Infrarotfotografie mit dem verwunschenen »Wood-Effekt« schafft eine faszinierende neue Welt, die Autor Klaus Mangold in diesem Kompendium entmystifiziert. Die aktualisierte Neuauflage thematisiert das nötige Grundlagenwissen zu den physikalischen Zusammenhängen, Filtern, Kameraeinstellungen und der Nachbearbeitung in Photoshop.
Die klassische Infrarotfotografie, die sofort als solche erkannt wird, ist in eine ziemlich enge Schublade gepresst:
• Reines Schwarz-Weiß
• Fotografiert bei strahlendem Sonnenschein
• Thematisch fast immer Landschaftsfotografie
• Dominiert von den typischen »Raureif-Motiven im Sommer«
• Ein möglichst dramatisch wirkender Wolkenhimmel
Infrarotfotografie kann in der Vorstellung vieler Fotografen nur schwarz-weiß sein. Das geht vor allem darauf zurück, dass die typischen Infrarotfilme eben immer Schwarz-Weiß-Filme waren (ausgenommen der für wissenschaftliche Zwecke produzierte Falschfarbenfilm auf der Basis des Kodak Ektachrome). Die Einschränkung auf schönes Wetter war dagegen eher eine schlichte Notwendigkeit: Die meisten Infrarotfilme brachten an trüben Tagen keine brauchbaren Ergebnisse. Die Negative leiden ohne Sonnenschein aufgenommen an ausgeprägter Kontrastarmut. Sonne war deshalb einfach Pflicht! Landschaftsfotografie drängt sich dem Analog-Infrarotfotografen geradezu auf, denn hier treffen mehrere günstige Voraussetzungen aufeinander:
• Infrarotaufnahmen garantieren sehr gute Fernsicht – oft sogar noch an dunstigen Tagen.
• Der sogenannte Wood-Effekt ist einfach ein Blickfang.
• Das dunkel wiedergegebene Himmelsblau ist gestalterisch ein schöner Gegensatz.
Tatsächlich sind viele Landschaftsmotive auch am ehesten das, was man in der Infrarotfotografie nach Kochrezept angehen kann. Wenn man die passende Belichtungszeit einmal gefunden hat (dank sofortiger Kontrollmöglichkeit auf dem Display in der Digitalfotografie heute kein großes Problem mehr) und ein paar Regeln beachtet (z.B. die Tatsache, dass Laubbäume, die ja weiß erscheinen werden, aus bildgestalterischen Gründen natürlich nicht gerade weiße Wolken als Hintergrund bekommen sollten!), sind auch mit der Digitalkamera Landschaftsaufnahmen ein guter Einstieg in die Infrarotfotografie.
Der Wood-Effekt
Der Wood-Effekt ist wohl das bekannteste und prägnanteste Merkmal der Infrarotfotografie. Die Bezeichnung leitet sich aber nicht davon ab, dass im Infrarotfoto grüne Wälder (Wood) so märchenhaft wie von Raureif überzogen aussehen, sondern der Name geht auf den Entdecker dieses Effekts zurück: Der amerikanische Experimentalphysiker Robert Williams Wood hat das Phänomen 1919 zum ersten Mal beschrieben.
Blätter und Gras erscheinen in den typischen Infrarotaufnahmen deshalb strahlend weiß, weil Chlorophyll, das ja im sichtbaren Licht für die grüne Farbe der Blätter verantwortlich ist, im infraroten Spektralbereich, den unsere Kamera »sieht«, transparent ist. Das Weiß kommt überwiegend dadurch zustande, dass das Licht an feinen Strukturen im Innern des Blatts reflektiert wird. Es ist also gar nicht – wie oft behauptet wird – das Chlorophyll, das im nahen Infrarot weiß wäre, sondern die Tatsache, dass es im nahen Infrarot das Licht durchlässt, führt zur Reflexion. Für Pflanzen ist der Wood-Effekt ein Schutz gegen Überhitzung und dadurch schnelleres Austrocknen der Blätter. Ein Irrtum ist es übrigens auch, dass grüne Pflanzenteile im Infrarotfoto immer alle schneeweiß seien. Die meisten Nadelbäume erscheinen sogar recht dunkel, und unterschiedliche Baumsorten zeigen bei richtiger Belichtung oft ebenfalls deutliche Helligkeitsunterschiede. Viele Fotografen neigen aber dazu, Bäume grundsätzlich in fast schon zeichnungslosem Weiß abzubilden. – Wenn man lang genug belichtet, ist das natürlich immer machbar.
