Landschaftsfotografie hat viele Facetten – und genauso abwechslungsreich wie sein Sujet hat der Fotograf Anselm F. Wunderer den neuesten Didaktikband der Edition ProfiFoto gestaltet. Thematisiert werden neben Langzeitbelichtung-, Schwarzweiß- oder HDR-Aufnahmen auch die Fragen der Bildgestaltung.
Wie heißt es doch so schön, der erste Eindruck … Bei Torten kann sich ja der gute Geschmack langfristig herumsprechen, aber Bilder haben nur eine ganz kurze Chance, »angenommen« zu werden. Die Entscheidung, ob ein Bild gefällt oder nicht, erfolgt in einer Zeitspanne von weniger als 1/10 Sekunde. Da Bilder mittlerweile allgegenwärtig sind, man könnte auch sagen, inflationär sind, springen nur solche ins Auge, die etwas Besonderes bieten. Natürlich machen wir Bilder zunächst für uns selbst, verknüpfen mit ihnen unsere Erinnerung, doch schön ist es schon, wenn sie auch unsere Freunde und Bekannten ansprechen. Um das zu erreichen, müssen Sie sich von der breiten Masse abheben. Das gilt besonders für die professionelle Fotografie. Daher macht es Sinn, sich mit den allgemeinen sowie regional speziellen, menschlichen Sehgewohnheiten auseinanderzusetzen. Das mag fürs Erste ein wenig überzeichnet klingen, doch die Interpretation von Bildern ist nicht überall gleich. Dazu komme ich aber noch. Grundsätzlich läuft es darauf hinaus, dass der Gestaltung von Bildern, die einen größeren Kreis ansprechen sollen, besonders aufmerksam Zeit geschenkt werden sollte. Bilder werden in unseren Köpfen verarbeitet, interpretiert und gespeichert, so könnte der Begriff gehirngerechtes Fotografieren durchaus passen.
Teilungen
Unser Sehzentrum hat ein Problem mit Gleichförmigkeit. Ein Vergleich 50 zu 50 stellt zwar in rechtlichen Belangen häufig einen brauchbaren Kompromiss dar, eine Bildaufteilung im gleichen Verhältnis spricht uns allerdings nicht an. Jede andere Teilung von 1/3 zu 2/3 (nicht vergessen den Goldenen Schnitt) bis hin zu 5/95 ist deutlich besser und vor allem spannender. Das gilt in der Landschaftsfotografie vor allem für die Positionierung des Horizonts. Von Fall zu Fall kann es interessant sein, dem Vordergrund mehr Raum zu geben oder umgekehrt dem Himmel.
Zeigt der Himmel interessante Strukturen, macht es sich gut, ihm genügenden Raum einzuräumen. Brennweite 22 mm, 200 ISO, Blende 9, 1/500 Sekunde |
Das mit der »gehirngerechten« Aufteilung trifft natürlich auch aufdie Platzierung von horizontalen Bild-elementen wie Bäumen, einer Felssäule oder Tieren zu. Letztlich teilen ja auch sie ein Bild in mehr oder weniger ungleiche Hälften.Doch das war erst der Anfang, unser Gehirn ist noch weit anspruchsvoller, als wir denken. Soll es sich zwischen geraden und diagonalen Linien entscheiden, gewinnen eindeutig die Diagonalen. Wobei man das mit dem Begriff Linien nicht so wörtlich nehmen darf, Linien können einzelne Streifen sein, eine Linie kann aber auch den Verlauf eines Bergrückens beziehungsweise eines Weges zeichnen. Ein langweiliger Vordergrund gewinnt bereits durch zart angedeutete Linien, wie sie zum Beispiel Wanderer, die durch eine Wiese marschiert sind, produzieren.Doch gleich, ob es sich um einen Weg, einen Hang oder sonst eine Diagonale handelt, die ein Bild durchzieht, es macht einen großen Unterschied, ob dieser Verlauf nach rechts an- oder absteigt. Von links nach rechts ansteigende Linien stimmen uns positiv – da geht es gedanklich bergauf –, fallen sie nach rechts unten ab, signalisieren sie einen Abwärtstrend und das war schon lange vor der Einführung von Bilanzkurven so. Sie sehen, Sie haben es in der Hand, ob Ihr Bild Fröhlichkeit oder Melancholie verbreiten soll.Mit diagonalen Teilungen kommt unser Gehirn schon recht gut zurecht, doch es ist ein Feinschmecker, es hat noch ein paar Favoriten, wenn es um das Teilen eines Bildes geht. Bögen und Rundungen mag es besonders gern. Haben wir jedoch die Möglichkeit, eine Serpentine – die meist ein Weg ins Bild zaubern kann – einzufügen, dann steht diese geschwungene Form dermaßen im Vordergrund, dass der Gedanke einer Aufteilung – in links und rechts vom Weg – gar nicht erst aufkommt.PositionierungGleich vorweg, weniger ist mehr. Tummeln sich allzu viele, gleicheObjekte in einem Bild, sieht das Ergebnis eher einem Stoffmuster ähnlich. Solche Muster machen sich aber erst dann gut, wenn sie zu einem Kleid verarbeitet wurden. Eine Einzelne oder eine überschaubare Gruppe von Blumen macht sich besser als eine ganze Wiese. Das trifft genauso auf Bäume, Steingebilde und Tiere zu.
