* Griechisch für verschwommen, verwischt, unscharf
„It’s the Glass, Stupid!“ ist ein Zitat von Steve Huff: Entscheidender als die Kamera ist für die technische Bildqualität das verwendete Objektiv. In Sachen Optik gilt seit Jahrzehnten Leica als Referenz, allen voran mit seinen Objektiven für das M-System. Trotzdem gibt es zahlreiche Alternativen zu den Original M-Optiken.
Allein in den letzten Tagen gab es mit dem TTArtisan 28mm f5.6, dem Voigtländer Nokton 50mm F1 asperical VM und dem Voigtländer Color-Skopar Vintage Line 21mm f3.5 asphärisch Type II zwei Objektivneuheiten für den Leica M-Mount.
Das M-Bajonett* wurde von Leica im Jahr 1954 für seine Messsucherkameras eingeführt. Nachdem 2002 das Patent für das M-Bajonett auslief, kamen immer mehr kompatible Objektive von Drittanbietern auf den Markt, unter anderem unter Markenbezeichnungen wie Voigtländer, TTArtisan, Laowa, 7Artisan, Zeiss, Mitakon und Iberit.
Die Vielzahl kompatibler Objektive hat ihre Ursache dabei weniger in der in Anwenderhand befindlichen Zahl an Leica M Kameras, die im Vergleich zu anderen Systemen eher überschaubar ist, sondern vielmehr in dem Umstand, dass das M-System keinen Autofokus bietet und damit vergleichsweise einfach zu konstruierende MF Objektive zum Zuge kommen. Die elektro-mechanische Konstruktion kompatibler Fremdobjektive für Autofokuskameras ist bedeutend aufwändiger.
Abstriche bei der Kompatibilität ergeben sich allerdings dadurch, dass die Fremd-Objektive unkodiert sind, so dass die Kameras sie nicht erkennt und in Folge nichts in die Metadaten der Bilder schreibt. Außerdem hat jedes (halbwegs moderne) Leica-Objektiv ein Korrektur-Profil, dass die Kameras verwenden, um etwa Verzeichnung zu korrigieren.
Dabei ist es aber vor allem die optische Qualität der M-Objektive, die dem M-System zu seinem legendären Ruf verhilft. Einige Brennweiten der Fremdanbieter sind im Leica Sortiment jedoch gar nicht verfügbar. Allerdings ist die Bandbreite an M-Modellen verwendbarer Originalobjektive nach über sechzig Jahren Systemkompatibilität eigentlich mehr als reichhaltig.
Wäre da nicht deren Preis. Das aktuell erschwinglichste Original-M-Objektiv ist das LEICA ELMARIT-M 1:2,8/28MM ASPH. mit einem Preis von 2.150 Euro. Die weit nach oben reichende Preisskala endet aktuell bei 12.150 Euro für ein LEICA NOCTILUX-M 1:1,25/75 ASPH. oder dem gleich teuren SUMMILUX-M 1:1.5/90MM ASPH.. Das legendäre NOCTILUX-M 1:0,95/50MM ASPH. schlägt aktuell mit 11.150 Euro zu Buche. Die entsprechenden Alternativen von Fremdanbietern liegen dagegen fast alle nur im dreistelligen Preisbereich.
Angesichts der größtenteils wenige hundert Euro teuren Alternativen kommt der Verdacht auf, der sehr erhebliche Preisunterschied könnte unter anderem mit der gebotenen Qualität zu tun haben. Martin Wagner vom Voigtländer-Vertriebspartner Ringfoto: „Es geht ja nicht um MFT-Messwerte, sondern unter anderem um den Abbildungscharakter. Unsere SC-Objektive zum Beispiel sind bei M-Fotografen super beliebt, eben weil sie Lens Flare und anderen Abbildungseigenschaften haben, aufgrund derer sie in einem Labortest schlecht abschneiden würden.“
Voigtländer
Die Bandbreite der Voigtländer Objektive mit M-Bajonett reicht jedenfalls von 10 mm bis zu 90 mm Brennweite, also vom extremen Weitwinkel bis zur Portraitbrennweite. Viele dieser Objektive sind wahlweise in Schwarz oder Silber lieferbar. Was das Voigtländer M-Sortiment erklärungsbedürftig macht ist, dass unterschiedliche Objektive mit identischer Brennweite angeboten werden – so zum Beispiel das 35mm Nokton als superlichtstarkes 1,2 oder als lichtstarkes 1,4. Außerdem gibt noch das Ultron 35 mm f/2.
