Selbständig sein bedeutet, alles selbst zu machen und das ständig – diese Weisheit ist allgemein bekannt. Freiberufler wie Fotografen legen ihren Fokus dabei gerne auf naheliegende Tätigkeiten, die ein Job mit sich bringt, das Fotografieren, die Bildauswahl, die Bildbearbeitung. Oft eben genau das, worauf der Kunde gerade wartet und was nötig ist, um den Auftrag abzuschließen und eine Rechnung zu schreiben. Andere Aufgaben, die eine Selbständigkeit beinhaltet, für die es aber gerade keine „Deadline“ gibt, werden gerne verschoben, bzw. gar nicht wahrgenommen oder erkannt. Dabei können viele Fotografen deutlich erfolgreicher sein, wenn sie wichtige Aufgaben priorisieren und angehen würden.
Hier über Prokrastination zu schreiben, wäre übertrieben, denn das wäre ein pathologisches Ausmaß von Aufschieberitis und damit nicht nur therapiebedürftig, sondern eine erhebliche Gefährdung für den eigenen Beruf und die Selbständigkeit. Und Berufsfotografen können sich Fehleinschätzungen oder blinde Flecken dieser Art nicht leisten. Trotzdem habe ich manchmal den Eindruck, dass manche ihren Erfolg (unabsichtlich) riskieren, indem sie falsche oder gar keine Prioritäten setzen.
In unseren Gesprächen geht es oft um die Quantität und die Qualität von Jobs. Immer wieder wird bemerkt, dass es an beidem fehlt. Schnell wird auch über das Thema Kunden-Akquisition gesprochen. Enttäuschend ist oft, dass es keine Aktivitäten in dieser Hinsicht gibt oder nie nennenswerte Aktionen stattgefunden haben. Erstaunlich, wie sich die Betreffenden trotz dieser Versäumnisse am Markt behaupten – bis jetzt.
Wie entscheiden wir eigentlich, was zu tun ist, und welche Art von Arbeit suchen wir uns im Berufsalltag? Wir stehen morgens auf, super, kein Termin, dann geht es erst mal mit dem Kaffee an den Laptop. Und obwohl wir eine lange Liste (wenn auch nur im Kopf) mit Aufgaben haben, entscheiden wir uns für eine naheliegende Aufgabe. Eine Aufgabe, die in unserem Blickfeld liegt, bei der wir nicht planen oder nachdenken müssen. Wahrscheinlich auch eine Aufgabe, die wir gerne machen und die uns leichtfällt. Denn Aufgaben, die wir selten erledigen, worin wir nicht so geübt sind oder uns Know-how fehlt, rutschen regelmäßig auf die hinteren Plätze der To-do-Liste. Dazu zählen leider oft die wichtigen Themen wie Kundenansprache oder Neukundenkontakt. Und so werden essentielle Aufgaben von Tag zu Tag geschoben. Eine selektive Wahrnehmung sorgt dafür, dass wir eher das sehen, was wir sehen wollen und dadurch die Aufgaben vorziehen, die in unserem Blickfeld liegen. Ein gut funktionierender Verdrängungsmechanismus – wider besseres Wissen.
Wenn am Ende unseres Gesprächs dann ein umsetzbarer Plan vorliegt, ist die Motivation hoch, denn das Wissen, dass diese Dinge wichtig und erfolgsrelevant sind, war oft schon vorhanden. Aber das Machen gelingt erst mit einem Plan, dessen Umsetzung positive Wirkung für den Arbeitsbereich in Aussicht stellt. Kein psychologischer Trick, nur ein wenig Selbstüberlistung.
Was hilft bei Aufschieberitis? Mit einem Arbeitstagebuch zur Zeiterfassung kann man sich gut selbst analysieren. Aufzuschreiben, wann gearbeitet wird und welche Aufgaben mit welchem Zeitumfang erledigt werden, hilft sich über die eigene Effizienz im Job bewusst zu sein. Bei den vielen Aufgaben, die täglich auf unserer Arbeitsliste stehen, ist außerdem eine Einordnung nützlich: Was ist wichtig und was ist dringend? Ein tägliches Screening der Aufgaben, um sie priorisiert abzuarbeiten, ist nützlich. Dabei sind dringende Aufgaben nicht unbedingt wichtig, nur an einen Termin gebunden, wie zum Beispiel die Rückgabe von Rent-Equipment. Und wichtige Aufgaben sind selten dringend, wie beispielsweise Marketing oder Kundenpflege. Allerdings werden wichtige Aufgaben irgendwann dringend, etwa wenn Akquisitions-Versäumnisse dazu führen, dass zu wenig Jobs da sind. Unangenehm, denn plötzlich sind die Aufgaben wichtig UND dringend.
Soweit muss es nicht kommen. Suchen Sie sich Aufgaben, auf deren Erledigung Sie stolz sein können, kleine Herausforderungen im täglichen Workflow. Behalten Sie dabei Ihren Fokus und fragen Sie sich, ob es Ihren Zielen dient, Ihr Netzwerk verbessert oder Ihren Horizont erweitert. Suchen Sie sich die Aufgaben, die einen positiven und nachhaltigen Effekt auf Ihr Unternehmen haben. Tröstlich: Aufschieberitis ist normal, laut einer Studie der Universität Münster unter 98 % der Befragten.
Und sind Sie ein Macher/eine Macherin?
Silke Güldner berät Fotografen und Kreative bei der richtigen Positionierung, einem erfolgreichen Auftritt und der digitalen Strategie.
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