Oben: Unser Blick fällt zunächst auf die rechte Bildhälfte und ist von der Unschärfe irritiert. Unten: Das Pflanzenbündel sitzt am rechten Fleck und die unscharfe, linke Bildhälfte gehört einfach zum Hintergrund. Brennweite 250 mm, 200 ISO, Blende 9, 1/100 Sekunde |
Und jetzt kommt auch noch die Frage, wo ist der beste Platz im Bild? So verrückt es klingen mag, dieser Platz hängt davon ab, ob das Bild einen Europäer oder einen Araber ansprechen soll. Jeder Mensch entwickelt von klein auf ein ganz bestimmtes Sehverhalten, das von Kulturkreis zu Kulturkreis unterschiedlich sein kann. Je besser wir auch diese Besonderheiten berücksichtigen, umso größer sind die Chancen, dass unsere Bilder gefallen. Die ersten Bilderbücher prägen uns fürs Leben. Genauer ausgedrückt, für die Interpretation von Bildern. Bei uns in Mitteleuropa und vielen anderen Teilen der Welt verläuft die Bildabfolge eines Kinderbuchs von links nach rechts. So wie wir später lesen und schreiben. Somit ist rechts das Ziel jeder Zeile und rechts unten das Ziel jeder Seite. Wenn wir darauf achten und bildwichtige Elemente rechts, oder präziser formuliert eher rechts unten positionieren, dann entsprechen sie der Programmierung unseres Gehirns – in unserem Kulturkreis.Unscharfe oder nichtssagende Bereiche links im Bild stören nicht, wenn rechts ein Highlight zu finden ist. Umgekehrt sieht es ganz anders aus.In den Bereich der Positionierung fällt auch die Thematik Schärfe-Unschärfe. Das hatten wir zwar schon, aber ich denke, an dieser Stelle macht es Sinn, wenn ich noch einmal darauf zurückkomme. Viel Schärfentiefe gibt einen Gesamteindruck, geringe Schärfentiefe lenkt den Blick zwangsläufig auf den scharfen Bereich, dieser kann sowohl im Vordergrund als auch im Hintergrund liegen.PerspektiveSeit bei Kompaktkameras ein Display den Sucher ersetzt, ist der Aufnahmestandpunkt noch weiter nach oben gerückt. Viel zu selten wird das Potenzial der handlichen Begleiter, aber auch das von System- und Spiegelreflexkameras, für außergewöhnliche Sichtweisen genutzt. Was ist denn so schlecht daran, wenn wir den Auslöser in Augenhöhe drücken und unsere Bilder somit aus der Augenperspektive schießen?Die Augenperspektive ist uns nur allzu vertraut und sie ist bereits in Millionen von Bildern zur Anwendung gekommen. Daher hat sich unser Sehzentrum an solchen Bildern im wahrsten Sinne des Wortes sattgesehen. Neues, Interessantes ist gefragt, der Blick vom Heißluftballon auf die Erde zum Beispiel. Aber mit dem Heißluftballon oder sonstigen Flügen ist es nicht so einfach. Wenn das mit der Vogelperspektive also meistens nicht geht, warum versuchen Sie es nicht umgekehrt, mit der Froschperspektive. In der steckt ein großes Potenzial für spannende Bilder.
