Rund 100 km nördlich von Tokio liegt die Geburtsstätte der Canon Premium Objektive mit dem roten Ring: Die Canon Lens-Factory in Utsunomiya.
Mehr als 1.700 Mitarbeiter produzieren, designen und entwickeln hier auf über 64.000 Quadratmetern die Premium-Linsen des EOS-Systems. ProfiFoto durfte sich als einer der ersten Besucher seit mehr als 10 Jahren einen Einblick verschaffen.
Mit 130 Millionen Objektiven konnte der japanische Marktführer in diesem Oktober einen Meilenstein setzen – genau 30 Jahre nach der Einführung des EF-Bajonetts im Jahre 1987. Während Bundle-Objektive unter anderem aus Malaysia stammen, nennen die canonischen Meisterstücke Utsunomiya ihr zuhause, denn hier werden die High-End Objektive der L-Serie und Broadcast Linsen gefertigt. Entsprechend hoch waren die Verkleidungsmaßnahmen, die vor dem Betreten der heiligen Hallen zu absolvieren waren. Eingepackt in OP-taugliche Reinraum-Kleidung begann der Weg vom Siliciumdioxid zum 600er Supertele.
Das Glas
SiO2, CaO, PbO oder TiO2 gehören zur Zauberformel für das perfekte Ausgangsmaterial, denn Glas ist bei weitem nicht gleich Glas. Grob unterteilt in Crown- und Flint-Glas, sind vor allem die Typen (Lantern, Flour und Titan) ausschlaggebend für die Beschaffenheit des Materials, das sich vor allem über die sogenannte Abbe Zahl definiert. Diese charakterisiert die optischen dispersiven Eigenschaften von Gläsern, also wie stark sich deren Brechungsindex mit der Lichtwellenlänge ändert. Haben die Entwickler die richtigen Glassorten gewählt und komplexe Kombinationen aus konvexen und konkaven Linsenformen kombiniert – manchmal auch basierend auf der einfachen Formel „trial an error“, wie uns Shingo Hayakawa, Deputy Group Executive of Image Communication Products Operations, verrät – beginnt der eigentliche Produktionsprozess. Und das immer mit dem gleichen Ziel: höchste Abbildungsleistung.
Sphären vs. Asphären
Aufgeteilt in Sphären und Asphären, deren Herstellungsprozess sich durch mehr als nur einen Buchstaben unterscheidet, verlassen jährlich Millionen Linsenelemente für den weltweiten Markt das Werk in Utsunomiya. Bemerkenswert dabei ist, dass in diesem hoch technologisierten Werk, in dem Maschinen bis auf millionstel Millimeter genau arbeiten, die menschliche Hand sowie Erfahrung in der Glasbehandlung unabdingbar sind. Und das in Form von Meistern oder noch besser, den sogenannten Takumis. Einer von ihnen ist Toshio Saito, Senior Architect for Lens Polishing, seit 1981 bei Canon. Einer, der Glas „versteht“. Maschinen können zwar genau fertigen, jedoch fehlt es an Gefühl. Denn trotz der hochpräzisen, maschinellen Vorarbeiten ist nicht jedes Glas gleich und bedarf in den Schleif- und Polierprozessen einer feinfühligen Hand – vor allem was den individuellen Druck betrifft. Und das ist nur denjenigen vorbehalten, die genau dafür teils mehr als 10 Jahre lernen und jedem Objektiv somit auch einen eigenen Charakter verleihen. Mit Fingerspitzengefühl…
Doch wodurch unterscheiden sich die beiden Grundformen eigentlich?
Fünf Schritte sind nötig, um ein sphärisches Linsenelement herzustellen: Schleifen, Glätten, Zentrieren, Polieren (insgesamt drei Durchgänge) und Inspizieren.