Der plakative Wood-Effekt ist der Grund, weshalb chronische Besserwisser Stein und Bein schwören, dass Infrarotfotografie eine feste »Infrarot-Saison« hätte, außerhalb der man es gar nicht erst probieren müsste (»Also wirklich ideal ist eigentlich nur der Mai, wenn das junge Frühlingslaub so schön hellgrün ist. Und spätestens ab Ende August, da können Sie’s sowieso vergessen!«).
Diese Ansicht ist aber lediglich ein kreatives Armutszeugnis: Es stimmt natürlich, dass der ausgeprägte Wood-Effekt auf Blattgrün angewiesen ist und bei Sonnenschein am stärksten ausgeprägt erscheint. Das heißt aber noch lange nicht, dass in den Wintermonaten Langeweile einkehren muss. Wer danach sucht, findet das ganze Jahr genug Chlorophyll-Motive (Efeu, Moos, Flechten …), nur stechen sie nicht so auffällig ins Auge wie im Sommerhalbjahr.
Der Frühling ist tatsächlich sehr gut für Infrarot-Landschaften geeignet, aber aus einem anderen Grund, als viele denken: Weil die Bäume noch kein so dichtes Blattwerk haben, ist der Wood-Effekt meist noch nicht so dominant und neigt weniger dazu, gestalterisch alles zu »erschlagen« durch flächendeckendes strukturloses Weiß.
Dramatischer Wolkenhimmel
Ein weiteres Merkmal, mit dem viele Infrarotaufnahmen auffallen, ist der dramatische Wolkenhimmel. In der Schwarzweiß-Fotografie auf Film erreicht man weitgehend denselben Eindruck schon mit einem dunklen Rotfilter. Es handelt sich also nicht um einen rein infrarottypischen Effekt, sondern er reicht ein ganzes Stück weit und erst allmählich schwächer werdend in das sichtbare Spektrum herein.
Kontrastumfang
Der Kontrastumfang kann bei Infrarotaufnahmen sehr unterschiedlich
sein und von »kaum zu bewältigen« bis zu »enttäuschend schwach« reichen. Mit besonders hohen Kontrasten hat man dann zu kämpfen, wenn Gras oder Laubbäume im direkten Sonnenlicht und zusätzlich tiefe Schattenbereiche im selben Bild vorkommen. Das ist beispielsweise am Waldrand oft der Fall. Der störend schwache Kontrastumfang tritt dagegen meistens dann auf, wenn bei bedecktem Himmel fotografiert wird. Das ist kein Mangel der Infrarotfotografie, sondern einfach ungeschickte Auswahl des Motivs.
Auch Pflanzenaufnahmen aus der Nähe sind oft eher kontrastarm, weil hier der Wood-Effekt fast alles andere überwiegt. Auch solche Lichtsituationen sind durchaus in den Griff zu bekommen, aber es leuchtet ein, wieso man sehr gut daran tut, unbedingt im RAW-Modus zu fotografieren. Sie werden manchmal um jedes kleine bisschen dankbar sein, das Sie als Reserve in den RAW-Daten finden, um Tiefen und Lichtern gleichermaßen noch Zeichnung zu geben, und ein anderes Mal ist es einfach sehr hilfreich, wenn man zur Anhebung der Kontraste auch die leistungsstarken Regler wie etwa Klarheit zur Verfügung hat.
Infrarot in Farbe
Bisher war unser Blick auf die Infrarotfotografie in sehr konservativen Bahnen geblieben. Schon mit einer nicht modifizierten Digitalkamera, erst recht aber mit einer für Infrarotfotografie umgebauten, stehen uns noch so viele andere Möglichkeiten offen, dass die bisherige Beschränkung Scheuklappen gleichen würde. Der Buchtitel verspricht Information zur digitalen Infrarotfotografie und nicht bloß zu schwarzweißen Infrarot-Landschaftsaufnahmen an sonnigen Sommertagen!
Digitale Infrarotaufnahmen müssen nicht rein schwarzweiß sein. Sie können auch mehr oder weniger viel an Farbe enthalten. Erreicht wird das dadurch, dass man einen Filter verwendet, der nicht genau am Ende des sichtbaren Spektrums »dichtmacht«, sondern erst ein Stück darunter. Hier bringt die Digitaltechnik etwas grundsätzlich Neues: Der typische Infrarotfilm war immer ein Schwarz-Weiß-Film. Auch die Verwendung eines Filters von 700 nm oder weniger brachte keine Farbe ins Bild.
Sinn macht die Verwendung eines Filters, der noch einen Teil sichtbares Licht ebenfalls durchlässt, natürlich erst mit der digitalen Aufnahmetechnik. Ein schwarzweißer Infrarotfilm hätte nur Nuancen leicht anderer Grautöne gezeigt, aber keine Farben, da die ein solcher Film ja nicht aufzeichnen konnte. Wir haben durch die neue Technik eine zusätzliche Möglichkeit, eine neue Qualität an Infrarotfotografie gewonnen.