Oben: Aus der Augenperspektive zerstört die Straße die Komposition. Unten: Mit der Froschperspektive und einer etwas spannenderen Aufteilung sieht die Landschaft weit besser aus. Brennweite 18 mm, 100 ISO, Blende 11, 1/125 Sekunde |
Je tiefer Sie die Kamera positionieren, umso interessanter und somit auffallender werden die Bilder. Ein Grund, warum ich Kameras mit Schwenkdisplays so sehr liebe, denn die kann ich in die Wiese stellen und dabei bequem verfolgen, was »sie sehen«.Gerade Motive in der Natur verlangen häufig nach dieser unkonventionellen Aufnahmeposition. Die Welt beginnt am Boden und nicht in Augenhöhe. Vieles, was eine Landschaft bereichern kann, ist klein und üblicherweise direkt in Bodennähe anzutreffen. Ein junger Kaktus in der Wüste oder eine Orchidee in der Wiese, sie kommen ganz groß heraus, sobald sich die Kamera auf ihr Niveau begibt. Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, eignen sich für das Betonen von Vordergrund ganz besonders starke Weitwinkelobjektive.Format-AusschnittUnsere Kameras liefern rechteckige Bilder. Die einen (Kompakt und Bridgekameras sowie die Modelle mit 4/3-Sensor) bringen es zu einem Seitenverhältnis von 4:3, die anderen zu einem von 2:3. Unsere Augen liegen nebeneinander, daher ist unser Gesichtsfeld horizontal größer. Das berücksichtigen die Kameras und liefern in der Normalposition Bilder im Querformat. Das Querformat kommt daher unserer Sichtweise sehr entgegen, es wirkt zugleich weit ruhiger als die Alternative Hochformat. In der Fotografie können wir es uns aussuchen – einmal davon abgesehen, dass die Aufnahmen die Grundlage einer AV-Schau sind und daher später projiziert oder am Bildschirm betrachtet werden sollen. Wenn Sie also die freie Wahl zwischen hoch und quer haben, dann nutzen Sie diese Chance, denn es geht letztlich darum, ein Detail der Natur oder der Landschaft optimal in Szene zu setzen.
Mit dem passenden Ausschnitt und einem Super-Weitwinkelobjektiv machen Sie Ihre Kamera im Handumdrehen zur Panoramakamera. Brennweite 10 mm, 100 ISO, Blende 10, 1/320 Sekunde |
Vielleicht haben Sie es auch schon erlebt, man steht vor einer Landschaft, die, wie immer man es angeht, weder quer noch hoch ein stimmiges Bild ergibt. In solchen Situationen sollten Sie sich schon vor Ort überlegen, wie hinterher der Ausschnitt werden soll. Die berühmten Landschaftsmaler vergangener Epochen haben sich, was das Format betrifft, nicht an irgendein vorgegebenes Seitenverhältnis gehalten, sie haben das Format dem Motiv angepasst und nicht umgekehrt. Und das können auch Sie so halten. Am Computer einen Ausschnitt festlegen oder bei einem fertigen Bild zur Schere greifen. Es gibt nun einmal Motive, denen ein Quadrat besonders gut steht, und viele andere mögen es gerne schmal, sie wollen sich als Panorama zeigen.
Ein kleiner Hinweis, je größer der Unterschied zwischen den Längs- und Quermaßen ist, umso mehr fallen Bilder (samt Inhalt) auf.
Was für quer gilt, gilt auch für hoch. Pflanzen, Blumen, Gräser oder Bäume streben nach oben. Sie sind alle ziemlich lang und machen sich daher im schmalen Hochformat besonders gut.
Bunte Gedanken
Denken wir an Natur, so liegt die Assoziation mit Grün ziemlich nahe. Ob das zutrifft, hängt davon ab, in welchen Regionen oder welchen Erdteilen wir nach Motiven suchen. In der Sahara und vielen anderen Wüsten überwiegt Gelb, in den arktischen Regionen hat Weiß und Cyan die Oberhand. Doch bei genauerer Betrachtung müssen wir feststellen, dass Blau Rang eins belegt. Der Himmel gibt den Ausschlag, sein Blau spiegelt sich im Wasser der Flüsse, der Seen und im Meer.
In Mitteleuropa stoßen wir auf ausgedehnte grüne Wiesen, aber auch Felder. Weite Teile Afrikas sind mit goldfarbenen Wüsten bedeckt. In den arktischen Zonen dominiert Cyan, zusammen mit Weiß. Doch der größte Teil der Erde ist vom Meer bedeckt, in dem sich der blaue Himmel spiegelt |
Was bedeutet diese farbliche Erkenntnis? Dass wir an den unterschiedlichen Orten dieses Planeten unterschiedliche Farbdominanten vorfinden. Um spannende Bilder heimbringen zu können, sollten wir auf diese farblichen Vorherrschaften achten und nach Objekten mit anderen Farben suchen, die zusammen Harmonien, aber auch Kontraste bilden können. Der blaue Himmel zusammen mit einer weiten Grünfläche schafft ein Bild mit einer kühlen Farbharmonie. Die Kombination Himmel + Sandstein besticht durch den farblichen Gegensatz. Und noch etwas sollten Sie beachten, Ihre Bildausbeute, gleich, ob sie von einem Ausflug oder von einer Reise stammt, sollte eine farbliche Vielfalt darstellen. In einem Fotobuch, um nur eine Möglichkeit zu nennen, sorgen Bilder mit besonders kräftigen Farben vor allem dann für Abwechslung, wenn die Doppelseite sonst überwiegend von grünen Weiden, Bäumen und Himmel bestimmt wird.
