Chinesische Objektiv-Marken bieten seit einigen Jahren preiswerte Alternativen zu den etablierten Objektiv-Herstellern. Für ProfiFoto gibt der chinesische Fachjournalist Lu Yantao einen umfassenden Überblick über die Entwicklung chinesischer Fotoobjektive im letzten Jahrzehnt.
China ist zum weltweit größten Markt für Fotokameras geworden. Allein 2024 wuchs der Kameramarkt in China um weitere 25 Prozent und übertrifft mittlerweile das Marktvolumen von Nord- und Südamerika sowie Europa zusammengenommen. Gleichzeitig findet die chinesische Objektivindustrie inzwischen international in der Fotofachwelt große Beachtung.
Der chinesische Markt
Historisch ist diese Entwicklung vor allem dem Wirtschaftswachstum und der industriellen Entwicklung Chinas in den letzten Jahrzehnten geschuldet, die bekanntlich die Kaufkraft der chinesischen Verbraucher erhöht hat. Die einst unerschwingliche Fotoausrüstung ist längst auch für normale Haushalte zugänglich geworden.
Technologisch hat sich der Digitalkameramarkt in den letzten zehn Jahren von Spiegelreflexkameras auf spiegellose Kameras verlagert, wodurch die rasante Entwicklung chinesischer Wechselobjektive vorangetrieben wurde.
Ohne ein chinesisches Äquivalent zum japanischen Fotoindustrie-Verband CIPA (Camera & Imaging Products Association) sind offizielle Verkaufszahlen für chinesische Objektive schwer zu ermitteln. Doch während weltweit laut CIPA zwischen 2017 bis 2023 rund 1,7 verkaufte Objektive pro Systemkamera verkauft wurden, ist das Verhältnis von japanischen Kameras zu Objektiven in China seit 2021 stark gesunken und lag mit 1:1,38 im Jahr 2023 weit unter dem globalen Durchschnitt. Diese Lücke füllen im chinesischen Binnenmarkt einheimische Objektivhersteller, so dass allein dort rund 420.000 Stück verkauft worden sein könnten, wobei diese Zahl den Markt für gebrauchte Kameras und Objeketive nicht berücksichtigt.
Optik Knowhow
Während der Ursprung der chinesichen Optikindustrie in der Entwicklung von Brillengläsern lag, markierte im Fotomarkt das Jahr 2008 einen Wendepunkt, als Panasonic mit der Lumix G1 die weltweit erste digitale spiegellose Kamera vorstellte. Spiegellose Kameras unterscheiden sich von DSLR-Kameras bekanntlich nicht nur durch den Wegfall des optischen Suchers, des Spiegels und spezieller Autofokus-/Messmodule, wodurch sich der Fokus auf drei Kernkomponenten Objektive, Sensoren und Bildprozessoren verlagerte. Durch den Wegfall des Spiegels ermöglichen spiegellose Kameras unter anderem auch ein kürzeres Auflagenmaß zwischen Objektiv und Sensor, was eine Neukonstruktion der Objektive erforderlich machte. Dieser Wandel hat die Wettbewerbslandschaft durcheinandergebracht und Marken wie Sony, Panasonic und Fujifilm begünstigt, die weniger Rücksicht auf ehedem bestehende Objektivsysteme nehmen mussten. Fujifilm brachte 2012 die APS-C Kamera X-Pro 1 auf den Markt, Sony 2013 die Vollformatkamera Alpha 7, und Fujifilm 2016 die Mittelformatkamera GFX 50S. Selbst die Branchenriesen Canon und Nikon wandten sich 2018 schließlich ebenfalls der spiegellosen Technologie zu und brachten neue Vollformatmodelle auf den Markt.
In der Anfangsphase der Entwicklung spiegelloser Kameras, als die Auswahl an nativen Objektiven noch begrenzt war, griffen Fotografen häufig auf Adapter zurück, um ihre DSLR-Objektive an den spiegellosen Kameras weiter nutzen zu können. Diese Nachfrage belebte den Nischenmarkt für Kameraadapter neu.
Manuelle Adapter gab es schon für analoge Kameras, um unterschiedliche Auflagenmaße auszugleichen. Obwohl solche Adapter eine Präzisionsbearbeitung erfordern, sind sie auch für kleine Hersteller mit CNC-Maschinen machbar. Die eigentliche Herausforderung liegt in den Autofokus-Adaptern, die eine Dekodierung und Verarbeitung der Autofokus-Protokolle zwischen Kameragehäuse und Objektiv erfordern.