Damit nicht genug, denn einige Voigtländer M-Objektiv gibt es wahlweise als MC oder SC Version, andere mit dem Zusatz Vintage oder Classic.
MC steht für Multi Coated, SC für Single Coated, also für die Art der Vergütung. SC vergütete Objektive erzeugen Bilder mit dem typischen Schmelz von Aufnahmen beispielsweise aus den 50er Jahren, wie man ihn in der Nachbearbeitung nicht einfach erzielen kann. Diese Objektive produzieren außerdem Lens Flare, reduzierte Kontraste und Farbstiche. Martin Wagner: „Unsere SC Objektive haben Charakter. Die Bildfehler dienen als Werkezeug, um Looks „out of the cam“ zu erzeugen.“
In dieselbe Richtung zielen die Voigtländer Objektive der Classis Line, deren optische Konstruktion komplett aus alten Tagen inklusive der damals zeittypischen und charakteristischen Abbildungseigenschaften stammt, die für einen Vintage-Look der Aufnahmen sorgen. Die Voigtländer Vintage Line umfasst dagegen Objektive mit Retro Design, aber moderner Konstruktion inklusive asphärischer Linsen.
Die kommen auch bei anderen Voigtländer M-Mount Objektiven zum Einsatz. Wer höchste Schärfe, Auflösung und Kontrast sucht, wählt solche aus dem APO Line up, allen voran die APO Lantare mit 35 und 50 mm Brennweite.
Der für Leica M-Objektive typische Schärfeziehhebel am Fokusring, der den meisten Fremdobjektiven fehlt, hat übrigens unter anderem den Sinn, dem Fotografen haptisch ein Gefühl für die gewählte Entfernung zu vermitteln, so dass er intuitiv weiß, auf welche Distanz das Objektiv gerade fokussiert ist, während er durch den Sucher schaut. Selbst dieses kleine, aber feine Feature hat Voigtländer in sein neues 21 mm Objektiv eingebaut.
Zeiss
Auch Zeiss, früher mit den legendären Contax Messsucherkameras einer der schärfsten Konkurrenten von Leica, bietet zahlreiche Objektive mit Brennweiten von 15 mm bis 50 mm mit M-Bajonett an.
Besonders stolz ist Zeiss auf sein Superweitwinkelobjektiv Distagon T* 2,8/15 ZM. Das für seine Brennweite recht lichtstarke Objektiv und wird, wie die Original-Leica-Objektive, in Deutschland gefertigt. Sein komplexes Optik-Design nutzt exotische Glassorten wie Barium-Schwerflint mit hoher Brechzahl und Fluor-Kron mit anomaler Teildispersion. Außerdem nutzt es asphärische Linsen und „Floating Elements“.
Ganz allgemein genießen Zeiss Objektive aufgrund ihrer T* Vergütung und ihrer praktisch kaum vorhandenen geometrischen Verzeichnung einen hervorragenden Ruf in Sachen Streulichtreduzierung. Die ZM-Objektive verfügen über Blenden mit zehn Lamellen, die eine nahezu kreisrunde Blendenöffnung für eine harmonische Bokeh-Wirkung bilden. Die Fassungs- und Steuerelemente der ZM-Objektive sind aus Metall gefertigt.
TTArtisan
Ganz im Gegensatz zu Voigtländer und Zeiss wurde TTArtisan erst 2019 gegründet, hat seinen Sitz im chinesischen Shenzhen, bietet jedoch ebenfalls eine Objektivserie für Leica M. Der optische Aufbau dieser Objektive umfasst unter anderem ED und ASPH-Glas, vor allem aber verblüfft bei einigen der Objektive ihre äußerliche Ähnlichkeit zu den Originalen aus Wetzlar, was etwa die Gravuren angeht.
Die kürzeste Brennweite im TTArtisan Sortiment für das M-Bajonett bietet das 11mm F2.8 Fisheye mit einem Bildwinkel von 180° und einer Naheinstellgrenze von 0,17 m.
