Terry Richardson, Bruce Weber, Mario Testino, Patrick Demarchelier. Wer ist der nächste? Die Kette der Vorwürfe sexueller Belästigung in Fotostudios reißt nicht ab. Das Verlagshaus Condé Nast hat jetzt einen Verhaltenscodex für Fotoproduktionen herausgegeben (siehe Kasten). Wir haben uns umgehört, wie Fotografen, Agenturen und Redaktionen mit dem Thema umgehen.
Das wollten wir wissen:
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Ist ein Verhaltenscodex für professionelle Mode- und Peoplefotografen sinnvoll?
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Wer für Condé Nast arbeitet, hat jetzt verbindliche Vorgaben zu beachten, werden sich diese branchenweit durchsetzen?
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Gab es für Sie Situationen, die potenziell problematisch waren?
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Wie haben Sie sich davor geschützt, in solche Situationen zu kommen?
Condé Nast International
Verhaltenscodex
Das Medienunternehmen Condé Nast, zu dem unter anderem Publikationen wie Vogue, Glamour und GQ gehören, hat vor dem Hintergrund der in den vergangenen Monaten bekannt gewordenen Vorwürfe sexueller Belästigung in der Modebranche einen verbindlichen Verhaltenskodex für alle Condé-Nast-Mitarbeiter, Partner und Dienstleister veröffentlicht.
Nach dem Verhaltenskodex unterliegen Fotoproduktionen in Zukunft konkreten Vorgaben, die beispielsweise das Mindestalter von Models, Betreuung minderjähriger Models sowie Genehmigung von und Umgang mit Nackt-Motiven beinhalten.
Zu den Richtlinien gehört, dass alle beauftragten Models mindestens 18 Jahre alt sein müssen. Wenn Ausnahmen notwendig sind – beispielsweise, weil Kinder für ein Feature unerlässlich sind – müssen sie von einer von der Agentur gestellten Aufsichtsperson begleitet werden.
Jede Aufnahme, die Nacktheit, durchsichtige Kleidung, Unterwäsche, Bademode, Tiere, simulierten Drogen- oder Alkoholmissbrauch oder sexuell behaftete Posen beinhaltet, muss vorher von der betreffenden Person schriftlich freigegeben werden. Keine der beteiligten Personen eines Shootings darf unter Einfluss von Alkohol oder illegalen Drogen stehen.
An jedem Set muss eine Möglichkeit zum privaten Umkleiden vorhanden sein. Zu keinem Zeitpunkt sollten Models während der Aufnahmen mit einem Fotografen, Make-up-Artisten, Stylisten oder anderen Beteiligten einer Produktion allein gelassen werden.
Wer gegen diese Richtlinien verstößt, wird von Condé Nast nicht mehr beauftragt oder beschäftigt.
Der Condé Nast Verlag hat unsere Fragen wie folgt beantwortet:
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Absolut. Der Code of Conduct von Condé Nast International gilt seit dem 31. Januar 2018 weltweit für Mitarbeiter, Dienstleister und Geschäftspartner von Condé Nast und soll ein sicheres sowie respektvolles Arbeitsumfeld im Rahmen von (Foto-)Produktionen gewährleisten.
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Für eine Beurteilung dazu ist es noch zu früh. Mit dem Code of Conduct will Condé Nast einen Beitrag zur Schaffung eines verbindlichen Branchenstandards leisten. In allen Condé Nast-Ländergesellschaften wurden Prozesse aufgesetzt, die die Implementierung und Einhaltung der Richtlinie sicherstellen.
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Aufgrund der dezentralen Struktur von Condé Nast können wir nur für den deutschsprachigen Raum sprechen und für Condé Nast Deutschland sind uns keine konkreten Fälle bekannt.
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Mit dem Condé Nast Code of Conduct wollen wir ein sicheres und respektvolles Arbeitsumfeld gewährleisten. Fotoproduktionen unterliegen deshalb in Zukunft konkreten Vorgaben, die beispielsweise die Betreuung minderjähriger Models regeln.
