Arnold Odermatt war Dorfpolizist – und ein kriminell guter Fotograf, so Susanne Kippenberger vom Tagesspiegel, Berlin. Die Kunsthalle Erfurt hat die im Februar eröffnete Ausstellung „Arnold Odermatt – Polizist, Photograph, Schweizer“ bis zum 31. Mai 2020 verlängert.
Die von Daniel Blochwitz kuratierte Werkschau mit fast zweihundert Arbeiten auf vier Etagen hat bislang kaum jemand sehen können, da das Haus kurz nach der Eröffnung schließen musste.
Im obersten Raum der Ausstellung „Arnold Odermatt ‒ Polizist, Photograph, Schweizer“ ist die Installation „Die Dunkelkammer des Arnold Odermatt“ mit Originalrequisiten des Künstlers eingerichtet: Der chemiefleckige Laborblaumann im bernsteinfarbenen Licht der Dunkelkammer, mit Gaffer-Tape geflickte Arbeitsgeräte, Agfa-Schachteln mit Pausenimbiß neben dem dienstmüden Durst-Vergrößerer aus dem Südtirol, die Rolleiflex neben der Nidwaldner Polizeiuniform ‒ beide von den Jahren im dienstlichen Einsatz gezeichnet. Dazu nie gezeigte Filmaufnahmen aus der Dunkelkammer ‒ Arnold Odermatt ringt den Tücken des Fotolabors Baryt-Abzüge für die Ausstellung ab. Immer mit dem Ziel: Ein gutes Bild muss scharf sein!
Eine Werkschau mit Filmen von Urs Odermatt und Arnold Odermatt sollte die Ausstellung begleiten. Die Filmabende sind wegen der Auflagen der thüringischen Landesregierung jedoch nicht möglich; die Filme sind als DVD, als DCP oder als VoD greifbar.
Interview
Arnold Odermatt zum 95. Geburtstag
Was ist Fotografie für Sie?
Fotografie war der Ausweg. Bei meinem Eintritt in die Kantonspolizei Nidwalden vor über siebzig Jahren bekam ich die Aufgabe, Autounfälle mit Bleistift, später mit Tusche zu skizzieren. Ich konnte nicht zeichnen und fotografierte die Autounfälle vom Standpunkt, an dem die Übersichtskizze entstanden wäre. Gegen den Willen und zum Entsetzen meines Vorgesetzten. Er kannte die Fotografie nicht und war überzeugt, dass Fotos ‒ anders als Bleistiftzeichnungen ‒ Fälschungen Tür und Tor öffneten. Mein Vorgesetzter hielt mir ein Hotelplakat unseres Hausbergs Stanserhorn ‒ der Fotograf hatte für Touristen das Matterhorn mittels Doppelbelichtung in den Bildhintergrund montiert ‒ unter die Nase: der Beweis für die Lüge der Fotografie!
Später war ich Zeuge, wie ein Richter meinen Vorgesetzten überschwenglich für die Einführung der Fotografie bei Ermittlung und Protokoll lobte. Mein Vorgesetzter drehte auf der Stelle und verfügte, daß Polizeibeamte Autounfälle künftig nicht mehr skizzierten, sondern fotografierten. Ich war der einzige, der wusste, wie man einen Film in die Kamera legt.
1925 wurden Sie in Oberdorf, Nidwalden, geboren. Wie war die Jugend?
Wir waren elf Kinder, sechs Buben und ein paar Mädels. Wir lebten, von was Garten und Stall hergaben. Der Vater war Kantonsförster und als Kavallerist ‒ wie die meisten Nidwaldner ‒ fast immer in der Armee. Die Mutter kümmerte sich um Kinder, Haus, Garten, Stall, Steuern, Geld und Buchhaltung und war froh, dass sie nicht noch den Sonntagsfußmarsch zur Wahl gehen musste. Wenigstens die Politik sollten die Männer allein auf die Reihe kriegen; Armee und Politik waren in Nidwalden patriarchal ‒ das Leben funktionales Matriarchat. Hunger gab es nicht, wir hatten ein Dach über dem Kopf, und die Küche war im Winter geheizt. Der Älteste wird Haus und Hof bekommen, ein Kind gehörte der Kirche, und es musste irgendwie gehen, dass der Jüngste studieren konnte.
Sie begannen nicht als Fotograf, sondern als Bäcker?
Nicht als Bäcker, sondern als Konditor. Üppige Hochzeitstorten waren meine Spezialität. Anders als heute fühlte ich mich dabei als Künstler. Das war in La Chaux-de-Fonds im Neuenburger Jura, um französisch zu lernen; dieser Austausch über die Sprachgrenze in jungen Jahren war gute eidgenössische Tugend. Wenn man morgens um vier in der Backstube steht und mit den Hühnern schlafen geht, hält sich der Sprachkontakt aber in Grenzen. Bald bekam ich eine Mehlstauballergie, musste in der Konditorei aufhören und beschloss, in den Belgisch-Kongo auszuwandern. Dann wären die Gesichter auf meinen Fotografien heute nicht so bleich.
Mein Vater wollte vom bereits gepackten Überseekoffer für den Belgisch-Kongo nichts wissen und meldete mich kraft seines Amtes bei der Kantonspolizei Nidwalden an. Es gab Bewerber, die weit besser qualifiziert waren, aber Vater Arnold Odermatt, der Kantonsförster, setzte durch, dass Französisch-bis-sieben-zählen-können das entscheidende Kriterium für einen Polizisten sei, und ich wurde gewählt. Etwas Afrika hatten wir auch in Nidwalden.
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https://www.nordwestfilm.ch/arnold-odermatt-interview-95.html