Aus der ganzen Welt kamen in der Eröffnungswoche der 50. Ausgabe der Rencontres d’Arles, die vom 1. bis 6. Juli 2019 stattfand, rund 19.000 Festivalbesucher in die Provence. Noch bis zum 22. September sind die meisten Ausstellungen des Fotofestivals zu sehen, dass in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum feiert. ProfiFoto war während der Eröffnungswoche dabei.
Es war nicht nur die extreme Hitze mit Temperaturen um die 35 Grad, die den Besuch der zahlreichen Ausstellungen in Arles in diesem Jahr zu einer Herausforderung machte. Es war auch die schiere visuelle Überforderung, die das Festival seinen Besuchern im Jubiläumsjahr einmal mehr zumutet. Dabei zeigt das Fotofestival zu seinem 50-jährigen Bestehen überraschend viel zeitgenössische Fotografie, statt den Blick zurück zu werfen.
Insgesamt 51 Ausstellungen standen auf dem offiziellen Programm der Rencontres, die von 43 Kuratoren zusammengestellt worden waren und Fotografien von 210 Künstlern an über zwei Dutzend Ausstellungsorten präsentierten. Damit nicht genug: Das offizielle Programm umfasste 110 öffentliche Veranstaltungen: Führungen mit Künstlern und Kuratoren, Vorträge, Live-Übertragungen, Projektionen und vieles mehr. Rund 40 Verlage präsentierten bei Temple Arles Books ihr Programm.
Bei Einbruch der Dunkelheit wurden das alte Theater, Klöster, Kirchen und verlassene Industrieanlagen zu einzigartigen Kulissen für die Inszenierung von Bildern. Die große Eröffnungsparty im Croisière und auf dem Boulevard Émile Combe zog mit elf Fotostudios, Installationen und 20 Künstlerprojektionen rund 6.000 Menschen an. Die „Nacht des Jahres“ versammelte 7.000 Menschen in der Papeterie Étienne. Rund 3.700 Festivalbesucher nahmen an der Abschlussparty teil, die von den Rencontres d’Arles und der Luma Foundation gemeinsam veranstaltet wurde.
An drei Abenden im antiken Open Air Theater kamen jeweils über 1.500 Menschen zusammen und feierten unter anderem Susan Meiselas, Gewinnerin des ersten Women In Motion Award for Photography. Der Louis Roederer Discovery Award ging an zwei Gewinner: Máté Bartha und Laure Tiberghien Tiberghien, den Publikumspreis bekam Alys Tomlinson zuerkannt. Der vierte Prix de la Photo Madame Figaro-Arles – verliehen an eine Fotografin, deren Arbeiten auf dem Festival ausgestellt werden – ging an Evangelia Kranioti. Den Fotofolio Preis für das beste Portfolio wählten 141 Experten aus rund 330 Mappen aus: Ausgezeichnet wurde Anna Lim, die 2020 in Arles eine Ausstellung zeigen darf.
In der Eröffnungswoche fanden außerdem neun Workshops statt. Bis Mitte August werden über 400 Fotografen an einem der insgesamt 50 Workshops in Arles teilnehmen.
Vielleicht als Reaktion auf die Kritik an den Organisatoren im letzten Jahr, zu wenige Arbeiten von weiblichen Künstlern gezeigt zu haben, präsentiert Arles 2019 außer Susan Meiselas, deren Serie Carnival Strippers aus den 1970er Jahren ebenso wie das Werk der weniger bekannten Abigail Heyman im Espace Van Gogh zu sehen ist, zahlreiche weitere Fotografinnen: Eve Arnolds traditionellere, wenn auch eigenständige, ikonische Fotografie, sowie eine Retrospektive von Helen Levitts Straßenfotografie aus den 1930er und 40er Jahren, in der viele ihrer Bilder erstmals präsentiert werden. Eine weitere Ausstellung zeigt Bilder, die Germaine Krull während ihrer Schiffspassage von Marseille nach Rio im Jahre 1941 gemacht hat.
Als eine der besten Ausstellungen, die Arles in diesem Jahr zu bieten hat, darf jedoch die der tschechischen Fotografin Libuše Jarcovjáková gelten, die mit ihrem visuellen Tagebuchansatz ihr Leben in der Zeit der politischen Unterdrückung in ihrer Heimat in den 1970er und 80er Jahren entblößt. In schattenhaftem Monochrom fotografierte die damals junge Autodidaktin ihr wildes, selbstzerstörerisches Leben in Bildern, die eine Zeit und ein Milieu kompromisslos festhalten. Ihre rohen, unvollkommenen Bilder besitzen die gleiche chaotische Energie und bieten einen Augenzeugenbericht mit hoher Authentizität. Und auch die Ausstellung „La Movida“, eine Chronik der Jugendkultur in Spanien in den 80er Jahren, spiegelt die Energie ihrer Zeit wieder. Für Liebhaber stiller Bilder ebenfalls empfehlenswert: die Ausstellung „Restless Bodies“ mit Arbeiten ostdeutscher Fotografen aus den 80er Jahren.
Im Gegensatz dazu wirken die meisten der großen Ausstellungen in Arles aufgrund der Vielzahl der gezeigten Positionen eher frustrierend. So zeigt die weitläufige Ausstellung „Photo Brut“ rund 500 Werke, die von psychisch Kranken oder Ausgegrenzten geschaffen wurden: zwanghafte Crossdresser oder anonyme Voyeure, die ihr intimes Leben oder ihr oft bizarres Alter Ego festhielten. Der wohl bekannteste ist Miroslav Tichy, der in seiner tschechischen Heimatstadt heimlich Frauen fotografierte. Noch verstörender ist die Arbeit von Morton Bartlett, der Holzskulpturen von vorpubertären Kindern schnitzte, sie dann anzog und fotografierte.
Arles als eines der wichtigsten und sicher schönstes Fotofestival weltweit kann übrigens auch in finanzieller Hinsicht Superlative vorweisen: Insgesamt standen den Organisatoren für die Jubiläums-Rencontres die stolze Summe von 7,5 Millionen Euro zur Verfügung. Davon kamen 27% aus öffentlichen Mitteln, 58% aus dem Ticketverkauf und nur 15% von Sponsoren. Fotografie als Nutznießer öffentlicher Kulturförderung wäre sicher auch in Deutschland ein Erfolg versprechendes Modell. Die 51. Rencontres d´Arles finden Anfang Juli 2020 statt.
https://www.rencontres-arles.com