Die digitale Beautyfarm
Maler haben Störendes nicht gemalt. Sie haben ihrer Meinung nach Störendes ganz einfach weggelassen. Sie haben aber auch nicht zu Schönes schön gemacht und selbst bei Schönem noch ein wenig nachgeholfen. Warum also sollten auch wir nicht unseren Bildern das eine oder andere Mal zu besonderer Strahlkraft verhelfen oder Störendes verschwinden lassen? Im Zuge der Bildbearbeitung ist nahezu alles möglich. Alleine mit den Standardprogrammen von Adobe: Photoshop, Elements und Lightroom können Sie Farben ein wenig auffrischen und mit einer moderaten Kontrastveränderung für sonnige Verhältnisse sorgen, auch wenn es sie zum Aufnahmezeitpunkt gar nicht gab.
Viel mehr Möglichkeiten, Landschaften zu verschönern, bieten spezielle Programme wie zum Beispiel die umfangreiche Nik-Software, die sich als Filter in die zuvor genannten Adobe-Programme implantieren lassen.
Verschönern, den Charakter einer Aufnahme verändern ist eine Sache, Retusche eine andere. Damit meine ich, dass es durchaus legitim sein kann, einen Lichtmast samt Leitung, der sich in die sonst unberührte Landschaft eingeschlichen hat, aus einem Bild zu entfernen. Ab der Version Adobe Photoshop CS 5 ist es besonders einfach, selbst etwas größere Störenfriede zu eliminieren Mit dem Polygon-Lasso-Werkzeug wählen Sie den unerwünschten Bereich aus. Wichtig ist dabei, dass oben in der Menüleiste, im Feld WEICHE KANTE auf 0 Pixel steht, wenn nicht, dann sollten Sie das unbedingt ändern. Die Auswahl können Sie im Übrigen durchaus ein wenig größer vornehmen.
Nun klicken Sie oben in der Menüleiste auf BEARBEITETEN und wählen in der Folge FLÄCHE FÜLLEN aus. Sofort erscheint ein Auswahlfenster. In der oberen Hälfte sollte neben VERWENDEN INHALTBASIERT (bei älteren Versionen von Photoshop INHALTSSENSITIV) stehen. Im unteren Bereich MODUS: NORMAL und DECKKRAFT: 100?%. Ein Klick auf den OK-Button und schon holt sich Photoshop aus der Umgebung genügend passende Pixel, die es anstelle von Lichtmast oder Ähnlichem einfügt. Zauberei per Mausklick, warum nicht.
Für Leitungen oder sonstige, eher kleinere, störende Elemente, setzen Sie das Bereichsreparaturpinsel-Werkzeug ein. Ganz wichtig ist, dass das Werkzeug auf HART eingestellt ist. Nun müssen Sie nur noch die passende Pinselgröße auswählen, das Werkzeug über eine störende Stelle setzen beziehungsweise über den zu entfernenden Bereich ziehen. Auch in diesem Fall werden völlig automatisch und nahezu immer absolut richtig Pixel der Umgebung den Platz von Entferntem einnehmen. Natürlich gibt es Verfechter, die darauf pochen, dass Fotos authentisch sein sollen, und daher solche Eingriffe ablehnen. Doch das ist letztlich Ansichtssache.
DIE EDITION PROFIFOTO
Die Experten der Redaktion ProfiFoto und aus dem mitp-Verlag bündeln ihr Know-how und publizieren in Zusammenarbeit mit erfahrenen Autoren, die unmittelbar aus der Foto-Praxis kommen, eine einmalige Fachbuchreihe „made for professionals“: Ergänzend und flankierend zum Magazin ProfiFoto bieten die mitp-Bücher der Edition professionelles Wissen zum richtigen Umgang und zur effizienten Nutzung digitaler Fototechnik und Bildbearbeitung.
Natur- und Landschaftsfotografie von Anselm F. Wunderer, mitp Verlag 2015, 256 Seiten, Softcover, Format 22 x 22 cm, ISBN 978-3-8266-9339-7, 34,99 Euro
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