Die neue H6D und die innovtione XD1 markieren Hasselblads 75. Jubiläum. ProfiFoto sprach mit Hasselblad CEO Perry Oosting über seine Strategie für die traditionsreiche Marke.
ProfiFoto: 75 Jahre Hasselblad – und jetzt mit der X1D ein komplett neues System … Wo ist der rote Faden in der Geschichte der Marke?
Perry Oosting: Der rote Faden unserer Geschichte ist unsere Leidenschaft für die Fotografie. Mit dieser Leidenschaft hat unsere Firmengeschichte begonnen, und diese Leidenschaft teilen wir auch heute noch. Der Schritt von einer Handelsgesellschaft zum Kamerahersteller vollzog Victor Hasselblad vor 75 Jahren, weil er ein passionierter Fotograf war. Der zweite rote Faden in unserer Geschichte ist unser Streben nach Qualität. Und drittens: Hasselblad als international aufgestelltes Unternehmen ist und bleibt ein schwedisches Unternehmen, was unsere Firmenkultur geprägt hat und bis heute mitbestimmt. Einige unserer Mitarbeiter sind bereits seit über 40 Jahren bei Hasselblad. Für mich als Neuling war es einerseits wichtig, dem mit Respekt zu begegnen, andererseits aber auch, gewachsene Strukturen zu hinterfragen.
Ein weiterer roter Faden unserer Firmengeschichte: Hasselblad ist eine vergleichsweise bescheidene Marke mit dem entsprechend zurückhaltenden Auftreten.
Was würde Victor Hasselblad zur neuen Hasselblad X1D sagen?
Ich glaube, wenn Victor noch leben würde, wäre er sehr stolz auf die X1D. Er würde in diesem Jahr 110. Für ihn stand die Mobilität seiner Kameras immer im Fokus. Schon seine ersten Entwürfe seines Kamerasystems waren vergleichsweise kompakt. Im Verlauf der Entwicklung sind Hasselblad Kameras nur wenig kleiner geworden, was der technischen Entwicklung geschuldet war. Jetzt sind viele überrascht, wie klein die X1D ist und fragen sich, wie wir es geschafft haben, einen Mittelformatsensor in ein so kleines Gehäuse zu integrieren.
Genau das war immer auch das Ziel von Victor als Kamerakonstrukteur: Eine qualitativ hochwertige, mobile Kamera zu entwickeln. Dieses Ziel haben wir erreicht, und damit ist Hasselblad der erste Hersteller, der eine spiegellose, kompakte Mittelformatkamera vorgestellt hat. Ich glaube nicht, dass wir lange der einzige Anbieter eines solchen Systems bleiben werden, aber wir sind der erste, und das war mir persönlich wichtig.
Der Erste zu sein ist ein Ziel, das Hasselblad beim neuen 100 Megapixel Sensor verpasst hat …
Das stimmt, aber uns war wichtig, erst die finalen Sensoren in unserer Serienproduk-tion einzusetzen, statt welche aus der Vorserie an Kunden auszuliefern. Nicht, dass es da einen großen Unterschied gäbe, aber es entspricht nicht unserer Firmenphilosophie, für uns steht die absolute Qualität im Mittelpunkt.
Wie ist denn aktuell die Liefersituation der Sensoren? Gibt es weiterhin Engpässe durch den Produktionsausfall im Werk in Japan in Folge des Erdbebens im April dieses Jahres?
Hasselblad wird planmäßig mit Sensoren beliefert. Das Problem ist, dass wir innerhalb der ersten 14 Tage nach Vorstellung der X1D bereits 50 Prozent mehr Kameras verkauft haben, als für das gesamte Jahr 2016 vorgesehen war. Das hat es in der jüngeren Geschichte von Hasselblad noch nie gegeben.
Wie sieht die Roadmap für den Ausbau des neuen X-Systems aus?
Das dritte Objektiv zur X1D, eine 30 mm Festbrennweite, kommt bereits zur photokina. Weitere folgen 2017. Wir können zum Start nicht alle gängigen Brennweiten bereitstellen, aber der Ausbau – unter anderem auch durch Zoomobjektive – wird zügig voranschreiten. Natürlich ist es nicht einfach, die für einen so großen Sensor erforderlichen optischen Elemente in eine kompakte Form zu bringen, aber wir sind bei der Entwicklung vergleichsweise kleiner und leichter Objektive auf einem guten Weg.