Basis für all diese Schritte ist zunächst eine Diamantplatte, quasi die „Mutter“ eines jeweiligen Linsenelements, mit der das Polierwerkzeug hergestellt wird. Während die Platte unbegrenzt genutzt werden kann, muss das Polierwerkzeug – je nach Größe des Linsenelements – nach zehn bis maximal 1.000 polierten Linsen neu hergestellt werden. Denn die Toleranzgrenze bei der Fertigung ist entsprechend gering, liegt sie doch nach dem polieren unter 30nm, was besonders für den Einsatz in 4K-/8K-Objektiven nötig ist. Sollte die Abweichung größer sein, so sind die Maschinen in der Lage, sich während der Poliervorgänge selbst zu korrigieren. Skaliert man diesen Wert auf das Maracana Stadion in Rio, dessen Durchmesser bei 300 Metern liegt, so wäre die maximale Abweichung der Oberfläche von 0,03 Millimetern geringer, als die Dicke einer Plastiktüte. Erstaunlich dabei ist, dass trotz dieser hohen Ansprüche an die Fertigung nahezu jedes Linsenelement die Vorgaben erreicht.
Asphären hingegen sind weitaus komplizierter in der Herstellung, was nicht nur durch ihre komplexere Form begründet ist. Glas molding heißt das Zauberwort. Hier wird der Glasrohling zunächst gewaschen, anschließend erfolgt das Erhitzen, Formen (ca. 30 Minuten), Abkühlen, ein erster Qualitätscheck, erneutes Waschen und der finale Qualitätscheck.
Doch gerade das Abkühlen erweist sich als entscheidender Faktor, denn jedes Element benötigt aufgrund seiner Struktur und Größe eine individuelle Zeitspanne, um zu gelingen. Und je größer die Linse ist, desto komplizierter wird dieser Vorgang. Und hier zeigt sich auch die wahre Ingenieursleistung, denn all diese Prozesse müssen im vorhinein genauestens berechnet werden. Um diese Risiken weiter zu minimieren hat Canon in den letzten Jahren zudem eigene Produktionsmaschinen entworfen, die so an die jeweiligen Ansprüche perfekt angepasst werden konnten.
Haben die einzelnen Linsen die jeweiligen Qualitätstests bestanden, beginnt das letzte Kapitel der Objektivfertigung.
Finale Manufaktur
Durch eine Luftschleuse, mit Mundschutz, Kittel und Haube ausgestattet, betreten wir das Herz des Utsunomiya Werks: die finale Objektivmontage. Zwar gibt es wie in jeder High-Tech Fabrik auch in hier Produktionsstraßen, die ein Objektiv komplett fertigen können, jedoch ist trotz oder gerade Dank der Vielzahl an unterschiedlichsten Kombinationen auch hier der Mensch gefragt. Denn viele der aufwändigen Objektive werden von zertifizierten Experten oder gar von Meistern per Hand zusammengebaut. Diese teils 10 Jahre geschulten Fachkräfte setzten bis zu 400 Einzelteile gekonnt und präzise zu einem Premium-Objektiv zusammen.
Einmal zusammengebaut erfolgt bei jedem Objektiv eine finale Messung der Abbildungsleistung, bei der bei Bedarf noch kleinste Korrekturen erfolgen – natürlich auch hier wieder durch erfahrene Mitarbeiter.
Fazit
Die Flaggschiffe der Canon Objektive sind und werden auch weiterhin die Modelle mit dem roten Ring sein. Die L-Serie überzeugt nicht nur durch ihre hohe Qualität, Präzision und Leistung sondern wird auch zukünftig als erste Serie über neueste Spitzentechnologien verfügen. So ist beispielsweise zu erwarten, dass die bereits jetzt in den Objektiven gespeicherten Informationen noch bedeutender werden, um etwaige objektivabhängige Korrekturen direkt in der Kamera durchführen zu können – also quasi eine Weiterentwicklung der aktuellen DPP Software, die nur einen Teil der Daten für die DLO (Digital Lens Optimizer) Funktion nutzt.
Auch ist im Hinblick auf neue Standards wie 8K, die gesteigerte Ansprüche an die Abbildungsqualität stellen, mit weiteren Innovationen zu rechnen.