Für Autor Uwe Statz gehören Filter zum festen Bestandteil seiner Art der Fotografie. Mehr noch – Filter stellen oft eine regelrechte Trumpfkarte dar, um Landschaften so aufzunehmen, wie sie vor Ort wahrgenommen wurden oder um Stimmungen und Bewegungen festzuhalten, so dass sie bedingt durch die Filterwirkung fast surreal wirken.
Bei den nun folgenden Aufnahmen spielt die Bewegung eine große Rolle, doch bei diesen Aufnahmen findet die Bewegung nicht beim Motiv statt, nein, ich werde die Bewegung selbst herbeiführen bzw. vornehmen.
Experimenteller Filtereinsatz
Nun möchte ich Einsätze mit Filter zeigen, die von der »normalen«, gewohnten Handhabung abweichen. Bei denen man unter Umständen die Kamera selbst so einsetzt, wie man sie laut Lehrbuch nicht einsetzen sollte, oder Dinge so fotografiert, die einem »technisch korrekt aufgenommenen« Bild widersprechen.
Bewegung, die bewegt
In Abschnitt 5.1 habe ich Bilder gezeigt, bei denen die Bewegung als zentraler Bestandteil der Bildaussage empfunden wird. Bei den nun folgenden Aufnahmen spielt die Bewegung eine ebenso große Rolle, doch im Unterschied zu Abschnitt 5.1 findet die Bewegung nicht beim Motiv statt, nein, ich werde die Bewegung selbst herbeiführen bzw. vornehmen. Dies geschieht auf sehr einfache und sofort nachvollziehbare Weise, indem ich meine Kamera während der Belichtungszeit bewege. Im Prinzip ein »verwackeltes« Bild aufnehme. Zugegeben, das klingt nicht besonders spannend, ist es aber. Ich versuche ganz bewusst der schulmäßigen Handhabung widersprechend, die Kamera so zu bewegen, dass ein Bild mit besonderer emotionaler Aussage entstehen kann. Diese Vorgehensweise ist eigentlich ungewöhnlich, da man ja eher zur statischen Kamerahaltung »erzogen« worden ist. Aber nach einer bestimmten Einarbeitungszeit wird man mit ganz besonderen Bildaussagen belohnt werden. Aussagen, die dem »schulischen«, auf Schärfe bis ins letzte Pixel getrimmten Fotografen unter Umständen missfallen, weil er in den Bildern keine anerzogenen, gewohnten Bildkriterien wiederfindet. Denn ein großes Kriterium dieser Bilder ist die erwähnte Unschärfe. Eine Bewegungsunschärfe, die durch das eigene Handeln herbeigeführt wurde. Sie entsteht aber nicht per Zufall, sondern kann nur im Zusammenspiel mit einer bestimmten Belichtungszeit umgesetzt werden. Die Belichtungszeit bestimmt letztendlich in hohem Maße das Aussehen des Bildes. Ich brauche eine längere Belichtungszeit, um überhaupt eine »Verwacklung«, eine Bewegungsunschärfe darstellen zu können. Jetzt kommen die Filter ins Spiel.
Wenn ich bei sehr hellem Tageslicht fotografiere, kann ich nur durch den Einsatz eines ND-Filters eine lange oder längere Belichtungszeit erreichen. Wie lange die Zeit sein sollte, hängt von meiner Idee und von der Schnelligkeit meiner Bewegung ab. Je mehr Zeit ich habe oder je schneller ich die Kamera während der Aufnahme bewege, desto unschärfer, abstrakter wird das spätere Bild aussehen. Je weniger man im Bild erkennen kann/soll, desto mehr wird es auf die Formen und Farben der Motivteile des Bildes ankommen.