Trotz dieser Herausforderungen florierten chinesische Adapterhersteller während des spiegellosen Booms und sammelten Fachwissen über AF-Protokolle von Canon EF, Nikon F/Z, Sony E, Panasonic L und Fujifilm GFX/XF Objektiven. Heute können Canon EF-DSLR-Objektive mit Autofokus an Gehäusen von Canon, Nikon, Sony, Fujifilm, Panasonic, Sigma, Olympus und Leica über entsprechende Adapter verwendet werden. Innovationen wie Autofokus-Adapter mit eingebauten AF-Motoren, mit denen manuelle Objektive auf Sony- oder Nikon-Gehäusen automatisch fokussieren können, zeugen von chinesischem Erfindungsreichtum.
Der Techart Sony FE-auf-Nikon Z-Adapter beweist Chinas technisches Können in den Bereichen Miniaturisierung und Elektronik. Zu den führenden Adaptermarken gehören außerdem Viltrox, Yongnuo, Meike, Techart, Fringer und Megadap. Den chinesischen Objektivmarken brachte die Entwicklung von Adaptern nicht nur Einnahmen, sondern auch technische Erfahrung mit Autofokus-Systemen und legte damit den Grundstein für zukünftige Objektivinnovationen.
Optik-Industrie
Für die Herstellung von Objektiven von grundlegender Bedeutung ist bekanntlich hochwertiges optisches Glas. Deutsche und japanische Unternehmen wie Schott, Hoya, AGC und Ohara haben diesen Markt lange Zeit dominiert, doch Chengdu Guangming, ein 1956 gegründeter chinesischer Hersteller von optischem Glas, hat sich längst zu einem globalen Konkurrenten entwickelt.
Chengdu Guangming produzierte 1958 Chinas erstes industrielles optisches Glas und bietet heute mehr als 240 Arten an, darunter High-End- und Spezialgläser, die mit japanischen Produkten zu niedrigeren Preisen vergleichbar sind. Japanische Kameramarken verwenden das Glas von Chengdu Guangming in ihren Objektiven, auch in den Spitzenmodellen. Mit einem Weltmarktanteil von 40 % ist Chengdu Guangming zu einem der führenden Hersteller von optischem Glas geworden.
Auch andere chinesische Hersteller tragen zur Lieferkette für optisches Glas bei, indem sie sich auf Anwendungen wie LiDAR, Kfz-Beleuchtung und Laserfernsehen spezialisieren, um Kosten zu senken und Einnahmequellen zu erschließen.
Eine weitere, wichtige Rolle für die Entwicklung von Objektiven spielt die Revolution des computergestützten optischen Designs. Bevor es Simulationssoftware gab, beruhte das Optikdesign auf der manuellen Optimierung bestehender Patente, Prototypentests und iterativen Anpassungen auf der Grundlage von MTF-Kurven (Modulation Transfer Function). Dieser Prozess war zeitaufwändig und kostspielig und schränkte Chinas frühe Beteiligung am Objektivdesign ein.
Die Fortschritte in der Computertechnologie haben das Optikdesign in den letzten zehn Jahren jedoch verändert und von erfahrungsbasierten zu simulationsbasierten Ansätzen geführt. Software-Tools wie Ansys Zemax, OSLO und CODE V ermöglichen es Designern, Objektive digital zu modellieren, die Leistung über verschiedene Brennweiten hinweg zu simulieren und Messgrößen wie MTF, Aberrationen und Verzeichnung zu testen. Diese Demokratisierung des Entwicklungsprozesses hat es China ermöglicht, in kürzester Zeit Fachwissen zu sammeln und vom Reverse-Engineering abgelaufener Patente zur Entwicklung von hochspezialisierten Neuentwicklungen überzugehen.
Sogar Enthusiasten können mit Hilfe moderner Konstruktionssoftware klassische Objektivkonstruktionen analysieren, reproduzieren und verbessern, wodurch diverse Mythen über als legendär geltende, ältere Objektivkonstruktionen entkräftet wurden.