Viele dieser Leitlinien (beispielsweise das Mindestalter von Models) waren auch in der Vergangenheit gelebte Praxis bei Condé Nast und sind nun im Code of Conduct manifestiert und für alle Partner des Hauses bindend.
Statement von Gruner+Jahr:
In den großen Bildredaktionen von Gruner + Jahr wurden vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte keine neuen Verhaltenskodexe für Fotoproduktionen eingeführt. Bisher gab es dazu keine Veranlassung, da uns keine Vorkommnisse bekannt sind, die das erforderlich gemacht hätten. Selbstverständlich legen wir bei allen Produktionen Wert auf eine stets respektvolle Zusammenarbeit. Für die Zukunft schließen wir nicht aus, zum Schutz der Fotomodelle und aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegebenenfalls einen Verhaltenskodex zu formulieren.
Martin Graf, Chefredakteur und Mitherausgeber, EYECOM Magazin, www.eye-com.net
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Ich antworte mit einer Gegenfrage: Wie haben wir es in der Vergangenheit eigentlich hinbekommen, ohne eine solche ausdrückliche „Gebrauchsanweisung“ miteinander zu arbeiten? Mein Eindruck ist, dass mit der unseligen #MeToo-„Debatte“ ein paar Einzelfälle zu einem Problem aufgebauscht wurden, das so gar nicht existiert. Wer mit dem Respekt vor anderen Menschen Probleme hat, wird sich auch von einem „Verhaltenskodex“ nicht davon abhalten lassen. Alle anderen werden damit behandelt wie unreife Jugendliche.
Hinzu kommt: Wenn man so etwas einführt, geht es ja nicht nur um einen Verhaltenskodex, sondern auch um Fragen wie „Wie überwacht man seine Einhaltung?“, „Wie verhindert man, dass er missbraucht wird?“, „Wo kann man Verstösse melden?“ oder „Warum brauchen eigentlich nur professionelle Fotografen einen solchen Kodex, aber keine Unternehmer, Lehrer oder Mitarbeiter der Stadtreinigung?“ Irgendwann stehen Männer (wieder) grundsätzlich unter Generalverdacht. Wem sollte das nützen?
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Ich glaube nicht. Oder ehrlicher: Ich hoffe es nicht. Diese medial gehypten Themen haben immerhin einen Vorteil: Sobald man eine neue Sau durchs Dorf twittern kann, geraten die alten in Vergessenheit. Jeder professionelle Fotograf weiß, dass er eine angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen muss, um optimale Ergebnisse zu erreichen. Und dass Verstöße gegen dieses ungeschriebene Gesetz sich auch ohne Verhaltenskodex in der Branche herumsprechen. Die wenigen Ausnahmen, die es gibt, bestätigen die Regel. Im Übrigen bin ich überzeugt davon, dass jede selbstbewusste Frau im 21. Jahrhundert in der Lage ist, deutlich „Nein!“ zu sagen.
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Ich kann mich an keine erinnern. Ich hatte allerdings auch noch nie wirklich „problematische Situationen“ mit Kolleginnen, Bäckersfrauen, Kellnerinnen, Zimmermädchen und Taxifahrerinnen.
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Davor braucht man sich nicht zu schützen; die „Grundausstattung“, die man in Sachen Benehmen und Respekt als Kind und Jugendlicher mitbekommen haben sollte, reicht vollkommen aus. Und wenn man diese nicht hat, wird auch eine schriftliche „Gebrauchsanweisung für den Umgang mit Models“ nichts daran ändern.
Ich hätte viel mehr die Sorge, dass ein solcher Verhaltenskodex nach der Devise „Beweis durch Behauptung“ als Paralleljustiz missbraucht werden kann. Spätestens seit dem Fall Kachelmann sollte aber klar sein: Wir brauchen jenseits unseres Strafrechts keine zusätzlichen Internet-Standgerichte. Schon gar nicht für Ereignisse, die Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen und sich schon allein dadurch jedem belastbaren Beweis entziehen.
