Das im März 2020 veröffentlichte Konzept eines Bundesdeutschen Instituts für Fotografie ruft in der Fotoszene zahlreiche Kritiker auf den Plan. Eine Entscheidung soll erst im nächsten Jahr erfolgen. ProfiFoto Chefredakteur Thomas Gerwers unternimmt den Versuch, den aktuellen Stand der Debatte zusammen zu fassen.
Am 10. März 2020 überreichte die von Staatsministerin für Kultur und Medien Prof. Monika Grütters MdB beauftrage Expertenkommission bekanntlich ihr Konzept für ein Bundesinstitut für Fotografie. Darauf folgten unter anderem Statements des favorisierten Standorts Essen und vom „Verein zur Gründung und Förderung eines Deutschen Fotoinstituts e. V.“ in Düsseldorf. Vielen in der Fotoszene erscheint indes weniger wichtig, ob dieses Institut in Essen, Düsseldorf oder andernorts entsteht, als vielmehr die Frage, welche Aufgaben mit welchen Mitteln angegangen werden sollen, geht es doch um weit mehr als um die Einrichtung eines Archivs. Als Mitglieder der Kommission berufen hatte Grütters Prof. Ute Eskildsen, Prof. Dr. Thomas W. Gaehtgens, Doz. Katrin Pietsch und Prof. Thomas Weski, die von Carolin Förster, M.A., mit Recherchen unterstützt wurden.
Konzept der Kommission
Die Gründung eines Bundesinstituts für Fotografie wäre, so der Expertenrat, ein klares Signal der Bundesregierung, der Fotografie den Rang einzuräumen, der ihr gebührt. Es soll der Sichtbarkeit der Fotografie als Medium in der ganzen Breite ihrer Anwendungen und den Leistungen hervorragender zeitgenössischer deutscher Fotografinnen und Fotografen im nationalen und internationalen Rahmen dienen und die Zusammenarbeit in diesem Bereich fördern. Als Rechtsform empfiehlt die Kommission eine auf Dauer angelegte, gemeinnützige Stiftung des öffentlichen Rechts. Die besondere Fürsorge des Bundesinstituts solle den Vor- und Nachlässen herausragender zeitgenössischer und in diesem Zusammenhang vor allem auch den künstlerischen Fotografen gelten, die einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Fotografie und fotografischer Ausdrucksformen geleistet haben. Die vom Bundesinstitut in seine Sammlung aufgenommenen fotografischen und dokumentarischen Bestände sollen als Quellenmaterial für die kunstwissenschaftliche, fotohistorische sowie medien- und bildgeschichtliche Forschung dienen. Außerdem soll das Bundesinstitut die notwendige Forschung in Fragen der Restaurierung und Konservierung leisten, um an der international rasant fortschreitenden technologischen und industriellen Entwicklung der Trägermaterialien, Farben oder der digitalen Speicherung teilzunehmen und die Resultate zu vermitteln. Damit soll das Bundesinstitut für Fotografie auch andere bestehende museale und archivarische Einrichtungen durch seine fachliche Expertise bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen und beraten und dabei nationale und internationale Standards setzen.
Ziel des Bundesinstituts soll nach Willen der Experten sein, Wissen und Exzellenz zu bündeln und zu produzieren und seine Forschungsergebnisse durch Ausstellungen, Publikationen und Veranstaltungen zu vermitteln. In Absprache mit den Urhebern der Werke und unter Einbeziehung rechtlicher Beratung sollen außerdem Richtlinien und Methoden im Rahmen von Neuproduktionen von Abzügen entwickelt werden.
Die Standortfrage
Als möglichen Standort empfiehlt die Kommission aufgrund der dort vorhandenen Konzentration von Einrichtungen und vorhandener Sachkompetenz zum Schwerpunkt Fotografie die Stadt Essen. Dabei hat das Land Nordrhein-Westfalen bereits frühzeitig und mit Nachdruck seine Unterstützung für das Bundesinstitut in Düsseldorf zugesagt.
In Essen etablierte Institutionen wie die Folkwang Universität der Künste, das Historisches Archiv Krupp, das Museum Folkwang und die Stiftung Ruhr Museum bewahren gemeinsam bereits heute weit mehr als 6,5 Millionen Fotografien. Die Ruhrgebietsstadt verweist außerdem auf ihre lange Kontinuität in Lehre und Forschung zur Fotografie, die mit der Gründung der Folkwangschule bis ins Jahr 1927 zurückreicht. Die in Essen ansässige Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung fördert seit Jahrzehnten unter anderem Fotografie-Projekte. Als Standort des Instituts bietet sich das UNESCO-Welterbe Zollverein an.
