarkeit digitaler Bilder und dem haptisch erfahrbaren Unikatcharakter analoger Fotos“, so Oliver Blohm, der gerne experimentiert und seine Polaroids zuweilen in der Mikrowelle entwickelt, um so den Prozess und das Ergebnis zu beeinflussen.