Mehr als drei Jahre nach Fujifilm bringt jetzt auch Hasselblad mit der neuen X2D 100C eine spiegellose Mittelformatkamera mit dem bekannten 100 Megapixel Sony-Sensor. ProfiFoto konnte die Neue bereits in der Praxis testen.
Mit der X1D hat Hasselblad im Sommer 2016 die erste spiegellose Mittelformatkamera vorgestellt. Auf der photokina im September desselben Jahres präsentierte Fujifilm kurze Zeit später sein ebenfalls spiegelloses GFX-System.
Bis dahin waren Mittelformatkameras vor allem groß, schwer und extrem teuer, was den Anwenderkreis stark einschränkte. Die spiegellosen Systeme bahnten aufgrund ihrer erheblich erschwinglicheren Preise und ihrer kompakten Bauform, die den Vergleich zu Vollformatkameras nicht zu scheuen braucht, den Weg raus aus der Nische. Von dieser Markterweiterung profitierte jedoch vor allem das Fujifilm GFX-System aufgrund seines bis unschlagbaren Preis-Leistungsverhältnisses, auch wenn Hasselblad den Preis der X1D angepasst hat.
Spätestens seit Fujifilm im Januar 2021 ein kompakteres Schwestermodell der GFX100 mit 102 Megapixel für knapp 6.000 Euro präsentierte, konnte die gleich teure, wenn auch zwischenzeitlich verbesserte X1D II 50C kaum noch bestehen. Ihr modular aufgebautes Schwestermodell Hasselblad 907X mit CFV II 50C Rückteil punktet hingegen mit ihrem Design, das an das klassische V-System des Herstellers anknüpft.
Sony-Sensor
Mit der neuen, spiegellosen Mittelformat-Digitalkamera X2D 100C ist Hasselblad jetzt zumindest in Sachen Auflösung wieder auf Augenhöhe mit dem Marktführer aus Japan.
Die Kamera bietet aber nicht nur die doppelte Auflösung des 50 MP-Schwestermodells, sondern auch Verbesserungen im Handling, der Geschwindigkeit und beim Autofokus.
Ihr aus den beiden Fujifilm-Modellen bekannter 100-Megapixel-BSI-CMOS-Sensor im Format 43,8 x 32,9 mm bietet einen Dynamikbereich von bis zu 15 Blendenstufen und eine Farbtiefe von 16 Bit. Der Empfindlichkeitsbereich reicht von ISO 64 bis 25600.
Einen Vorteil bei der Bildqualität verspricht Hasselblad aufgrund seiner Natural Colour Solution (HNCS), mit der Feinheiten in Lichtern und Schatten optimal wiedergegeben werden. Die X2D 100C erfasst Dateien im 3FR-RAW-Format, was durchschnittlich 206 MB pro Aufnahme ergibt. Wer kleinere Dateien bevorzugt, kann optional im JPEG-Format rund 100 MB große Bilder speichern. Weitere Kompressionsstufen bietet die Kamera nicht an. Die maximale Serienbildgeschwindigkeit liegt bei vergleichsweise bescheidenen 3,3 Bildern pro Sekunde.
An der anfallenden Datenmenge kann dies nicht liegen, denn in die X2D 100C integriert ist ein 1 TB großer SSD-Speicher mit einer Schreibgeschwindigkeit von 2370MB/s und einer Lesegeschwindigkeit von bis zu 2850MB/s. Zusätzlich steht ein Laufwerk für CFexpress-Karten vom Typ B mit einer maximalen Speicherkapazität von 512 GB zur Verfügung. Im Praxistest kamen die von Hasselblad empfohlenen Speicherkarten der Sony CEB-G Serie CFexpress Typ-B und eine SanDisk Extreme Pro CFexpress Typ-B zum Einsatz, die sich tadellos bewährten.
5-Achsen-IBIS
In Anbetracht der nur 3,76 μm großen Pixel des 100 MP-Sensors mit 11656 × 8742 Bildpunkten spielt die Verwacklungsgefahr eine nicht zu unterschätzende Rolle. Um die theoretische Auflösung effektiv in Bilddetails umsetzen zu können, setzt Hasselblad auf ein selbst entwickeltes 5-Achsen-Bildstabilisierungssystems (IBIS), das Aufnahmen mit bis zu sieben Blendenstufen längeren Verschlusszeiten aus der Hand ermöglicht. In der Praxis sind so Belichtungszeiten von bis zu einer Sekunde ohne Stativ möglich. Warum Hasselblad den IBIS nicht auch für einen Multishotmodus einsetzt, bleibt das Geheimnis der Schweden.
Verschlusssache
Anders, als das Fujfilm GFX-System, setzt Hasselblad beim X-System auf elektronisch gesteuerte Zentralverschlüsse, die in die Objektive integriert sind und Verschlusszeiten von bis zu 1/2000 s ermöglichen. Mit dem ebenfalls neuen 90 mm XCD-Objektiv sind sogar bis zu 1/4000 s möglich. Der Vorteil: Eine Blitzsynchronisation ist bei allen Zeiten möglich, und das im Gegensatz zu HSS-Blitzen (High Speed Synchronisation) bei voller Blitzleistung. Wer Tageslicht „überblitzen“ will, dem kommt das X-System daher gelegen.
Optional steht für die Nutzung von Objektiven ohne Zentralverschluss ein elektronischer Verschluss für Zeiten bis 1/6000 s zur Verfügung. Ist dieser aktiviert, zeigt die Kamera ein „E“ hinter der Anzeige der gewählten Verschlusszeit, wobei mit keiner geblitzt werden kann.
