Im Januar dieses Jahres hatte ProfiFoto bereits berichtet: Der Trennbildfilm ist gerettet! Der neue ONE INSTANT Packfilm unterscheidet sich sowohl in seiner Charakteristik von bisherigen Typ 100 Filmen als auch bei der Produktion: Basierend auf einem radikal neuen Konzept werden sämtliche Komponenten des ONE INSTANT Trennbildfilms sowie dessen aus Papier bestehende Filmkassette in Wien von einem kleinen Team per Hand hergestellt.
Die erste Auflage des neuen Packfilms basiert auf einem P7 Color Film, der aus original Polaroid P7 Material hergestellt wird, das von der 20×24 Holdings LCC in Ashland, MA bereitgestellt wird. Daraus werden etwa 50.000 Single Shot Kassetten produziert. Künftige Auflagen von ONE INSTANT sollen auf anderen Filmmaterialien basieren und andere Charakteristika bieten.
Nichts ist impossible
Nachdem Fujifilm bereits Anfang 2016 ankündigte, die Packfilm-Produktion einzustellen, und man die Japaner trotz einer Unterschriftensammlung sowie der Unterstützung potenter Finanzgeber, weder dazu bewegen konnte, den Film weiter zu produzieren, noch die Maschinen zu verkaufen, hat Florian „Doc“ Kaps entschieden, trotzdem nicht aufzugeben – wieder einmal: denn schon vor einigen Jahren konnte er, entgegen aller Prognosen und Trends, mit „The Impossible Projekt“ den Polaroid-Integralfilm retten und damit einen phänomenalen Erfolg erreichen.
Zu dieser Zeit, während Digitalkameras voll im Trend lagen und die analoge Fotografie als Massenmedium ablösten, hat man eine Zukunft des Polaroidfilms als „impossible“ ausgeschlossen. Wenig später war „Impossible Film“ dann aber auf dem Markt – und das äußerst erfolgreich. Inzwischen werden wieder Millionen dieser Polaroids gemacht und unter unterschiedlichsten Markennamen bringen Hersteller mehr Sofortbildkameras auf den Markt als je zuvor. Der Erfolg des Integralfilms scheint ungebrochen, gerade bei jungen Zielgruppen; und das trotz oder gerade wegen der Smartphone-Fotografie.
Die Situation rund um den Trennbildfilm war und ist eine vollkommen andere. Es befinden sich weit weniger Kameras – besser gesagt Kamerarückteile – auf dem Markt der Packfilm bedient eine Nische. Offensichtlich spielte das aber eine untergeordnete Rolle: „Es ging die ganze Zeit darum, nicht aufzugeben und wieder mal an das unmögliche zu glauben und die Welt nach Alternativen zu durchsuchen“ beschreibt Florian „Doc“ Kaps die Zeit der Vorbereitung und Umsetzung des Projekts.
„The Thing“
Die alles entscheidende Inspiration dafür fand Kaps schon Jahre vorher, bei einem Besuch in Ashland, wo ein kleines Team an einem „neuen Polaroid Typ 55“ experimentierte. Der 4×5 Zoll Film Typ 55 ist für viele Profifotografen einer der schönsten Polaroid Schwarzweißfilme. Bei Crowley und seinem „wilden New 55 Team“ lernte Kaps erneut und von Grund auf, was es bedeutet, zu improvisieren. Anders als es Kaps aus Enschede in den Niederlanden kannte, wo er den neuen Impossible Integralfilm mit einem versierten Team und bestehenden Maschinen nachbilden konnte, hatte Bob etwas Unglaubliches geschafft: Aus Pressspanplatten, alten Haarföhnen und anderen Teilen aus dem lokalen Baumarkt konstruierte er an diesem besonderen Ort, in der Nähe von Boston, eine voll funktionsfähige Beschichtungsanlage und produzierte damit einen neuen Typ 55. Er nannte diesen Teil der Manufaktur „THE THING“. Für Florian Kaps war klar: Es scheint auch anders möglich zu sein. Für ihn war das der ausschlaggebende Impuls, Filmproduktion vollkommen anders zu denken. Die „Katastrophe“, dass es keine Maschinen und Reste der alten Typ 100 Produktion gab, wurde also zur Chance: in geringerem Umfang und ohne Millioneninvestitionen – eine feine, kleine Manufaktur statt einer Monsterfabrik.
Die später gestartete Kickstarter-Kampagne wurde ein durchschlagender Erfolg: Durch die über 2.000 Unterstützer, die das geplante Finanzierungsziel von 177.000 Euro mit 219.052 Euro weit über alle Erwartungen übertroffen haben, wird diesem legendären Filmformat eine nachhaltige Zukunft gesichert.
Auf der Baustelle, direkt neben dem Wiener SUPERSENSE Palast, wo das neue Restaurant Dogenhof entsteht, trafen wir Kaps wieder: „Wir mussten leider stoppen“, verriet uns der Analogvisionär: „Als uns bewusst wurde, dass wir mehr als 18.000 Kassetten von Hand einzeln, Stück für Stück, und anders als bei Polaroid seinerzeit, ohne Einsatz von Maschinen fertigen müssen, wurde uns schwindelig“.