Eva-Maria Horstick, Fotografin / Künstlerin, arteve.de
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Wie ich aus eigener Erfahrung mitteilen möchte, wäre ein Verhaltenskodex mehr als sinnvoll. Aus folgenden Gründen: Models sind zumeist sehr jung und unerfahren. Sie fühlen sich von der Anmache mancher Fotografen mehr als belästigt. Aber aus Unerfahrenheit, wie sie damit umgehen sollen, sind die Damen damit oftmals überfordert. Es werden Ihnen zudem Versprechungen gemacht, die sie weiter bringen sollen, wenn sie denn zur Verfügung stehen für andere Leistungen.
In dem Sinne: Nicht immer ist eine Mutter oder ein Vater bei den Shootings dabei. Oftmals sind junge Frauen in dieser Zwickmühle. Was tun? Den Fotografen zurückweisen, beleidigen? Das könnte die Konsequenz haben, eine Karriere aufs Spiel zu setzen. Andererseits möchten Frauen aber sicher nicht auf ihren Körper reduziert werden.
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Ob sich diese Vorgaben durchsetzen, ist eine Frage, die ich leider nicht beantworten kann. Es wäre wünschenswert, Fotografen aus dem Geschäft zu halten, die ihre Sexualität nicht im Griff haben.
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Für mich gab es mehrere problematische Situationen im Leben als junge Frau. Ich wurde mit 16 Jahren in einem großen Werbestudio des Öfteren gefragt, ob ich nicht für Aktaufnahmen zur Verfügung stehe. Einmal habe ich mich sogar im Fotolabor eingeschlossen, weil ich Angst vor meinem damaligen Chef hatte. Als 17-Jährige, ich hatte null Erfahrungen mit Männern, hatte ich mehrmals Angst. Als 20-Jährige wurde ich in einem Verlag belästigt. Das war so unangenehm, dass ich gekündigt
habe. Als ich wieder anfing, als Fotografin zu arbeiten, habe ich mir die Kunst ausgesucht. Ich wollte mit Werbung nichts mehr zu tun haben. Das, was ich erlebt habe, hat mir gereicht.
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Wie ich mich geschützt habe? Die Frage ist eher krass. Meine Antwort: Kündigung.
Ja, ich habe gekündigt. Das kam aber erst später, als Lehrling war das sozusagen unmöglich. Es gab ja damals nicht so viele Ausbildungsplätze für Frauen in dieser Werbeindustrie. Ich selbst habe nur weite Klamotten angezogen. Niemals körperbetonte Mode. Kein Make up. Aber selbst das hielt meine Kollegen nicht ab.
Was die Mode angeht, sind die Frauen heute freizügiger. Das sollte aber niemals bedeuten, dass sie zum Freiwild werden für Männer, die ihren Trieb nicht bändigen können. Auf dieser Grundlage halte ich diesen Kodex für wichtig. Menschen sind keine Ware.
Monika Kluza, Fotografie (BFF, DGPh), www.monikakluza.de
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Eine differenzierte Diskussion ist wichtig. Wichtig ist aber auch, dass sie eben nicht nur mit einem Verhaltenskodex allein abgetan wird, denn der Sachverhalt ist zu vielschichtig. Gleichzeitig darf die Diskussion nicht zu hysterisch geführt werden und das ist ein Balanceakt, den jeder für sich selbst ausloten muss. Die Problematik lediglich auf die Mode- und People-Fotografie zu reduzieren, finde ich tatsächlich sehr blauäugig und zu kurz gegriffen. Der Fokus liegt mir auch zu vordergründig auf Models und Schauspielerinnen. Grenzüberschreitungen treffen nicht nur die, die vor der Kamera agieren – und sie passieren geschlechterübergreifend.
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Den Passus, in dem ein Model während der Aufnahmen nicht alleine mit dem Fotografen, Stylisten etc. gelassen werden darf, finde ich befremdlich. Ist das die Lösung? Wollen wir so arbeiten? Kann man so arbeiten? Ich tue mich schwer damit, es klingt nach Aktionismus und ein ganzer Berufsstand wird unter Generalverdacht gestellt.
