Der jetzt in der Edition ProfiFoto erschienene Didaktikband zur professionellen Aktfotografie von Ralph Man beschreibt anhand von Praxisbeispielen den Weg von der Idee bis zum fertigen Bild.
Den eigenen Weg oder Stil finden
Wenn man in einem kreativen Bereich tätig ist, bewegt man sich immer in einer großen Masse anderer Kreativer und hierbei ist es zuerst einmal nicht relevant, ob man Maler, Grafiker oder Fotograf ist. Man fällt innerhalb dieser Masse nur auf, wenn man sich von den anderen unterscheidet. Dieses kann durch die Auswahl der Models, den fotografischen Stil, die Lichtsetzung, die Art der Bildbearbeitung, Locations oder durch die Kombination aller oder einiger dieser Dinge sein, sodass ein potenzieller Kunde klar anhand der Bilder, die man gemacht hat, erkennen kann, wer der Fotograf ist.
Warum ist ein bestimmter Stil wichtig für den Kunden? Diese Frage lässt sich ganz einfach beantworten: Wenn ich als Kunde einen Auftrag vergebe, so möchte ich einschätzen können, welche Ergebnisse bei einem Fotoshooting am Ende zu erwarten sind. Bei einem Fotografen, der keine klar erkennbare Richtung hat, ist das schwierig. Man fällt auf Dauer nur auf, wenn potenzielle Kunden beim Betrachten deiner Bilder erkennen, von wem sie sind.
Für alle, die noch nicht ihren eigenen Stil gefunden haben, gebe ich den Tipp, nach dem »Schrotflinten-Prinzip« vorzugehen. Ich meine damit, dass man einfach mal in alle Richtungen schießt und dann schaut, was m
an getroffen hat. Also, klar ausgedrückt: Einfach mal experimentieren und viele, sehr verschiedene Arten von Aktfotografie ausprobieren (Farbe, Schwarz-Weiß, in Kombination mit bestimmten Accessoires etc.). Ich werde im Laufe dieses Buches auf verschiedene Varianten eingehen und ihr könnt dann schauen, was euch am ehesten liegt. Wenn man seinen eigenen Stil gefunden hat, sollte man diesen konsequent weiterverfolgen und ausbauen. Die Ideen kommen dann vor, während und nach den Shootings und so entsteht eine stetige Weiterentwicklung. Jeder Mensch ist anders und hat in gleichen Situationen andere Ideen und so formt sich langsam ein eigener Stil, den die Betrachter der Bilder mit einem verbinden.
Dieser Prozess braucht sicherlich etwas Zeit, aber ich kann nur empfehlen, sich diese Zeit zu nehmen, weil man sich sonst unnötig »die Hacken abläuft« und immer wieder Absagen bekommen wird. Was ich allerdings auch empfehle, ist, sich zwischendurch, also während der Stilfindung, immer wieder Feedback von außen zu holen, ob und wie die Bilder ankommen. Hierzu solltest du Menschen fragen, denen du ein gutes Gefühl für Gestaltung und Bilder zutraust, aber auch gelegentlich den einen oder anderen Profi wie z.B. einen Art-Direktor einer Werbeagentur oder solche, die beruflich mit Bildern und Gestaltung zu tun haben.
Damit meine ich nicht, dass man sich immer gleich dem Geschmack des Betrachters direkt anpassen sollte, aber es ist sicherlich kein falscher Ansatz, zwischendurch immer wieder andere Meinungen und Sichtweisen einzuholen und dann zu überdenken, inwieweit dieses den eigenen Stil beeinflussen sollte.
In meinen Anfängen bewunderte ich die klassische Fotografie, wie die von Man Ray oder Robert Mapplethorpe, und das hatte schon einen, wenn auch nicht bewusst, großen Einfluss auf meine Art zu fotografieren. Die Bilder (Abbildung 1.1 und Abbildung 1.2) zeigen zwei Motive, die ich ganz zu Anfang meiner beruflichen Laufbahn mit einer analogen Großformat-Kamera (4×5 Inch) gemacht habe. Damals (zwischen 1998 und 2001) habe ich meine Bilder sehr präzise ausgearbeitet, sie waren statisch, grafisch und oft symmetrisch. Außerdem hatte jedes Bild einen Namen. Abbildung 1.1 heißt z.B. »Panther«, die Fotos in Abbildung 1.2 stammen aus meiner Serie »Skulptur-Mensch« mit insgesamt vier Motiven. Ich glaube, man kann an den Bildern sehr gut sehen, wie ich mich seitdem weiterentwickelt habe.