Das Bild vom Friedhof an der Wurmlinger Kapelle bei Tübingen wurde mit einer modifizierten Kamera mit fest eingebautem Infrarotfilter (einem Longpassfilter; dieser Begriff und der früher häufiger gebrauchte Begriff Schwarzfilter sind identisch; Longpass weist darauf hin, dass dieser Filter für langwelliges Licht durchlässig ist) mit einer Grenzwellenlänge von 700 nm aufgenommen (700 Nanometer; 1 nm = 1/1.000.000 mm). Dieser Filter blockiert Licht mit weniger als 700 nm Wellenlänge und ist für Wellenlängen darüber offen. Das bedeutet, dass außer dem infraroten Licht auch noch aus dem sichtbaren Licht der intensiv rote Anteil zum Bildsensor durchgelassen wird, denn der Bereich des sichtbaren Lichts endet erst oberhalb von ungefähr 750 nm (meist wird 780 nm als absolute Grenze angesetzt; das ist aber eher ein akademischer Wert).
Verantwortlich dafür ist eine Bildbearbeitungstechnik, die sich Kanaltausch nennt und es zusammen mit weiteren Photoshop-Bearbeitungen möglich macht, den Rotanteil aus dem sichtbaren Licht so zu verschieben, dass fast der gewünschte Farbton Himmelblau entsteht. Das wirklich Verblüffende dabei ist aber, dass das geschieht, ohne dass der Infrarot-Anteil des Bildes davon nennenswert beeinflusst wird!
Auch das ist leicht zu verstehen: Der Weißabgleich wurde bei diesem Bild so gelegt, dass der Wood-Effekt maximal zur Geltung kommt (Blattgrün also weiß erscheint). Das bedeutet, dass gerade die Bildpartien, bei denen die IR-Wirkung am größten ist, keine Farbanteile haben. Deshalb passiert ihnen auch nicht viel, wenn die gesamten Farben des Bildes verschoben werden.
Auf den Kanaltausch werde ich noch im Detail eingehen. Momentan soll uns ein kleines Experiment genügen, das schon erstaunlich nah an den Effekt des echten Kanaltausches heranreicht.
Ich rufe den Regler für Farbton/Sättigung auf (hier in Photoshop gezeigt, aber auch sehr einfache Bildbearbeitungsprogramme haben einen solchen Regler) und bewege den Schieberegler für die Farbe nach ganz rechts oder ganz links (die Wirkung ist identisch), und schon haben wir die für uns relevanten Farben getauscht. Dass das so einfach geht, liegt daran, dass bei dem 700-nm-Filter im Wesentlichen nur eine einzige Farbe aus dem sichtbaren Licht den Bildsensor erreicht (Rottöne nämlich). Ob das nachher im Bild wirklich ein sattes Rot ist oder eher ein bräunlicher Ton, das wird beim Weißabgleich entschieden (auch dazu später mehr). Und wenn es dem Bildbearbeiter Spaß macht, kann er diesen Farbton ganz nach Lust und Laune über den ganzen Farbkreis schieben (bewegen Sie den Schieberegler und beobachten Sie die Veränderung!).
Wie man daran sehen kann, ist Bildbearbeitung offenbar ein wichtiger Bestandteil der digitalen Infrarotfotografie. Man mag sich natürlich darüber streiten, wie unverzichtbar die Bildbearbeitung für Infrarotbilder wirklich ist. Ich meine aber, man sollte daraus keine Grundsatzfrage machen, sondern tut gut daran, erst einmal unvoreingenommen zur Kenntnis zu nehmen, welche Möglichkeiten es auf dem heutigen Stand der Technik überhaupt gibt.
Sie werden sehen, dass es immer weniger »die Infrarotfotografie« gibt. Es verbirgt sich dahinter eine breite Sparte an Möglichkeiten, aus der sich jeder Fotograf genau die herausgreift, die seiner individuellen Bildsprache am besten entspricht. Damit man aber wirklich die Wahl hat und nicht mit Scheuklappen herumläuft, sollte man sich fundiert informieren. Und dafür soll Ihnen dieses Buch nützlich sein.
Dieser Artikel ist in der ProfiFoto 1-2/16 erschienen.
Digitale Infrarotfotografie
von Klaus Mangold, mitp Verlag 2015, 2. Auflage 2015, 216 Seiten, Softcover, Format 22 x 22 cm, ISBN 978-3-95845-073-8, 39,99 Euro
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