Letztendlich passieren diese Übergriffe überall da, wo es ein Abhängigkeitsverhältnis gibt, wo die Strukturen es hergeben. Man kann letztendlich nur an die Selbstverantwortung appellieren und hoffen, dass ein Umdenken einsetzt – ich weiß, es klingt verklärt.
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Ja.
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Man entwickelt mit der Zeit feine Antennen für Menschen und Situationen. Man darf keine Scheu haben, klare Grenzen zu ziehen.
Thomas Schroer, FotoTV-Blogger, Fotograf, Rechtsanwalt, thomasschroeer.de
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Ein „richtiges“ und angemessenes Verhalten ist, egal ob professionelle Produktion oder Amateur-Arbeiten, selbstverständlich und eigentlich nicht schwer, egal ob für Mann oder Frau. Die #MeToo-Debatte hat nun offenbart, was seit Längerem offenbar schon länger schief läuft und einige „schwarze Schafe“ ans Tageslicht gespült. Vor diesem Hintergrund kann ich es nachvollziehen, dass Verlage nun durch Verhaltensregeln sichergehen möchten, dass sich Produktionen an die Grenzen des Anstands halten – auch wenn sicher ein Großteil der Beteiligten von sich aus an Regeln des Anstands hält. Wichtig scheint mir aber, dass über solche Regeln Missstände im Optimalfall vermieden, zumindest aber deutlich reduziert werden, ohne dass im Vorfeld ein Generalverdacht erhoben wird. Das ist sicher ein schmaler Grad. Im Unternehmensbereich findet man seit längerem mit dem Code of Conduct solche ethischen Regeln.
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Es wäre sicher wünschenswert, wenn der Geist der Debatte weiterleben wird. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Bewegung/Debatte beibehalten wird oder abflauen wird, reden wir heute noch vermehrt über magersüchtige Models? Angesichts der großen und prominenten Unterstützung hege ich aber auch Hoffnungen.
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Ich gestehe: Nein. Wenn ich fotografiere – egal ob Portrait, Fashion oder Akt, will ich Bilder machen und keine „Kontakte knüpfen“. Meine Mitstreiter (Modelle, Visagisten, Kunden etc. haben das bislang auch immer so gesehen). Zum einen würde sich jeder andere Gedanke als an Bilder auf deren Qualität auswirken und zum anderen spricht sich ein Ruf in der Community schnell herum.
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Meist arbeite ich mit Profimodellen zusammen. Neben den Vorteilen für die Produktion selbst, ist da meines Erachtens auch sichergestellt, dass sich die Zusammenarbeit rein auf die fotografische Arbeit bezieht. Bei einer Zusammenarbeit mit Amateurmodellen biete ich immer an, dass diese eine Begleitperson
mitbringen können, das Angebot
wird aber kaum angenommen. Zudem sind beim Shooting zumeist weitere Personen anwesend, wie Assistenten, Visagisten und andere. Bei meinen Workshops instruiere ich vorab das Modell, auf potenzielle Fehlverhalten der Teilnehmer zu achten und mir zu melden. Zudem achte ich selbst auf einen korrekten Ablauf. Ansonsten gestehe ich, mich nicht weiter abzusichern.
Dieter Röseler, Fotograf, dieter-roeseler.com
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Natürlich ist er das. Er sollte sich an den geltenden Gesetzen orientieren wie zum Beispiel bei der „Unzucht mit Abhängigen“; allerdings auch an der Unschuldsvermutung eines Verdächtigen, bis das Gegenteil bewiesen ist.