Die bereits vor Veröffentlichung des Konzepts als Standort vorgepreschte NRW Landeshauptstadt Düsseldorf setzt dagegen in ihrer Planung auf einen Neubau. Dafür hatte das Land NRW und die Stadt Düsseldorf bereits die Finanzierung zugesagt und ein Grundstück in bester Lage am innerstädtischen Hofgarten direkt am Ehrenhof mit seiner kulturellen Infrastruktur mit traditionsreichen Kunstinstitutionen zugesagt. Erste Entwürfe für den damit verbundenen Neubau zeigen ein modernes Gebäude mit offener Architektur. Dem Vorwurf einer mangelnden eigenen Konzeption trat Anfang Mai der eigens ins Leben gerufene „Verein zur Gründung und Förderung eines Deutschen Fotoinstituts e. V. (DFI e. V.)“ entgegen. Die sieht vor, ein Kompetenzzentrum zu Fragen der Präsentation und Vermittlung, Erforschung, Sammlung und Erhaltung analoger, digitaler und hybrider Formen des fotografischen Erbes entstehen zu lassen, und zwar „als umfassendes Archiv fotografischer Kultur, dass an einem Ort deren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereint“, so das Konzept. Gesichert und gesammelt werden sollen dort relevante fotografische Vor- und Nachlässe, um sie exemplarisch aufzuarbeiten. Dabei will man explizit den unterschiedlichen Existenzformen von Fotografie Rechnung tragen und verschiedenste Bereiche des Mediums berücksichtigen. Das DFI will als Dialogpartner und Vermittler zwischen Künstlern und Fotografen sowie Forschung und Industrie fungieren. Außerdem soll in Düsseldorf eine Beratungs- und Servicestelle zu Fragen rund um die Erhaltung von Fotografie und eine Denkfabrik entstehen, an der Grundlagenforschung betrieben wird. Das Ganze soll dabei keine Konkurrenz zu bestehenden Sammlungen und Institutionen für Fotografie in Deutschland bilden, sondern deren langfristiger Partner sein. In diesem Sinne will das DFI regional, national und international mit Kulturinstitutionen, Fotoarchiven, Universitäten, Regierungsbehörden, Bundesforschungseinrichtungen und Industrie kooperieren und den Austausch mit Bildschaffenden sowie Interessens- und Berufsverbänden fördern. Wissenschaftliche und technologische Standards, die das DFI für seine interne Nutzung erarbeitet, sollen als Empfehlung für fotosammelnde Institutionen und Organisationen gelten, um in einen konstruktiven Austausch zu kommen.
Netzwerk
Vor allen Dingen Vertreter des bundesweit verstreuten, einschlägigen Archive, Museen und Sammlungen hören das nicht ungern. Dr. Jens Bove, Leiter Deutsche Fotothek und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft kunsthistorischer Bildarchive und Fototheken, und Sebastian Lux, Geschäftsführer der Stiftung F.C. Gundlach, favorisieren gar ein viele Standorte umfassendes, lediglich zentral gelenktes Deutsches Fotoinstitut.
Dr. Jens Bove und Sebastian Lux sehen aber noch einen weiteren Schwachpunkt im Konzept der Grütters-Kommission: „Ein Fokus ausschließlich auf in der internationalen Kunstszene rezipierte Fotografie griffe bei weitem zu kurz“, denn schließlich zeichne sich die Fotografie gerade durch ihre Bandbreite als ein Medium aus, das gesellschaftliche, politische, kulturelle und nicht nur künstlerische Tendenzen umfassend reflektiert. Auch für die von verschiedenen Verbänden und Einzelpersonen ins Leben gerufene Interessengemeinschaft „Fotografisches Gedächtnis“ kann es nicht allein um künstlerische oder Autorenfotografie gehen.
