Jetzt ist auch noch der Popstar im olivgrünen Kampfanzug, mit Kappe und Zigarre gestorben. Auf den letzten Metern trug er manchmal auch eine Adidasjacke. Aber das wird dem Abziehbild des Revoluzzers nichts anhaben. Fidel Castro war Zeit seiner Regentschaft immer auch ein Popstar und wird dies auch bleiben. Hendrik Neubauer grübelt.
Fidel Castro, der kubanische Revolutionär, ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Er hat sein Leben lang gekämpft und wollte eine gerechtere Gesellschaft und bessere Menschen. So versicherte er in stundenlangen Reden, so wollte es mir scheinen. Auf dem Weg dorthin, war ihm so ziemlich jedes Mittel recht, was wir spätestens heute als antidemokratisch und antihumanistisch brandmarken würden. Der Revolutionär verbannte und verbrannte seine Kinder. 1968 waren auf der Zuckerrohrinsel lange Haare längst verboten. Währendessen hielten Hippies während Ant-Vietnam-Demonstrationen sein Konterfei hoch, Fidel Castro und Che Guevara gerieten zu den langhaarigen, zigarreschmauchenden Symbolen gegen den amerikanischen Imperialismus.
Der Kalte Krieg war auf seinem Höhepunkt. Ich wurde in einem Klima politisch sozialisiert, in dem die USA für ziemlich viele schlechte Dinge standen. Vietnam, Watergate, Pershing…. In den 1960er- und 1970er-Jahren hatte sich ein politisches Klima entwickelt, in dem es verbreitete Meinung war, dass das Leben hinter dem Eisernen Vorhang vielleicht doch nicht so schlecht war. Oder wenn die Lebensverhältnisse als schlecht wahrgenommen wurden, so schien es doch, dass die Menschen zumindest auf einem besseren Weg waren. Ich sang Anfang der 1980er-Jahre gemeinsam mit Geier Sturzflug „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht“. Wer irgendwie linksalternativ war, blickte immer scheel gen Amerika. Und was trieben damals die Menschen auf der karibischen Insel der Gückseligen? Irgendwie Sozialismus light, die Diktatur wurde einfach kassiert. Arm, dafür sexy. Und solange die verchromten Amischlitten immer noch in der Sonne glänzten? So what. Wer jedoch im letzten Jahrzehnt aufmerksam die Nachrichten verfolgt hat, der musste wahrnehmen, dass Castro als Lebenswerk ein verarmtes Land und eine gespaltene Nation hinterlassen hat.
2015 veröffentlichte Peter Turnley das Fotobuch „Cuba – A Grace of Spirit“. Es ist das letzte Buch einer langen Reihe von Fotopublikationen, die dem morbiden Charme der Inselwelt und ihrem überlebenswilligen Bewohnern erlegen sind. Jahrzehntelange drängten Fotojournalisten in das letzte Freilichtmuseum des Sozialismus. Ulrich Rüter lobte in „Leica Fotografie International“ Turnley´s Buch, das „die Eindrücke einer hoffnungsvollen Zukunft“ reflektiert. Turnley glaube fest an die beginnende Öffnung des Landes. Ehrlich gesagt, sehe ich das Fotobuch in einer Tradition von Cuba-Bücher, zu diesen zähle ich auch Rene Burris „Cuba y Cuba“, bei denen die Macher während ihrer Reportagereisen auf der Zuckerrohrinsel ihr Herz und ihren Kopf verloren haben.
Auf dieser Insel galt bis zum Rücktritt des Comandante im Jahr 2006: „Fidel wird es schon richten.“ Aber daran scheinen nicht nur die Kubaner selbst geglaubt zu haben, nein, auch ausländische Regisseure, Künstler und und zuletzt Fotografen stilisierten Castro zum Helden des Humanismus. Dazu gehört auch, dass sich der Diktator meisterhaft zu inszenieren wusste.
Die Journalisten standen Schlange vor Castros Tür. Und er spielte mit ihnen nach Belieben. Die Begleitumstände lesen sich mitunter spannender als die Interviews selbst. Eine Filmcrew machte die Frustration darüber zum Thema und drehte den Streifen: „Warten auf Fidel.“ Den Fotografen Lee Lockwood ließ Castro 1965 Monate lang warten, ein paar Fotos hatte der zwar schon im Kasten, aber er wollte unbedingt noch ein Interview. Von Mai bis August harrte der Fotojournalist aus, als dann er ersehnte Anruf kam, dauerte es noch einmal zwei Wochen.
Die Niederschrift umfasste 380 Seiten und wurde unter dem Titel „Castro´s Cuba, Cuba´s Fidel“ veröffentlicht.
Diese Allüren gereichen jedem Popstar zur Ehre. Der 1,91 Meter große Macho mit Zigarre rockte bis zu seinem Rücktritt die Medienwelt. Zweifel prallten nicht nur an seinem Ego ab, sein Ruf und Bild vom charismatischen Führer im Westen blieb weitgehend unerschüttert. Egal wie viele Sportler sich bei Olympischen Spielen von der kubanischen Equipe absetzten. Die Wenigsten wollten wahrhaben, dass sie aus einer Diktatur flüchteten, die sich ihres Gesundheits- und Bildungssystems rühmte, während die Schattenwirtschaft auf der Zuckerrohrinsel blühte – Zigarren, Schnaps und Prostitution.
Der Held Fidel hat sich abgelöst von den Taten. Che Guevara ist ihm 1967 vorausgegangen. Es sei noch mal daran erinnert, dass der Fotograf Alberto Korda dem italienischen Verleger Feltrinelli ein Foto von Che Guevara schenkte, dass dieser weltweit als Poster vermarketete. Das Foto steht in der westlichen Welt für radikalen Chic. Fidel schlappte seinem alten Kumpel und Popstar ikonografisch immer ein bisschen hinterher. Jetzt sind sie im Pophimmel vereint und können endlich wieder zusammen eine schmauchen.
Aber sind nicht nur Kordas Fotos, die den Mythos der kubanischen Revolutionäre auch im 21. Jahrhundert aufrecht erhalten werden. Benedikt Taschen dürfte sich gerade die Hände reiben. Er hat im Frühjahr 2016 „Castros Kuba“ von Lee Lockwood veröffentlicht. „Fidel, hasta siempre“.
P.S. Ich las bei der Recherche zu dieser Kolumne einen guten Satz: „Die Jahresrückblicke mit den Schwarzweiß-Fotostrecken sind zum Gutteil im Kasten. Ab jetzt lohnt Überleben.“
Ulrich Rüber über Peter Turnley „Cuba – A Grace of Spirit“ (2015)
https://lfi-online.de/ceemes/en/blog/book-of-the-month-october-857.html
Fidel Castro. 133 Blicke auf den Máximo Líder. Ein Kaleidoskop. Jeanette Erazo Heufelder
Lee Lockwood. Castros Kuba. Ein Amerikaner in Kuba. Reportagen aus den Jahren 1959–1969. 2016. Taschen Verlag
Alberto Kordas Filmrolle vom 5. März 1960
https://de.wikipedia.org/wiki/Alberto_Korda#/media/File:KordaFilmRollChe.jpg
Foto: © Michael Kneffel 2016