Apropos Blitzen: Das TTL-System der X2D ist kompatibel mit Nikon-Systemblitzen und anderen Geräten mit dieser Schnittstelle. Die Blitzleistung kann dann an der Kamera zum Aufhellen unabhängig vom Umgebungslicht eingestellt werden (-3 bis +3 EV).
Wesentlich verbessert zeigt sich gegenüber der X1D und 907X der Autofokus der X2D, der mehr als doppelt so schnell ist und mit 896 Phasendetektionspunkten in 294 Messfeldgruppen rund 97% des Bildfelds abdeckt. Der aktive AF Punkt kann frei im Bildfeld positioniert werden. Zusätzlich arbeitet die X2D unterstützend mit Kontrast-Autofokus.
Allerdings steht nur Single-AF (AF-S), nicht aber kontinuierlicher AF zur Motivverfolgung zur Verfügung, und auch eine automatische Motiverkennung wird zum Verkaufsstart nicht geboten. Gerade angesichts des extrem kleinen Schärfebereichs bei Offenblende wäre ein Augen-AF bei Portraits eine echte Hilfe. Hier sollen künftige Firmware-Updates eine Lösung bringen. Hasselblad verspricht außerdem die Nachbesserung von Focus Bracketing und eines Panoramamodus.
Immerhin kann bei den neuen XCD-Objektiven jederzeit manuell eingegriffen werden, wobei dann der vorher markierte Motivbereich im Sucher oder auf dem rückwärtigen Display automatisch vergrößert dargestellt wird.
Kein Video
Der 0,5 Zoll große OLED-Sucher (EVF) mit 5,76 Millionen Bildpunkten und einer Vergrößerung von 1,00x hat eine Bildwiederholrate von 60 Bildern pro Sekunde. Eine Besonderheit ist der elektronisch einstellbare Dioptrien-Ausgleich, für den eine Art Testchart eingeblendet wird.
Alternativ zum Sucher steht ein berührungsempfindliches und um 40° und 70° horizontal neigbares 3,6-Zoll-Display mit 2,36 MP zur Bildkontrolle auf der Rückseite der Kamera zur Verfügung, über das auch das Kameramenü aufgerufen wird. Die wichtigsten Einstell-Parameter zeigt ein 1,08-Zoll großes Schulterdisplay auf der Oberseite des dunkelgrauen Gehäuses der X2D 100C, das aus CNC-gefrästem Aluminium besteht.
Dessen Abmessungen übertreffen mit 148,5 × 106 × 74,5 mm kaum die der kleinen Schwester X1D, die einstweilen im Programm bleiben soll. Die Neue wiegt (ohne Akku) schlanke 790 g. Dabei kann es kaum überraschen, dass sich die Kamera bei längerem Gebrauch spürbar erwärmt, was nach Angaben des Herstellers aber keinen Anlass zur Besorgnis geben sollte.
Gleichwohl mag hier eine Erklärung dafür liegen, dass Hasselblad bei der X2D im Gegensatz zur kleinen Schwester X1D keinen Videomodus integriert hat. Mit demselben Sensor sind in der ähnlich kompakten Fujifilm GFX100S 4K/30p-Videos möglich, aber auch hier mag Hasselblad mittelfristig über ein Firmware-Update Abhilfe schaffen. Vorerst habe man sich – so Hasselbald – auf die Fotofunktion konzentriert.
Das Bedienkonzept der X2D charakterisiert Hasselblad als „skandinavisch reduziert“. Richtig ist, dass das Menü übersichtlich strukturiert ist. Für den schnellen Überblick sorgen Piktogramme. Am Gehäuse finden sich rund ein Dutzend Bedienelemente, wobei das hintere Einstellrad auch „Klick“-Funktionen unterstützt: Im Hauptmenü dient ein Klicken der Bestätigung, in der Live-Ansicht der Funktion „Vergrößern“.
Eine Schwachstelle von Systemkameras mit elektronischem Sucher ist ihr Energiebedarf. Der Li-Ion-Akku der X2D (7,27 VDC / 3.400 mAh) reicht gemäß CIPA-Test für 420 Aufnahmen. Danach kann er über eine beliebige Stromquelle (etwa über einen Computer oder eine Powerbank) über den USB Typ-C-Anschluss der Kamera in relativ kurzer Zeit geladen werden. Mit dem mitgelieferten 30 W USB-C-Ladegerät beträgt die Ladezeit unter einer Stunde, ein Zweit-Akku sollte dennoch mitbestellt werden. Der USB 3.1 Gen2 Typ-C Anschluss ermöglicht neben dem Laden Übertragungsgeschwindigkeit von bis zu 10 Gbit/s. In die Kamera intergriert ist außerdem Wi-Fi für die Verbindung zu Smartdevices.
Handmade in Sweden
100 Megapixel kosteten bei Hasselblad in Form des Spiegelreflex-Boliden H6D-100C bislang satte 33.000 Euro. Dafür bekommt man einen Sensor im „großen Mittelformat“ von 53,4 × 40,0 mm, der Pixeln in einer Größe von 4,6 × 4,6 µm Platz bietet. Außer Fotos bietet diese Kamera auch Video und ist optional in einer Multishot-Variante für Bilddaten mit rund 400 Megapixel Auflösung zu haben. Der Preis der X2D wird voraussichtlich rund 25.000 Euro niedriger liegen, ist aber höher als der der Fujifilm GFX100S, die dafür auch 4K-Video, einen Multishot-Modus und Autofokus mit Motiverkennung bietet. Dafür ist die Hasselblad – wie auf der Gehäuse-Oberseite unmissverständlich eingraviert ist – „Handmade in Sweden“.
https://www.hasselblad.com/de-de/