Das hochlichtstarke TTArtisan M 50mm F0.95 besteht aus elf Elementen in acht Gruppen, darunter ein großflächiges, asphärisches und acht weitere hochbrechende Elemente. Ausgesprochen lichtstark präsentieren sich auch die anderen M-Objektive von TTArtisan, wie etwa das M 90mm F1.25 oder das M 21mm F1.5 ASPH.
Eine Ausnahme von dieser Regel bildet das neue, ultra-kompakte TTartisan Retro-Objektiv 28mm F5.6 mit einem Durchmesser von 51 mm, einer Länge von 19 mm und einem Gewicht von 151 g.
7Artisan
Unter einem ähnlich klingenden Markennamen wie TTArtisan bietet auch 7Artisan ein Sortiment lichtstarker Objektive für Leica M-Modelle an. Dahinter steckt – so zumindest die Legende – eine Gruppe chinesischer Kamera-Enthusiasten, von denen einige sich für optisches Design interessierten, andere dagegen Erfahrung im Betrieb von Produktionsanlagen hatten. Mit von der Partie war demnach außerdem ein begeisterter Sammler von Leica-Objektiven. So soll das Projekt 7Artisans begonnen haben, das im September 2016 mit der Serienprodutkion des 50mm f/1.1 Objektivs an den Start ging. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch sieben der Gründer übrig gewesen sein, woraus sich der Markenname ableitet.
Das Sortiment von 7Artisan umfasst aktuell 15 verschiedene Objektivmodelle, von denen aber nicht alle Vollformat-tauglich sind. Bei den M-kompatiblen Festbrennweiten fällt auch hier deren hohe Lichtstärke auf, so zum Beispiel die des M28mm F1.4., das aus elf Elementen in neun Gruppen besteht, darunter ein asphärisches Element und zwei aus ED-Glas.
Das 7Artisans M50mm F1.1 entspricht der Bauweise eines Sonnars und enthält zwei hochbrechende optische Elemente mit einem Index von 1,9. Während der Hersteller bei offener Blende ein weiches und angenehmes Bokeh verspricht, sollen sich Kontrast und Schärfe bereits ab F1,4 verbessern.
Laowa
Auf die Produktion ausgefallener Objektive hat sich auch Venuslens als Hersteller der Laowa Objektive spezialisiert, darunter das unter anderem M-kompatible, kleine und leichte 2-fach Makroobjektiv
85 mm f/5,6 2X Ultra Macro APO. Mit dem 11 mm f/4,5 FF RL und dem 14 mm f/4 FF RL Zero-D bietet LAOWA außerdem zwei Super-Weitwinkelobjektiv für Leica M. Das 9 mm f/5,6 FF RL ist das derzeit extremste und einzige Super-Weitwinkelobjektiv ohne Fisheye-Effekt für das M-System.
Mitakon
Ebenso wie TTArtisan befinden sich in Deutschland die Objektive des chinesischen Anbieters ZhongYi Optics im Vertrieb von Hapa Team. Die Objektive dieses Herstellers werden unter der Marke Mitakon angeboten.
Leica M-Mount kompatibel ist das eigens für die Messsucherkameras konzipierte Speedmaster 50mm f/0.95.
Das optische Design des Normalobjektivs ermöglicht bei Offenblende vor allem im Bildzentrum scharfe Aufnahmen, erst durch leichtes Abblenden geht die Schärfe bis zum Rand. Ein Optiksystem mit elf Elementen in acht Gruppen inklusive eines HRI-Elements (High Refractive Index) und UD-Elementen (Ultra-Low Dispersion) minimiert chromatische Aberrationen. Neun Blendenlamellen sorgen für ein weiches und diffuses Bokeh. Das Gehäuse des 675 Gramm schweren Objektivs besteht aus Metall. Der Blendenring lässt sich bis Blende 16 stufenlos verstellen und befindet sich nahe der Frontlinse.
Iberit
HandeVision bietet seine puristische Iberit-Serie mit einheitlicher Lichtstärke 2.4 und den Brennweiten
24, 35, 50, 75 und 90 Millimetern in Schwarz und Silber unter anderem auch für das Leica M System an.