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Der Code of Conduct von Condé Nast ist für den Schutz abhängig Beschäftigter sicher ein Schritt in die richtige Richtung, wenngleich auch dessen Umsetzung die seltsamsten Verhaltensweisen zeitigen wird. So, wie ja jeder halbwegs vernunftbegabte Mann mittlerweile sofort fluchtartig einen Aufzug verlässt – verlassen muss –, sobald eine einzelne Dame die Kabine betritt. Im Zusammenhang mit Condé Nast finde ich jedoch Folgendes sehr viel betrachtenswerter: Der Verlag hat die Zusammenarbeit mit seinem langjährigen, verdienten und renommierten Vertragspartner Bruce Weber einseitig aufgekündigt, bevor ein Urteil gesprochen wurde. Meines Wissens nach sogar, bevor eine Anklage erhoben wurde. Damit spielt sich der Verlag in dieser unseligen Causa zum Richter des Verfahrens auf, liefert eine Vorverurteilung und damit ein faktisches Berufsverbot für Bruce Weber. Das ist, wenn man lediglich den Mechanismus betrachtet, nicht sehr weit entfernt von der mittelalterlichen Hexenjagd; falls überhaupt. Condé Nast wäre zu wünschen, dass niemand mehr für den Verlag arbeitet, bis dieser seine sogenannten Corporate-Governance-Richtlinien wieder deutlich unter das geltende Recht stellt.
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Natürlich gab es die. Nicht selten übrigens. Diese Situationen gibt es immer, wenn jemand, der/die sexuell attraktiv ist, sich im engeren Arbeitsumfeld bewegt.
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Mit dem gesunden Menschenverstand. Wenn die Praktikantin eines Kollegen auch nach dem dritten Hinweis im Hochsommer wieder ohne BH zur Arbeit erschien, wurde thematisiert, dass es doch verdammt frisch sei. Mit eindeutig zweideutigem Blick auf die Region ihres Tops, auf der sich sekundäre Geschlechtsmerkmale allzu deutlich unter dem dünnen Stoff abzeichneten.
Manchmal auch gar nicht: Um die Jahrtausendwende ist das Hotelzimmer meiner freiberuflichen Assistentin häufiger als einmal nicht genutzt worden. Was weder der Kunde, noch meine Assistentin, noch ich selbst monierten. Bis heute. Würde die Dame heute jedoch in das #MeToo-Geheul – trotz des seinerzeitigen Einverständnisses für jede einzelne sexuelle Handlung – einstimmen, hätte ich wohl schlechte Karten. Verdammt schlechte.
Thomas Kellner, Fotograf, thomaskellner.com
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Und ob wir einen Verhaltens-codex für PeoplefotografInnen brauchen: na klar.
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Das wird sich nicht durchsetzen.
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Wenn man Kunst studiert, sitzt man regelmäßig vor einem männlichen oder weiblichen Aktmodell und da gilt: angucken, aber nicht anfassen.
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Problematische Situationen sind mir noch nicht begegnet. Distanz halten. Aufpassen. Nicht alleine in solchen Situationen arbeiten. Ansonsten ist die ganze #MeToo Debatte ziemlich unerträglich. Sexuelle Belästigung geht gar nicht! Die daraus resultierende Prüderie braucht keiner.
Yannis Nikolaou, Director (Women/Men), Place Models, placemodels.com
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Die Situation ist nach meiner Be-obachtung ziemlich entspannt. Meist sind sehr viele Leute am Set, da können sich eigentlich kaum Situationen entwickeln, in denen es zu Übergriffen kommt. Ganz auszuschließen ist es aber auch nicht. Die im Schatten sieht man nicht. In den USA und auch in Südeuropa scheint es anders zu sein.
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Die Einführung von Regeln ist immer gut, weil eine Branche dann anfängt zu diskutieren. Und bei einigen wird dann erst das Bewusstsein für Verstöße geweckt. Ob sich die Vorgaben branchenweit durchsetzen? Dafür müsste man Prophet sein.
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Nein, wir in der Agentur trennen Berufs- und Privatleben.
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Einige Models, die zu uns in die Agentur kommen, ob Frau oder Mann, sind sehr flirty. Wir bereiten unsere Models auf den Job vor und dazu gehört, dass wir vor gewissen Situationen und unangemessenem Verhalten warnen.
Knut Mueller, Fotograf, knut-mueller-artphoto.de
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So unverzichtbar Normen und Regeln für unser gesellschaftliches Zusammenleben sein mögen, so wenig gefällt mir ein Verhaltenskodex, wenn es um etwas so weitgreifend Kreatives wie Mode- oder Peoplefotografie geht. Hier sollte Professionalität reichen, worunter eben auch ein angemessener Umgang mit Modellen fällt.