Sebastian Lux: „Um tatsächlich ein visuelles Gedächtnis zu etablieren, müssen wichtige Positionen angewandter Fotografie und des Bildjournalismus unbedingt einbezogen werden. Spätestens dann allerdings wird das Feld so weit geöffnet, dass es über den Wirkungsgrad einer einzelnen Institution weit hinausgeht. Diese Aufgabe löst kein monolithischer Bau, diese Aufgabe kann nur in einem Netzwerk von bestehenden Institutionen wahrgenommen werden, von einem auf verschiedene Kompetenzzentren verteilten Deutschen Fotoinstitut. Kooperationen zwischen diesen Institutionen sollten und dürfen unseres Erachtens nicht als Kür betrachtet werden, sondern vielmehr als Organisationsprinzip des Instituts.“ Dr. Jens Bove: „Vor diesem Hintergrund halten wir es für unbedingt notwendig, nicht nur die quasi als „Initiativbewerbungen“ vorliegenden Konzepte aus Düsseldorf und Essen zu diskutieren, sondern ein geordnetes Verfahren zu eröffnen, das auch und gerade orts- und länderübergreifenden Konzepten Raum bietet.“
Bereits im August 2019 bat Freelens Geschäftsführer Lutz Fischmann für die Interessengemeinschaft „Fotografisches Gedächtnis“ in einem Schreiben Kulturstaatsministerin Monika Grütters darum, nicht zu übersehen, „dass es schon seit längerer Zeit Einrichtungen – Archive, Museen und Sammlungen – gibt, die speziell auf die Belange der Fotografie ausgerichtet sind und die auf unterschiedliche Weise für den Erhalt der Fotografie Sorge tragen.“ So sei bereits 2011 der Verein „Netzwerk Fotoarchive“ von Vertretern einschlägiger fotografischer Institutionen gegründet worden, dessen Hauptintention ist, über eine breite Vernetzung sachkundig zu beraten und so für den Erhalt relevanter fotografischer Vor- und Nachlässe zu sorgen.
Das künftige Bundesinstitut soll daher nach Meinung von Lux und Bove zwar eine zentrale Steuerung vorhandener Institutionen wahrnehmen, jedoch keinesfalls deren Autonomie infrage stellen. „Ein zukünftiges Deutsches Fotoinstitut muss sich als eine Summe von Orten des visuellen Gedächtnisses verstehen, aber gleichermaßen auch als aktive, gestaltende Knoten eines nationalen wie globalen Infrastrukturnetzwerkes“, so beide in ihrer Stellungnahme.
Und jetzt?
Während NRW Ministerpräsident Armin Laschet und der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel durch ihr Vorpreschen in der Standortfrage zur Verärgerung von Kultur-Staatsministerin Grütters und der von ihr beauftragten Expertenkommission beigetragen haben, die sich am Ende möglicherweise auch deshalb für Essen als Standort aussprachen, kritisiert die Interessengemeinschaft „Fotografisches Gedächtnis“, dass die Kommission der Vielfalt und den Hauptströmungen der Fotografie nicht gerecht geworden sei. Lutz Fischmann: „Nicht von ungefähr haben sich im Verlaufe der Geschichte der Fotografie die verschiedensten Interessenvertretungen etabliert, um den jeweiligen spezifischen Anforderungen Gewicht zu geben. Dem hätte das Expertenteam personell Rechnung tragen müssen, genauso wie den von speziellem Wissen und Berufserfahrungen geprägten Fotografenverbänden. Zugleich hätten Vertreter der Wissenschaften, die sich mit Fotografien als Quelle und Forschungsgegenstand befassen, personell einbezogen werden sollen, um eine möglichst umfassende Betrachtung fotografischer Bilder zu gewährleisten.“
Angesichts des offenkundig gescheiterten Versuchs, die unterschiedlichen Positionen und Begehrlichkeiten innerhalb der Fotoszene durch die Einberufung eines Expertengremiums zu Einen, besteht durchaus das Risiko, dass Monika Grütters die Pläne zur Gründung eines Fotoinstituts doch wieder auf Eis legt, zumal die durch die Coronakrise zwischenzeitlich geleerten öffentlichen Kassen diesen Schritt zusätzlich nahe legen.
Doch noch ringt die Staatsministerin um einen Kompromiss. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk plädierte sie jüngst für eine mögliche „Verlinkung“ der rivalisierenden Städte Essen und Düsseldorf.
Dazu habe sie eine entsprechende Machbarkeitsstudie bei der Beratungsagentur „Partnerschaft Deutschland GmbH“ in Auftrag gegeben. Grütters kann sich vorstellen, neben einem Bundesinstitut in Essen einen Ableger oder Showroom in Düsseldorf anzusiedeln. Das Ergebnis der Machbarkeitsstudie wird bis Anfang 2021 auf sich warten lassen.
https://netzwerk-fotoarchive.de