Ideenfindung
Das wohl Wichtigste in der Fotografie ist die Idee! Sie entscheidet, ob ich etwas Besonderes schaffe oder »nur« das Gewöhnliche, was man schon oft gesehen hat. Deshalb liegt hier ein ganz wesentlicher Punkt eines Konzepts oder eines einzelnen Bildes. Jeder hat hier andere Wege, die funktionieren, und ich kann nur empfehlen, viele davon auszuprobieren, um zu einer Idee zu gelangen. Bei mir sind es oft äußere Einflüsse, die eine Initialzündung geben. Im Folgenden zähle ich einige Wege anhand von konkreten Bildern auf, um euch zu zeigen, wie diese entstanden sind.
Grundsätzlich empfehle ich, sich durch andere Fotografen inspirieren zu lassen und zu sehen, wie sie Themen und Ideen umgesetzt haben. Es ist vielleicht manchmal deprimierend, wenn man sieht, wie gut einige Fotografen sind, aber wiederum auch inspirierend, weil man sich als Ziel setzen sollte, auch so fotografieren zu können. Schaut euch gerne auch Fotografen aus verschiedenen Epochen an. Nicht alle sind reine Aktfotografen, so wie ich persönlich ja auch nicht, aber die folgenden Künstler machen sehr interessante und gute Aktfotos, die man gesehen haben sollte, wenn man sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Meine ganz persönlichen Tipps sind:
• Man Ray (www.manray-photo.com)
• Robert Mapplethorpe (www.mapplethorpe.org)
• Patrick Demarchelier (www.demarchelier.net)
• Andreas H. Bitesnich (www.bitesnich.com)
• Bruno Bisang (www.brunobisang.com)
• Herb Ritts (www.herbritts.com)
• Ellen von Unwerth (www.ellenvonunwerth.com)
• David La Chapelle (www.davidlachapelle.com)
• Helmut Newton (www.helmutnewton.com)
• Russel James (www.russelljames.com)
Inspirationen dieser großen Fotografen sind sicherlich wichtig, aber noch wichtiger ist es, eigene Ideen zu entwickeln und seine eigenen Bilder zu machen. Dafür zeige ich mal ein paar Möglichkeiten auf, wie ich zu meinen Ideen komme.
Die übernommene Idee
Bei dem folgenden Bild (Abbildung 1.3) hatte ich für ein Lookbook eines Modedesigners ein Hintergrundsystem entworfen, bei dem ich die Idee hatte, durch einzelne Elemente, die sich untereinander variieren lassen, unterschiedliche Hintergrundlooks zu erzeugen. Diese Hintergründe hatte ich nun von diesem Shooting und ich dachte mir, dass ich unbedingt noch etwas daraus machen muss. Manchmal sind die Dinge tatsächlich so einfach! Nachdem also nun der Hintergrund schon feststand, musste ich mir noch überlegen, wie ich das Bild in Szene setzen möchte. Der helle Hintergrund und Boden wollen meiner Meinung nach gerade in einem hellen Look fotografiert werden. Jetzt stellte sich nur noch die Frage, welches Model in diesem Kontext am besten passen würde. Ich entschied mich für Julia, weil sie mit ihrem hübschen Gesicht und sehr schönen Figur meiner Ansicht nach sehr gut passte.
Das war es dann schon. Das genaue Posing und die genauen Details der Lichtführung entstehen dann vor Ort beim Shooting.
Die Location als Idee
Eine sehr häufige Inspiration ist eine Location, die ich entdecke und zu der ich mir dann etwas einfallen lasse. Das passiert bei mir oft, wenn ich z.B. Fotos von beeindruckenden Felsformationen sehe, interessant gewachsenen Bäumen oder von einem schönen Hotel. Dann habe ich schon oft Ideen, was zu dieser Location passen könnte und welches Model und ggf. Styling.
Die Bilder (Abbildung 1.5 und Abbildung 1.6) habe ich im Landschaftspark Nord in Duisburg gemacht. Ich hatte bei einem Ausflug einige Zeit vorher diese fantastische Kulisse entdeckt und mir war sofort klar, dass ich hier fotografieren muss. Nachdem ich dann die Genehmigung hatte, habe ich mir alles angesehen und sofort einige spannende Stellen entdeckt.