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Im Zuge von #Metoo und Political Correctness steht zu befürchten, dass sich Oktroyierungen, wie die Condé-Nast-Vorgaben, branchenweit – womöglich noch verschärft – durchsetzen werden. Zeigt doch die Erfahrung, dass sich selbsternannte Moraltaktgeberinnen mit Erreichtem nie zufrieden geben.
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Nein.
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Wenn man – wie ich es tue – Nacktsein in projekthafter Zeichenhaftigkeit einsetzt, kann das nur in gegenseitigem Einverständnis geschehen. Was das Modell nicht will, findet nicht statt. So einfach ist das. Ganz ohne Kodex.
Oliver Rausch, Dozent für Fotografie, fotoschule-koeln.de
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Ein „Verhaltenskodex“ mag für den einen oder anderen Präsidenten unserer Zeit sinnvoll sein. Ich selber halte diesen für weniger sinnvoll, sofern es sich um Menschen mit einer halbwegs normalen Erziehung und der Einsicht in zumindest minimale Anforderungen an einen gleichberechtigten Umgang miteinander handelt. Unter diesen Bedingungen sollte sich jede Frau und jeder Mann als Modell und auch als Fotograf in einem Studio sicher fühlen. Traurig ist nur, dass die Diskussion über einen solchen Verhaltenskodex in unserer Zeit dennoch so dringend nötig ist, nicht für Fotografen speziell, sondern allgemein.
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Ich denke, dass ein guter Fotograf sich nicht anders verhalten sollte als die Regeln des normalen menschlichen Umganges miteinander es erfordern. Ich finde es eher traurig, dass solche „Regeln“ aufgestellt werden müssen. Sind unserer Gesellschaft diese abhanden gekommen, so dass diese jetzt in Nischen neu aufgestellt werden müssen?
Ich arbeite öfter auch mit halbnackten oder völlig nackten Modellen. Und ja, das ist manchmal nicht leicht und erfordert Einfühlungsvermögen und manchmal auch Selbstkontrolle, gerade bei jüngeren Modellen, die sonst leicht „zumachen“ und sich nicht entspannen können. An ein gutes Bild ist dann aber auch nicht mehr zu denken. Allein das ist für mich schon Ansporn genug, sehr viel mehr Selbstkontrolle im Umgang mit dem Modell walten zu lassen, als das im Alltag ohnehin schon normal sein sollte.
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Das problematischste war ein junges Modell, das bei einer größeren Agentur gebucht wurde und ohne Vorankündigung mitsamt Mutter im Studio auftauchte. Sie sollte für ein Business-Shooting eine junge Sekretärin im Hintergrund darstellen. In der Maske stand die Mutter immer einen Schritt hinter ihrer Tochter, beim Fotografieren schon fast im Set. Der Kunde war wenig amüsiert. Insgesamt waren fünf Modelle, zwei Visagisten, Fotograf, zwei Assistenten, Kunde und dessen Team im Studio. Es gab keinen unbeobachteten Winkel. Die Mutter ließ sich aber auch nicht mit wohlwollendem Zuspruch davon überzeugen, dass ihre Tochter hier sicher sei und dass sie mit ihrem Verhalten die Tochter nur noch unsicherer macht. So war der ganze Tag von Misstrauen und peinlichem Berührtsein im Umgang mit der Tochter überlagert. Wenn es keine Deadline gegeben hätte, hätte ich gerne das Modell gewechselt. Hier war der „Ruf“, den Fotografen wohl genießen, bereits so vergiftet, dass ein echtes Arbeiten kaum möglich war.
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Potenziell problematisch waren etliche Shootings mit nackten Modellen. In aller Regel hilft mir dann nur eines. Offenheit. Offenheit über die Absichten des Bildes. Warum muss diese oder jene Szene in halber oder totaler Nacktheit erfolgen. Wieso wird diese oder jene Pose benötigt.