Der Adapter für Objektive aus dem H-System wird Hasselblad Anwendern in der Übergangszeit und darüber hinaus den Einsatz des breiten Spektrums an vorhandenen Objektiven an der X1D ermöglichen. Wir fühlen uns unseren Anwendern auch in dieser Beziehung zur Loyalität verpflichtet. Wer in unser H-System investiert hat, kann die X1D nahtlos in seine vorhandene Ausrüstung integrieren.
Welche Zukunft hat das klassische V-System?
Wir werden zur photokina ein Konzept vorstellen, dass vom V-System inspiriert ist, also eine moderne Interpretation unseres Klassikers. Unser Ziel ist dabei aber nicht, ein nostalgisches Retro-Modell ins Leben zu rufen. So wie die X1D wird sich unsere Formensprache zukünftig wieder stärker am V-System orientieren. Statt unser Design wie in der jüngeren Vergangenheit in Italien zu suchen, wollen wir uns auf unsere eigene Designtradition besinnen, denn wir sind ein schwedischer Hersteller und sollten uns an skandinavischem Design orientieren. Nordisches Design steht für Reduktion, so wie die Gestaltung der X1D es zeigt.
Auch, wenn wir weiterhin keine Pläne für ein neues V-Modell hegen, erhalten wir das V-System durch entsprechende digitale Rückteile lebendig. Es ist interessant zu sehen, dass die Preise für klassische Hasselblad – etwa auf Ebay – wieder steigen. Manche Liebhaber klassischer Hasselblad hoffen auf die Rennaissance des 6×6 Formats, was jedoch weder technisch sinnvoll, noch wirtschaftlich machbar ist. Aussichtsreicher ist die Frage nach dem Revival des Films analog zur Wiederkehr der Vinylschallplatten. Wir haben auch hier keine konkreten Pläne, sind aber am Dialog mit Anwendern zu diesem Thema interessiert. Auch zu der Frage, wie die entsprechende Infrastruktur wieder aufgebaut und unterhalten werden kann. Entscheidend wird sein, ob man den Unterschied zwischen analog und digital ähnlich wie bei Tonträgern auch in der Fotografie wahrnehmen kann. Ich persönlich bin mir da nicht sicher. Die wesentlichen Unterschiede liegen meiner Meinung nach im Workflow, im Prozess, und viele sehnen sich zurück in die Dunkelkammer.
Die digitale Dunkelkammer im Hasselblad System ist die proprietäre Phocus Software. Ist geplant, diese auch für Daten anderer Kamerasysteme zu öffnen?
Unsere Software für andere Kamerasysteme zu öffnen erfordert einen nicht unerheblichen Entwicklungsaufwand und die fortlaufende Aktualisierung für jedes neue Modell. So gerne wir das leisten würden, dazu reichen unsere Ressourcen im Moment noch nicht aus. Stattdessen konzentrieren sich unsere Entwickler auf die weitere Verbesserung unserer Software, die insbesondere durch die Natural Color Solutions echte Vorteile für Anwender unseres Systems bringt. Unser Workflow ermöglicht Bilddaten mit einem markentypischen Look, der sich durch die natürliche Farbwiedergabe auszeichnet.
Angesichts des neuen Sensors mit 100 Megapixeln, bleibt das Auflösungsrennen offen?
Wichtiger als die Auflösung eines Sensors ist meiner Meinung nach sein Format, aber sicher gibt es Anwendungen, bei denen es auf die Auflösung ankommt. Für diese Fälle bieten unsere Multi-Shot-Kameras jenseits der jetzt verfügbaren 100 Megapixel genügend Spielraum.
Wie sieht die mittelfristige Strategie der Marke Hasselblad aus?
Wir werden unser System weiter ausbauen. Bei der Suche nach der dafür richtigen Strategie steht für uns die Frage im Mittelpunkt, wie das Erlebnis Fotografie in zehn oder zwanzig Jahren aussehen kann. Wir sprechen von „Imaging Experience“, ein Begriff, der weit über die Grenzen traditioneller Fotografie hinausgeht und Themen wie Virtual Reality, Cloud Processing oder Mobile berührt. Nicht, dass wir hierzu bereits heute konkrete Produkte entwickeln würden, aber wir müssen uns durchaus damit beschäftigen, welche Position Hasselblad dazu einnehmen will. Hasselblad kann mittelfristig nicht für Mittelformat, sondern muss als Synonym für Bildqualität stehen. Technologien wie unsere Natural Color Solution spielen dabei eine Schlüsselrolle.
Dieser Artikel ist der ProfiFoto 9/16 im Spezial 75 Jahre Hasselblad erschienen.