Noch vor zwei Jahrzehnten hatten chinesische Optikdesigner, die Kameraobjektive entwickeln wollten, keine andere Wahl, als für japanische Unternehmen zu arbeiten. Viele von ihnen kehrten zwischenzeitlich in ihre Heimat zurück, wobei Chinas Rolle auf dem breiteren Markt für optische Linsen über die Fotografie hinausgeht. Im Jahr 2022 wurden weltweit mehr als sieben Milliarden optische Linsen ausgeliefert, von denen 3,911 Milliarden Stück (über 50 % Marktanteil) aus China kamen. Die Smartphone-Industrie treibt einen Großteil dieser Nachfrage an, wobei das chinesische Unternehmen Sunny Optical allein jährlich 1,192 Milliarden Objektive herstellt. Unternehmen wie Phoenix Optical, einst eine chinesische Kameramarke, haben ihre Produktion komplett auf Industrieobjektive umgestellt und expandierten weltweit mit Tochtergesellschaften in Japan und Europa.
Die Bedeutung von Bildgebungstechnologie für die Smartphone-Industrie hat außerdem zu Innovationen in der Optik geführt, einschließlich Freiformlinsen und Beschichtungen wie ALC und SWC von Vivo.
Markenvielfalt
Das Zusammenspiel von qualifizierten Designern, hochwertigen Materialien, einer ausgereiften Lieferkette, leicht zugänglichen Designwerkzeugen und Autofokus-Know-how hat demnach in Verbindung mit dem Übergang zu spiegellosen Kameras ein günstiges Umfeld für die Entwicklung chinesischer Kameraobjektive geschaffen. Zu den frühen Pionieren gehörten Zubehörmarken, die in die Objektivproduktion expandierten.
Relativ neu sind Autofokus-Objektive aus China, wo es inzwischen elf Anbieter gibt, von denen rund die Hälfte erst zwischen Ende 2023 und Mitte 2024 entsprechende Produkte auf den Markt gebracht haben.
Yongnuo, eine in Europa noch wenig bekannte Marke, wurde 2006 als Blitzgerätehersteller gegründet und schrieb 2014 mit dem 50mm F1.8 Autofokusobjektiv Geschichte. Nachdem sich Yongnuo zunächst auf das Kopieren abgelaufener Patente verlassen hatte, hat sich das Unternehmen inzwischen dem Originaldesign zugewandt. Das 50mm F1,8 für spiegellose Systeme, das vom Sony FE 55mm F1,8 ZA inspiriert ist, wurde für seine optische Qualität gelobt. Zu den jüngsten Innovationen gehören das M4/3-Zoom 12-35mm F2.8-4M und die Objektive der „Commander“-Serie.
Wesentlich präsenter ist Viltrox. Bei uns bekannt wurde die Marke mit ihren Autofokus-Adaptern. Seit 2018 trat Viltrox mit dem AF 85mm F1.8 FE in den Objektivmarkt ein. Zu den bemerkenswerten Produkten gehören die „drei Musketiere“ für APS-C Kameras (23mm, 33mm, 56mm F1,4) und die Pro-Serie mit dem 75mm F1,2 und 27mm F1,2, die zum halben Preis der japanischen Gegenstücke zu haben sind. Das Ultraweitwinkelobjektiv 16 mm F1,8 hat sich bei preisbewussten Landschaftsfotografen durchgesetzt.
Meike produzierte urspränglich Kamerazubehör und brachte 2018 das 85mm F1,8 DSLR-Objektiv auf den Markt, bevor man sich auch dort auf Objektive für spiegellose Kameras verlegte. Das 2023 vorgestellte 85mm F1,4 Vollformat-Objektiv ist das erste einer ganzen Reihe geplanter F1,4-Objektive.
Andere chinesische Marken wie Laowa, Sirui, 7Artisans und Brightin Star traten 2023 ebenfalls in den Autofokus-Markt ein, während Neueinsteiger wie Ulanzi und SG-image hinzugekommen sind.
Wesentlich umfangreicher ist zur Zeit noch das Angebot manuell fokussierbarer Objektive aus China, allen voran die für den Leica M-Mount, die dank Autofokus-Adaptern für Sony, Nikon und andere spiegellose Kameras kompatibel sind.
Als erster Anbieter brachte Zhong Yi Optics 2014 das Speedmaster 50mm F0,95 auf den Markt und positionierte es als kostengünstige Alternative zum Leica Noctilux-M 50mm F0,95.
