„Man sieht nur mit dem Herzen gut …“. Mit diesem oft bemühten Zitat aus „Der Kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry begann Klaus Tiedge, Kurator des Horizonte Umweltfotofestivals in Zingst, seine Ansprache zur Eröffnung des bekannten Fotofestivals an der Ostsee. Ein Grundsatz für die Auswahl der vielen fotografischen Positionen, die das Festival in diesem Jahr kuratierte und ausstellte. So unterschiedlich die Projekte auch waren, die in Zingst gezeigt wurden, denn es sind Bilder und Kunstwerke von Profifotografen, Künstlern, Amateuren und Young Professionals – sie erreichten und berührten sichtbar die Betrachter. Im fotografischen „Alltag“ hingegen fehlt vielen Fotoprojekten, ob freie Arbeit oder Auftragsarbeit, der emotionale Wert. Die Arbeiten sind anspruchsvoll durchdacht und aufwändig produziert, treffen aber nicht ins Herz.
Unser Auge wird täglich mit einer Flut an neuen Bildern und Videos konfrontiert, die wir zum großen Teil in den sozialen Netzwerken konsumieren. Allein auf Facebook werden täglich ca. 196 Mio. Bilder* hochgeladen. Auf Youtube sind es 300 Std. Video**, die pro Minute hochgeladen werden. Und wir selbst sind mittlerweile Co-Produzenten dieser Bilderflut. Dazu kommen die Bilder und Filme in der Werbung, die uns auf Produkte aufmerksam machen sollen. Fotografie ist allgegenwärtig, aber offen gesagt, bleibt oft nur sehr wenig in Erinnerung. Und trotzdem: Es gelingt immer wieder aufs neue, eindrucksvolle und emotionale Bilder zu schaffen. Es ist ein schmaler Grad – ein gutes Fotoprojekt hat die richtige Mischung zwischen Herz und Verstand. Zu viel Herz ist kitschig und zu viel Verstand ist konstruiert. Erst die richtige Mischung sorgt dafür, dass die Geschichte oder Serie ihre Betrachter begeistert. Viele freie Arbeiten von Fotografen verfehlen dieses Ziel trotz beeindruckender technischer Umsetzung oder Thematik. Die Gründe sind unterschiedlich. Der Fotograf ist zu sehr mit der perfekten Technik beschäftigt, die Inszenierung und die Bildgestaltung stehen zu stark im Fokus oder die Kamera schafft eine Barriere zwischen Auge und Motiv. Manchen Fotoprojekten fehlt schlicht eine gute Idee. So entstehen Fotoserien, die das Ziel verfehlen und in der Gesamtbetrachtung an emotionaler und intellektueller Wirkung einbüßen. Denn Fotografie ist kein reiner Handwerksberuf, sondern insbesondere ein kreativer. Umso wichtiger, dass Profifotografen zeigen, dass sie entscheidende Qualitäten beherrschen, die ihre Arbeit auszeichnet und unterscheidet. Dass sie ihre Arbeit mit einer Botschaft verknüpfen – ob politisch, künstlerisch oder unterhaltsam. Für sie ist es wichtig, dass sie individuelle Themen erspüren und überraschende und passende bildliche Formulierungen dafür finden.
Ein gutes Beispiel ist ein Fotoprojekt der Fotografin Julia Marie Werner aus dem Jahr 2015 – der Großstadtlöwe. Sie schafft es, mit Leichtigkeit und einem tollen (geretteten) Hund die Herzen und Köpfe der Betrachter zu erobern. Herz und Verstand finden wir auch in den verschiedenen fotografischen Positionen der Gemeinschaftsausstellung „One World“ – Fotografie beschreibt Phänomene. Zum Beispiel die Serie „Frauen auf Bäumen“ aus der Sammlung Jochen Raiß. Interessant ist hier die Ebene hinter den Bildern, das, was die Bilder entweder offenlassen, was nur angedeutet wird oder nicht zu sehen ist. Denn das, was wir sehen, ist nur ein Teil dessen, was Bilder mit
uns machen.
Die Ausstellungen auf dem Umweltfotofestival Horizonte haben trotz unterschiedlichster Themen und Kontexte eines gemeinsam. Die Fotografen und Künstler haben eine sehr persönliche Beziehung zu ihrem Thema. Sie sind mit ihrem Thema, den Orten oder Menschen, eng verbunden. Sie haben nicht nur Interesse, sondern großes persönliches Engagement sowie Überzeugung in ihr Projekt investiert. Sie glauben an das Projekt, und das vermittelt ihre Botschaft glaubwürdig.
Nicht nur auf Fotofestivals oder in Ausstellungen sollten diese Kriterien im Fokus stehen, auch im fotografischen Arbeitsleben profitieren gute Projekte von diesen Leitmotiven. Ob ein freies fotografisches Projekt oder eine Auftragsarbeit, Fotografen sollten in alle Projekte mehr davon einbringen. Mehr Humor, mehr Herz, mehr Verstand. Denn das sind Bilder, die nicht nur ästhetisch beeindrucken, sondern auch in Erinnerung bleiben.
Und welchen Mehrwert haben Ihre Bilder?
Silke Güldner berät Fotografen und Kreative bei der richtigen Positionierung, dem Auftritt und der digitalen Präsentation.
*Quelle: Kleiner, Perkins, Caulfield & Buyers, ** Quelle: Statista
Diese Kolume wurde in ProfiFoto 7-8/16 veröffentlicht.