Ich habe oft genaue Vorstellungen von einem Bild und lasse das Modell gerne mit an der Idee arbeiten. Wenn das Modell im Vorfeld sagt, dass es dieses oder jenes nicht möchte, dann geschieht das auch nicht. Wenn die Bildidee es aber erfordert, kommuniziere ich das auch sehr deutlich und wähle bei allem Respekt einfach ein anderes Modell. Wenn dann alles gut läuft, ist es irgendwann völlig egal, wer im Set gerade nackt ist oder nicht. Es geht dann um das Bild, an dem alle mitarbeiten. Das erzeugt eine gewisse entspannte Professionalität und ist für mich Pflicht im Studio.
Frank Bayh & Steff Rosenberger-Ochs, Fotografen / BFF Professionals,
www.frankundsteff.de
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Sinnvoll vielleicht schon, höchst bedauerlich allerdings, dass man ihn scheinbar braucht. Es macht einen durchaus nachdenklich, dass sich in unserer so fortschrittlichen, aufgeklärten, modernen und freien
Gesellschaft immer Leute finden, die mit ihrer Freiheit nicht umgehen können. Ein professioneller, respektvoller Umgang mit den Menschen gerade auch im beruflichen Miteinander sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein und keiner aufoktroyierter Regeln bedürfen. Ist aber leider nicht so. Trotz alledem löst der Ansatz ohnehin nur einen Teil des Problems, denn was ist mit all den Test- und Sedcardshoots und freien Produktionen, bei denen kein Auftraggeber dahinter steht, der sich um die Einhaltung eines Verhaltenskodex kümmert? Viele dieser „Low-Budget-Produktionen“ finden ohne, oder nur mit sehr kleinem Team statt. Weniger Leute am Set = mehr Gelegenheit für Übergriffe oder auch Anschuldigungen, die nachher niemand bestätigen oder widerlegen kann.
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Das bleibt abzuwarten, wie viele Verlage und Auftraggeber da nachziehen. Der Aufschrei wird erstmal groß sein, wie immer, wenn irgendwo Regeln eingeführt werden. Wer seriös und professionell arbeitet, für den ändert sich doch aber nichts, außer dass er vielleicht einen Zettel mehr unterschreiben muss. Man könnte jetzt natürlich argumentieren, dass, wenn alle Wahrscheinlichkeiten bereits im Vorfeld abgeklärt und unterschrieben sein müssen, die spontane Kreativität beim Shoot, Dinge auszuprobieren oder das Fotokonzept zu ändern, eingeschränkt wird. Tatsache ist aber, dass bei professionellen Produktionen in der Regel ohnehin alles im Vorfeld besprochen und festgelegt wird. Es hängt dann nur letztlich davon ab, wie weit die Regulierung gehen wird. Wenn am Ende nicht mal mehr der zufällig vorbeikommende Hund (natürlich mit Einverständnis des Herrchens) im Fotoset sitzen darf, ohne dass darüber ein Vertrag aufgesetzt wird, dann geht die Regulierung sicherlich zu weit. Aber solange sie dem Schutz der Persönlichkeitsrechte aller an der Produktion Beteiligten gilt, ist es in Ordnung. Man wird sich dran gewöhnen, wie an so viele andere Dinge zuvor auch schon.
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Können wir so nicht behaupten. Wir haben uns aber auch schon immer bemüht, einen Fotoshoot zu einem positiven Erlebnis bei uns im Studio oder am Set zu machen. Wer sich wohl fühlt, macht in der Regel einen besseren Job. Wenn wir zum Beispiel mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, kann es auch mal vorkommen, dass die Sofaecke in unserem Studio vollbesetzt mit kaffeetrinkenden Eltern ist. Die haben dann zusammen auch ihren Spaß.
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Die Arbeit als gemischtes Fotografenduo schützt sicherlich vor potenziellen haltlosen Anschuldigungen und gibt auch dem Model ein Gefühl von Sicherheit. Ansonsten ist es der respektvolle Umgang mit allen Beteiligten am Set, die Kommunikation unseres Vorhabens im Vorfeld, um Missverständnisse, was unsere Erwartungen an das Model angeht, von vornherein auszuschließen und eben das oben bereits erwähnte Bestreben nach einer positiven Atmosphäre am Set.