Betritt man die Manufaktur auf der Wiener Praterstrasse könnte man sich auf Kuba in einer Zigarrenmanufaktur in Havanna wähnen, nur hängen statt feiner Tabakblätter handverlesene Negative an den dafür gebauten Konstruktionen über den Köpfen der Teammitglieder. Es duftet angenehm, doch das ändert sich schlagartig, wenn man in die Nähe der Entwicklungspaste kommt. Dort herrscht dennoch Hochbetrieb: Kassetten werden befüllt, Verpackungen gefaltet, Filme ausgeliefert.
Erdacht wurde das Grundprinzip der neuen Packfilm-Produktion durch Uwe Mimoun von KONO Reanimated Film. Unterstützung hat er sich von John Reuter geholt. John unterhielt bis vor ein paar Jahren das 20×24 Studio in New York. Heute konzentriert sich Reuter – neben seiner Tätigkeit als Dozent in New York und dem gelegentlichen Arbeiten mit der 20×24 Camera – vor allem auf die Produktion von frischem 20×24 Film, den er auch dem neuen 20×24 Studio in Berlin liefert. John stellt aus Boston den Film zur Verfügung, den die Wiener Manufaktur zur Fertigung des Packfilms benötigt.
Mimoun und Kaps kennen sich seit ihrer gemeinsamen Zeit bei The Impossible Project. Doch das Team war noch nicht komplett. Als letztes stieß Chris Holmquist dazu. „Chris ist buchstäblich vom Himmel gefallen, Zoltan, ein befreundeter Glasplattenfotograf, hat ihn einmal als Gast ins SUPERSENSE Café mitgebracht.“ Chris hatte bereits für andere Projekte Dunkelkammern gebaut. „Aber es waren seine organisatorischen Fähigkeiten und seine Strukturiertheit, die mir ins Auge fielen und die uns bei dem Projekt noch fehlten“, erzählte Kaps. „Sofort nach der erfolgreichen Kickstarter-Kampagne habe ich ihm die Leitung des Projekts übergeben.“ Die Räumlichkeiten für die Manufaktur waren bereits für PHONOCUT gemietet, das andere äußerst erfolgreiche Kickstarter-Projekt aus der SUPERSENSE Schmiede, „aber es war schnell klar, dass wir hier in kürzester Zeit Arbeitsplätze brauchen werden“ verdeutlichte Kaps. „Ziel war und ist es, mindestens 600 Packungen pro Woche zu produzieren. Wir hatten unzählige Bewerbungen von jungen Leuten aus aller Welt, die uns helfen wollten“ sagte Kaps. „Wir machen wirklich alles selber; stanzen alle Teile, drucken, kleben, falten, schneiden.“ Beobachtet man das Team bei seiner Arbeit scheint es so, als sei die kleine Manufaktur die finale Erfüllung des alten Traumes zu sein, endlich völlig unabhängig von Investoren und Industrie eine neue Generation von Sofortbildfilm zu erzeugen. Jetzt liefert das Unternehmen die ersten vorbestellten Packfilme an seine begeisterten Kunden.
Aber braucht es wirklich einen Packfilm? Es braucht vielleicht keinen Packfilm, aber er ist ein wichtiges Kulturgut! Viele beschreiben ihn heute als magischen Film, und für manche war dieser Film stets der hochwertigste Sofortbildfilm, den es je gab – ganz anders als der Integralfilm. Es scheint in der Fotografie ausreichend Platz für Produkte zu geben, die auf den ersten Blick – in einer nahezu vollkommen digitalisierten Welt – keinen Sinn mehr machen, die aber nicht nur für Liebhaber einen Wert haben, sondern, ganz offensichtlich, einen ausreichend großen Markt bieten.
Das Projekt erscheint als ein wunderschöner Neubeginn: Das Thema Packfilm wird von ausreichend Kunden nachgefragt und hunderttausende fantastische Kameras mit Polaroid Packfilmrückteil werden nicht in den Ruhestand geschickt.
„Gern würden wir auch die Produk-tion des 20×24 Films hier nach Wien holen und die Erfahrungen, die die alten und jungen Chemiker und Ingenieure an den Standorten Boston, Enschede und Wien mitbringen, besser miteinander vernetzen. Es besteht bereits eine nahtlose Zusammenarbeit mit Johns Team in Boston und ebenfalls die Unterstützung durch Agfa ist vielversprechend“, lässt uns Kaps wissen. „Basierend auf den Erfahrungen dieser ersten 18.000 Packungen, haben wir neue Pläne und Ideen für eine ganze Palette von ‚Next Generation One Instant Filmen‘, gemeinsam mit unseren verrückten Verbündeten aus aller Welt.“
Über den Autor:
Gastautor Markus Mahla (DGPh), ist Diplom-Mediensoziologe, war viele Jahre als Manager in der Fotoindustrie tätig, lebt in Berlin und führt mit einer der fünf original Polaroid Land Cameras das weltweit letzte 20×24 Studio in der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin.
http://20×24-studio-berlin.com oder Instagram: 20x24_studio_berlin
ONE INSTANT – P7 Farbfilm
Filmempfindlichkeit: ISO 100
Ausgerichtet zur Verwendung bei durchschnittlichem Tageslicht (5.000°K)
Entwicklungszeit: 3 Minuten
Oberfläche: glänzend
Negativ nicht bleichbar
Bildgröße: 73 x 100 mm
Papiergröße: 85 x 120 mm
Passend für alle Kameras und Rückteile, die mit Typ 100 Polaroid und Fuji Filmen kompatibel sind
Erhältlich ab Ende 2019
RRP: One Instant Triple Pack 29 Euro
Online: https://the.supersense.com/