Den einen gilt die Lichtfeldfotografie als Revolution, den anderen als gestalterische Bankrotterklärung. Markiert die Technologie einen Paradigmenwechsel ähnlich der Einführung der Digitaltechnik, oder droht ihr ein Nischen-Schicksal in der Bedeutungslosigkeit wie der 3D Fotografie?
Das wollten wir wissen:
1. Mit der Lytro Illum werden Motive nicht mehr nur zweidimensional erfasst, sondern interaktiv erlebbar: Perspektive und Schärfe werden vom Betrachter bestimmt. Ist diese Technologie für Sie eher Spielzeug oder Werkzeug? Gestalterische Bankrotterklärung oder tatsächlich die Revolution der Fotografie?
2. Wo sehen Sie professionelle Anwendungsgebiete für die Lichtfeldfotografie?
3. Wo sehen Sie Optimierungsbedarf, um die Lichtfeldfotografie praxistauglicher zu machen? Was wünschen Sie sich aus Anwendersicht?
Dr. Lennart Wietzke, Raytrix Lichtfeldkameras, www.R42.com:
1. Statische Bilder zum Leben zu erwecken ist eine tolle Idee und steht ganz oben auf den Roadmaps von vielen Kamera- und Smartphone-Anbietern. Nur leider reichen die derzeitigen technischen Möglichkeiten hierzu noch nicht aus, um alle Wünsche der Konsumenten zu erfüllen. Eines ist jedoch sicher, die sogenannte „Computational Photography“ wird irgendwann einmal Einzug halten in die Welt der Konsumenten. Vorerst ist diese Technologie gewinnbringend nur in Spezialanwendungen einsetzbar. Bis dahin muss vor allem die notwendige Rechenpower sowie die dafür benö-tigte Energieversorgung mobil und auf kleinem Raum vorhanden sein. Die Lichtfeldfotografie ist eine schleichende Revolution und eher in einem größeren Zeitraum zu betrachten. Immerhin gibt es sie bereits seit über 100 Jahren, und die derzeitige Pionierleistung könnte man mit den anfänglichen Problemen der digitalen Fotografie vergleichen. Nun ist auch der Endanwender gefragt, der ganz sicher die weitere Entwicklung der heutigen Fotografie mit beeinflussen und verbessern wird.
2. Nachträgliche Perspektiv- und Schärfeänderungen sind nicht alles, was eine Lichtfeld-Kamera bietet. Der mächtigste und meistgefragte Nutzen sind die dreidimensionalen Tiefenkarten, die man von einer Raytrix Kamera erhält – und dies mit nur einer konventionellen Hauptoptik im Gegensatz zu einer Stereokamera als Beispiel. Eine Raytrix Kamera ist somit ein schnelles, zuverlässiges und präzises Messinstrument für Gegenstände, die mit anderen Kamera-Techniken nicht in dieser Form aufzunehmen sind. So können kleine Bauteile und ganze Oberflächen in der Industrie vermessen und in ihrer Qualität überprüft werden. Weiterhin ergeben sich interessante Anwendungen in der Medizin, Mikroskopie und in der Strömungsmechanik sowie in der Biologie des Pflanzenwachstums. Wir haben viele Nischenanwendungen gefunden und mit Hilfe unserer Kunden werden wir weitere finden. Vielleicht wird ja irgendwann einmal die Fotografie davon profitieren oder zunächst einmal die Kinofilm-Technik. Wir erinnern uns, dass der Film Matrix vor über 10 Jahren bereits verblüffende Effekte durch eine zugegeben sehr aufwändige Lichtfeld-Kamera zeigte. Dies motiviert doch sicher wieder?
3. Die Lichtfeldfotografie wird sich erst dann durchsetzen, wenn sie einen Zusatznutzen mit sich bringt und keine gleichzeitigen Kompromisse z.?B. in der lateralen Auflösung fordert. Raytrix hat bereits gezeigt, dass auch höhere laterale Auflösungen von bis zu 25 Prozent der originalen Bildsensorauflösung mit einer tatsächlichen Erhöhung der Schärfentiefe um den Faktor sechs möglich sind. Trotzdem sollte dem Anwender die volle Sensorauflösung wahlweise zur Verfügung stehen. Hier wünschen wir uns eine Weiterentwicklung der Mikrolinsen-Technologie, die man z.?B. blitzschnell aktiv und inaktiv schalten können sollte. Weiterhin gibt es noch eine Menge an weiteren Ideen hier bei uns, die wir in naher Zukunft anbieten werden. Man darf also gespannt sein.
Weitere Statements zum Thema gibt es in der ProfiFoto Ausgabe 1-2/2015.