Rauchen kann geheimnisvoll sein. Lässig. Erotisch. In seiner Kolumne schaut Hendrik Neubauer in die Fotografiegeschichte und widmet sich der Frage: Was wäre die Fotografie ohne die Kippe?
Die Raucherlunge aus dem Bio-Unterricht ist zurück. Seit dem 20. Mai 2016 sind die Hersteller verpflichtet „Teerlungen“, „Raucherbeine“ und „schwarze Kauleisten“ auf ihre Zigarettenpackungen zu drucken. Nicht dass diese Schocktherapie – ein Bild sagt mehr als der Satz „Rauchen macht impotent“ – nicht zur Genüge diskutiert worden wäre. Wissenschaftler haben bewiesen, dass vor allem nichtrauchende Männer und Frauen sich von dieser erzieherischen Maßnahme abgeschreckt fühlen. Der Nikotin-Junkie hingegen zeigt sich unbeeindruckt, besonders wenn er gerade auf Entzug ist. Und stimmt eigentlich meine und damit nicht repräsentative Beobachtung, dass heutzutage vor allem Frauen den Glimmstängeln verfallen sind? Männer lassen fast nur noch beim Grillen Rauch aufsteigen und verpesten die Luft über deutschen Gärten und Parks mit angesengelten Würsten und Koteletts? Okay, auf dem ProfiFoto-Chefsessel sitzt ein fleißiger Raucher, der soll aber auch gut grillen können.
Ein Aspekt kam in dem ganzen Empörungsgeheul wesentlich zu kurz. Das Rauchen als Kulturleistung und Motiv vor allem in der Fotografiegeschichte. Neulich sprach ich mit meinem Freund Michael darüber. Er ist einer, der genau weiß, worum es geht. Er hat, obwohl er seit Ewigkeiten nicht mehr raucht, immer noch eine Packung Gitanes Mais im Regal mit den Bildbänden liegen. Manchmal öffnen wir die Schachtel und schnuppern daran und dann stoßen wir beide mit einem Glas Pastis an, ohne Eis und ohne Wasser. Die Fluppe denken wir uns dann dazu.
Rauchverbote wohin man schaut. Wo nur noch Kontrolle ist, ist nur noch Risiko. Verbietet uns doch das Rauchen immer und überall! Schützt die Nikotinabhängigen vor dem Gift und die Welt vor den Stinkern! Schreibt keine Warnungen mehr auf Tabakpäckchen, sondern bestraft jeden, der das Zeugs in Umlauf bringt! Sollten unsere Enkel dann doch mal einen alten Film mit Humphrey Bogart sehen, dann können wir uns schon mal auf die Frage vorbereiten: „Was ist das für ein komischer weißer Stängel, den der Mann da im Gesicht trägt?“ Oder werden in Zukunft die Raucher aus den Filmen retuschiert, was bei Bogart-Streifen schwer fallen dürfte? Aber ist nicht 2005 Jean-Paul Sartre, 1946 bei einer Theaterprobe fotografiert, für ein Ausstellungsplakat der Zigarettenstummel entfernt worden, dem französischen Tabakwerbeverbot sei Dank.
„Nur was wäre die Porträtfotografie ohne die Kippe?“, fragt Michael. Mir fällt sofort das Bild von August Sanders drei Jungbauern aus dem Jahr 1914 ein. Da stehen sie, wie en passant erwischt, als hielten sie nur kurz inne und wendeten sich dem Fotografen zu. Die Anzüge mit breitkrempigen Hüten, die Spazierstöcke fest in der Hand. Der junge Mann links mit einer Zigarette zwischen den Lippen – damit war er seiner Zeit weit voraus, denn die Zigarette war gerade erst dabei sich als Markenartikel zu etablieren. Dann holt mein Freund „Black Star. 60 Years of Photojournalism“ aus dem Regal. Er schlägt das Porträtkapitel des Jubiläumsbandes auf und fragt mich: „Und, wer raucht in diesem Kapitel?“ Ich sollte es wissen, denn ich habe den Band 1997 herausgegeben. „Sartre? Brecht?“ Ich taste mich langsam heran. Michael tippt auf das großartige Porträt von Werner Wolff. Fred Steins Foto von Bert Brecht dagegen lässt sein eigentliches Markenzeichen, die Zigarre, vermissen. Der unermüdliche Pfeifenraucher Henning Christoph hat Willy Brandt selbstverständlich mit einem Zigarillo abgelichtet. In Denkerpose. Wir reden über die geistige Bestimmung des Rauchens und den Schimmer des blauen Dunst auf den Bildern. James Dean schlendert mit hochgeklapptem Mantelkragen und Zigarette im Mundwinkel im Regen auf dem New Yorker Times Square, in Szene gesetzt von Dennis Stock. Das Foto kommt heute noch lässig rüber und ist zur Stilikone der 1950-er Jahre geworden.
Heute ist es einach nicht mehr angesagt, sich mit Glimmstängel in der Hand sehen zu lassen. Wie auch, wo das Rauchen an den meisten Orten verboten ist. Unter ästhetischen Aspekten ist das jedoch jammerschade. Denken wir an die Horst P. Horst-Porträtaufnahme der jungen Coco Chanel – ausgestreckt auf einer Chaiselongue mit Zigarettenstummel in der Hand. Selten sah man die bezaubernde Sophia Loren in jungen Jahren auf Fotos ohne Zigarette. Das stand ihr sehr gut. Als Michel Comte sie 1992 in einem Leopardenmantel fotografierte, schaute sie zwar immer noch verrucht, sie hatte das Rauchen aber aus Gesundheitsgründen schon längst drangegeben.
Ich plädiere hiermit für Tabakwaren als Requisiten in jedem Fotostudio. Rauchende Modelle verleihen den Fotos mitunter Glamour, Sex-Appeal und eine Portion Verruchtheit. Ich möchte auch in Zukunft nicht auf derartige Aufnahmen verzichten. Mein Paradebeispiel findet sich in dem Link anbei: Kate Moss fotografiert von Peter Lindbergh, 2015 für das Magazin Vogue. Es gibt diesen einen Moment, in dem der aufgebauschte Atem an ihr hängt wie ein Diadem. Ich als Ex-Raucher wünsche mir Fotos mit Menschen, die mir was vorrauchen und dabei geheimnisvoll aussehen. Würde man mich nur fragen.
Kate Moss
https://www.youtube.com/watch?v=vlKucSebjNc
Helmhotz Gesellschaft: Was bringen Schockbilder?
http://www.helmholtz.de/wissenschaft_und_gesellschaft/was-bringen-schockbilder-auf-zigarettenpackungen-5360/
Wer sich für die „Poesie“ der EU-Richtlinie interessiert, ist hier richtig. Interessant dabei ist auch, es gibt ein Bildarchiv, aus dem die Hersteller sich bedienen müssen. Die EU bestimmt vollumfassend den Ekelfaktor, es könnten ja kreative Menschen auf den Gedanken kommen, den „Ekel“ neu zu erfinden:
EU-Richtlinie 2001/37
Text: Hendrik Neubauer © 2016
Foto: Michael Kneffel © 2016