Auch das 2016 gegründete Unternehmen 7Artisans konzentriert sich auf preisgünstige spiegellose und M-Mount-Objektive. Ihre Produkte, die auf optimierten, abgelaufenen Patenten basieren, sind zu Preisen erhältlich, die bis zu 90 Prozent unter dem Preislevel der Originalobjektive liegen. Zu den bemerkenswerten Neuerscheinungen gehören das 28mm F1.4, 75mm F1.25 und 35mm F1.4.
Thypoch, eine Tochtergesellschaft von DZOFilm, richtet sich mit Retro-Objektiven mit M-Mount-Anschluss wie dem Simera 28mm F1.4 und dem Eureka 50mm F2 ebenfalls an Leica-Nutzer und verbindet klassisches Design mit modernen Optiken.
Chinesische Optik-Enthusiasten wie Lao Zhou haben sich außerdem darauf spezilisiert, ikonische Leica-Objektive wie das 35mm F2 Zhouba oder das Elcan 50mm F2 in Kleinserie nachzubauen.
Chinesische Marken bieten außerdem Spezialobjektive an, die für Nischenanwendungen konzipiert sind. Laowa, bekannt für Ultraweitwinkel- und Makroobjektive, hat unter anderem ein 15mm Makro Shiftobjektiv, ein verzeichnungsfreies 12mm F2.8 Ultraweitwinkel und ein 9mm Vollformatobjektiv mit festem Fokus im Angebot. Das 24-mm-Makroobjektiv „Divine Whip“ T14 Ecological ist eine feste Größe in der kommerziellen Fotografie und bei Filmemachern. Neu hinzugekommen sind Mikrometerobjektive mit bis zu 50-facher Vergrößerung. Marken wie 7Artisans, Brightin Star und Rockstar bieten „alternative“ Versionen von Laowas Entwürfen zu niedrigeren Preisen an. Andere chinesische Anbieter wie Nisi, Cat King und Kase haben kompakte Spiegelobjektive entwickelt.
Cine-Objektive, die eine besonders hohe optische Qualität und Präzision erfordern, kommen unter anderem von DZOFilm: Als führender Hersteller von Industrieobjektiven bietet der Hersteller aktuell 29 Festbrennweiten und elf Zooms für verschiedene Formate an.
NiSi vermarktet seit 2018 das NiSi F3 Vollformat-Cineobjektiv zu einem Bruchteil des Preises europäischer Marken. Die leichte „Athena“-Serie, die 2023 auf den Markt kam, stärkt die Marktposition der Marke weiter.
Auch Laowa expandierte in den Bereich der Kinoobjektive mit dem 25-100 mm T2.9-Zoom und weltraumtauglichen Modellen, die in der chinesischen Raumstation eingesetzt werden.
Sirui, bekannt für Stative, hat 2020 mit erschwinglichen Objektiven den Einstieg in die Cinefilmbranche geschafft. Andere Marken wie Viltrox, Meike und 7Artisans steigen ebenfalls in den Markt für Kinoobjektive ein und nutzen dabei ihr vorhandenes Know-how.
Das günstige Preis-Leistungs-Verhältnis der chinesischen Objektive ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sie auf der Grundlage vergleichsweise niedriger Produktionskosten kalkuliert werden. Probleme schaffen sich chinesische Objektivmarken jedoch untereinander vor allem durch ihr teilweise redundantes Angebot von Typen mit identischen Brennweiten und Lichtstärken. So bieten beispielsweise mehrere Anbieter ähnliche 50mm F1,8 oder 85mm F1,8 Objektive an, was zur Fragmentierung des Marktes führt. Besonders deutlich wird dies im APS-C-Segment, wo derzeit neun Modelle äquivalenter 85-mm-Objektive angeboten werden.
In Zukunft wollen die chinesischen Marken über den Preiswettbewerb hinausgehen und zunehmend hochwertige Vollformat-Objektive mit Lichstärke F1,2- und F1,4 entwickeln, die mit japanischen und deutschen Pendants konkurrieren können.
Fazit
Die Entwicklung der chinesischen Objektivhersteller lässt erwarten, dass sie innerhalb der nächsten fünf Jahren südkoreanische Konkurrenten wie Samyang überholen und sich weiter am globalen Markt etablieren werden, indem sie das Preis-Leistungsverhältnis immer weiter verschieben.