Gelegentlich bekomme ich einen Tipp im Hinblick auf eine spannende Location. Solche Hinweise betrachte ich immer mit großer Vorsicht, weil z.B. ein schöner Urlaubsstrand, mit dem der Tipp-Geber sicherlich eine schöne Erinnerung verbindet, nicht unbedingt für ein Fotoshooting geeignet ist. Wenn ich solch einen Hinweis bekomme, recherchiere ich die Location im Vorfeld. »Google Earth« ist ein gutes Mittel, um einen ersten Eindruck zu bekommen, weil dort meistens bei interessanten Sehenswürdigkeiten Bilder von Besuchern zu sehen sind. Wenn ich die Bilder dort sehe, mache ich mir schon erste Gedanken, was alles an Motiven möglich sein könnte. Ein genaues Bild mache ich mir dann immer erst bei einer direkten Besichtigung kurz vor dem Shooting, um die Sonnenstände und die genauen Umstände
vor Ort zu prüfen, bevor man am nächsten Tag mit Model und Team am Set ist und eventuell Ideen, die ich bei den recherchierten Bildern hatte, nicht funktionieren.
Ein Accessoire als Idee
Manchmal inspiriert mich nur eine Kleinigkeit, z.B. sehe ich eine Fahne oder ein Foto eines anderen Fotografen, in dem ein Stück Stoff durch das Bild fliegt, und ich überlege mir, wie ich das auf meine Art umsetzen kann. Bei dem Bild (Abbildung 1.8) hatte ich die Idee, nur ein Stück leichten Stoffs, ein Model mit einer traumhaften Figur, das sich gut bewegen kann, und sonst nichts zu nehmen, um mit der Form des fliegenden Tuches, dem Model und den daraus resultierenden Schatten spielen zu können. Diese Kombination lässt eine Vielzahl an spannenden Bildern entstehen, die im Detail nicht planbar sind. Bei diesem Bild spielte ich, nachdem das Set stand, mit dem Element »Wind« (aus der Windmaschine) und schaute, was sich aus der Kombination »Wind/Tuch/Modelposing « ergab, um dann im richtigen Moment abzudrücken, und hoffte, dass ich den richtigen erwischt hatte. Hier ist kein Motiv exakt wiederholbar und der Reiz ist gerade dieser »magische« Augenblick, wo alles passt. Man könnte aber auch z.B. einen Hula-Hoop-Reifen als Accessoire nehmen etc., die Möglichkeiten sind unbegrenzt.
Styling oder Styling-Accessoires als Thema
Ein weiterer Weg, den ich oft gehe, ist, ein Styling-Accessoire wie z.B. eine Kette, Schmuckkollektionen oder ein Kleidungsstück zu benutzen, das mir aufgefallen ist. Es sollten schon Dinge sein, die thematisch und inhaltlich zusammenpassen. Für ein Shooting habe ich z.B. Feinripp-Unterwäsche genommen und es dem Model angezogen. Das Thema ist sicherlich überhaupt nicht neu und schon x-mal fotografiert, aber das sollte einen nicht davon abhalten, seine eigene Sicht zu zeigen.
Der Bildlook als Idee
Oft lasse ich mich durch einen Bildlook inspirieren. Das passiert, wenn ich einen Film, ein Musikvideo oder eine Technik sehe und denke, dass so etwas auch als Aktfoto gut funktionieren kann. Nachdem der Bildlook feststeht, überlege ich, welches Bild am besten passen würde, sprich, welche Location, welches Model und welches Styling passen zu dem Look. Diese Vorgehensweise ist also komplett entgegengesetzt zu den vorherigen Ideen.
Das Model als Idee
Manchmal sehe ich einfach ein Model und habe eine Idee, was für ein Bild oder was für eine Strecke zu ihr passt. Das kann ich teilweise an ihrer Haar- oder Hautfarbe, aber auch an der Ausstrahlung, die sie hat, festmachen. Jetzt kommen die weiteren Überlegungen wie, welches Styling passt zu ihr, welche Location oder welcher Look sind der Richtige, um sie in Szene zu setzen.
Bei Abbildung 1.11 handelt es sich um ein Model mit einer sehr natürlichen Schönheit und ich wollte gerne ein Bild machen, das dem Rechnung trägt, indem ich auf alles Weitere verzichte. Kein besonderer Hintergrund, kein Styling und nur ein sehr rudimentäres Make-up, das sie selbst geschminkt hat. Ihr Körper ist nur leicht mit Babyöl eingeölt. Ich habe sie nicht besonders posen lassen, sodass hier alles nur auf ihr Aussehen und die Klarheit des Bildes reduziert ist. Dieses Bild lebt also im Grunde von dem Model und der schlichten Inszenierung.
Professionelle Aktfotografie
von Ralph Man, mitp Verlag 2016, 1. Auflage 2016, 248 Seiten, Softcover, Format 22 x 22 cm, ISBN 978-3-95845-187-2, 29,99 Euro
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Dieser Artikel ist in der ProfiFoto Ausgabe 3/16 erschienen.