Das Deutsch-Chinesische Partnerunternehmen hat bei deren Entwicklung Wert auf geringes Gewicht, eine kompakte Größe und die Abbildungsleistung gelegt.
Die Mechanik setzt auf eine robuste und langlebige Metallkonstruktion mit eloxiertem Aluminium, Messing und rostfreiem Stahl. In den Objektiven steckt „German Engineering“. Entwicklung, Zusammenbau und Tests der
Prototypen erfolgten in Deutschland, die Serienfertigung in Shanghai.
Ansonsten
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass außerdem alle aktuellen Objektive von Meyer Optik Görlitz auch mit Leica M-Bajonett lieferbar sind, allerdings nicht mit dem Messsucher zusammenarbeiten. Um sie zu fokussieren, muss der Live View der Kameras genutzt werden, weshalb wir hier nicht näher auf das Sortiment des Herstellers eingehen.
Fazit
Bleibt die Frage, warum Käufer einer aktuell 8.150 Euro teuren M10-R ausgerechnet bei den Objektiven sparen soll. Dabei leistet sich natürlich nicht jeder Einsteiger ins M-System gleich das aktuelle Topmodell. Analoge M-Modelle und die ersten digitalen M-Kameras sind für deutlich weniger gebraucht zu haben. Original Leica-M-Objektive erweisen sich hier in der Regel als deutlich wertstabiler, zumal die mit der oben genannten Codierung. Und selbst Käufer einer aktuellen M gehen fremd, weil Fremdanbieter Brennweiten bieten, die in Wetzlar nicht zu haben sind. Andere werden schwach, wenn Lichtriesen wie ein Objektiv mit 1:0,95 anderswo für zehn Prozent des Originalpreises lockt, auch wenn damit (zumindest bei Offenblende) Kompromisse bei der Abbildungsqualität verbunden sind. Die sind von anderen sogar gewollt, um einen nostalgischen Bildlook zu erzielen. Ein Trend, dem sich selbst Leica nicht entziehen will, bietet doch auch das Leica Thambar-M 1:2,2/90 als Weichzeichner-Objektiv bewusst statt kompromissloser Schärfe eine romantisch-verträumte Bildwirkung. Mit dem Leica Summaron-M 1:5,6/28 bildet das Thambar-M die Leica Klassik-Linie, deren Design behutsam angepasst wurde, während die optische Rechnung unverändert den historischen Vorbildern entspricht. Benannt wurde das Objektiv nach dem griechischen Wort für „verschwommen, verwischt, unscharf“ (thambo). Es erzeugt Aufnahmen mit einer romantischen Bildästhetik, die in dieser Form mit anderen Objektiven nicht reproduzierbar ist und die auch in der digitalen Nachbearbeitung nicht reproduzierbar ist. Damit bildet das Thambar-M einen spannenden Kontrast zu anderen Leica Objektiven mit 90mm Brennweite und eröffnet dem Fotografen die Möglichkeit, ganz bewusst einen besonderen Look zu kreieren. So, wie zahlreiche Objektive anderer Anbieter, allerdings zu deutlich geringeren Kosten.
Am Ende gilt, was in der Überschrift steht: „It’s the Glass, Stupid!“.
* Der Begriff Bajonett leitet sich übrigens von der französischen Stadt Bayonne ab, in der das Seitengewehr erfunden wurde, eine am Lauf von Schusswaffen zu befestigende Stichwaffe
Links
https://leica-camera.com/de-AT
https://store.leica-camera.com/de/de/leica-thambar-m-1-2-2/90-schwarz-lackiert
https://www.voigtlaender.de
https://www.zeiss.de/consumer-products/fotografie.html?vaURL=www.zeiss.de/photo#rangefinderlenses
https://www.ttartisan.com/?list_9/
https://www.mitakon-zhongyi.de
https://www.hapa-shop.de/Foto-Video-Objektive-fuer-Vollformat
https://www.laowa.de
http://m.7artisans.com/en/h-pd-24.html#mid=306
https://handevision.info/iberit-die-neue-kleinbild-objektiv-serie-von-handevision/
https://www.meyer-optik-goerlitz.com/de/
Voigtländer Online Event:
https://www.youtube.com/watch?v=g6Bg5bGMrzw&t=3698s