Im ersten Beispiel sieht man eine leicht parkähnliche Landschaft mit Bäumen, Grasflächen, Wegen und Gebäuden im Hintergrund. Hier war mir das spezielle Licht, die untergehende Sonne wichtig. Es war klar, dass sie an den beschienenen Stellen auf den Baumstämmen sehr warme Farben hinterlassen würde. Andererseits wollte ich die Farbe des Himmels und der Grasfläche als reine Farbinformation mit in die Aufnahme integrieren. Alleine diese Vorstellung sah für mich schon gut aus, wenn sie mir
denn gelingen sollte. Ich machte eine Aufnahme mit normaler Belichtungszeit, um die Szene für dieses Buch festzuhalten. Danach schraubte ich an meine Olympus-Kamera OMD EM-1 einen alten 0.9-ND-Filter, der stammt aus den 70ern und tut noch immer gute Dienste. Ich wählte im A-Modus (Blendenvorwahl oder Zeitautomatik, A oder Av) eine Blende vor, die ca. eine Sekunde Belichtungszeit versprach. Danach fokussierte ich auf einen Punkt, bei dem diese Belichtungszeit garantiert war, hielt den Auslöser halb gedrückt und zog nach dem Auslösen die Kamera von unten nach oben in Richtung Himmel. Das war alles.
Da ich die Bäume als farbige Linien darstellen wollte, bewegte ich die Kamera senkrecht. Je gleichmäßiger das geschieht, desto gleichmäßiger werden danach die Linien abgebildet. Eine Bewegung nach links oder rechts wird die Darstellung einer Kurve zur Folge haben. Sie können die Kamera auch von oben nach unten ziehen. Das funktioniert genauso. Hier wollte ich aber den Boden und die Anfänge der Bäume kontrollieren und mit im Bild haben. Deshalb habe ich von unten nach oben begonnen. Wenn der Himmel extrem hell ist, kann dieser schnell unschön aussehen. Bei solchen Szenarien fange ich oben an und kann so den Himmel evtl. erst gar nicht mit ins Bild nehmen.
Die nächste Szene fand ich direkt hinter meinem Rücken. Es war die gleiche Vorgehensweise. Auswählen, mit bestimmter Belichtungszeit fokussieren, gedrückt halten, auslösen und dann von unten nach oben ziehen. Selbstverständlich können Sie das gleiche Ergebnis im S-Modus (Zeitvorwahl, Tv) oder im manuellen Modus erreichen.
Beim nächsten Motiv wird die Kamera auch wieder bewegt. Aber dieses Mal habe ich die Olympus im Kreis bzw. Halbkreis gedreht. Es sollten unterschiedliche, von nach Drehweite und Schnelligkeit abhängige, runde Leuchtstreifen entstehen. Je länger ich Zeit hatte und die Drehbewegung fortführen konnte, desto länger wurden auch die Leuchtstreifen. Hier musste ich allerdings feststellen, dass ich die Kamera anfänglich nicht kreisrund bewegte und somit die Linien zackig und unregelmäßig wurden. Das gefiel mir überhaupt nicht. Das wollte ich unbedingt anders darstellen. Da kam ich auf folgende Idee. Da ich kein Stativ dabeihatte, wollte ich meine Brille als eine Art Stativ benutzen. Hierzu drücke ich die gummierte Augenmuschel der Kamera beim Durchsehen auf meine Brille und konnte so meine Brille als Anschlag benutzen. Das bewirkte, dass die Leuchtstreifen schön gleichmäßig wurden.
Die letzten Bilder sind auf einem Weihnachtsmarkt entstanden. Hier fand ich ein weiteres Motiv, bei dem ich nun die Brennweite während der Belichtungszeit veränderte. Hierzu benutzte ich wie gehabt meinen 0.9-ND-Schraubfilter. Fokussierte mein Motiv, eine Kugel in der Pyramide, im A-Modus (Canon Av) an und löste aus. Diesmal versuchte ich, statisch zu bleiben, aber änderte während der Belichtungszeit meine Brennweite von Weitwinkel in Richtung Tele. Durch dieses »Zoomen« entsteht ein Effekt, bei dem alle Elemente von innen nach außen zu fliegen scheinen.
Das nächste Motivbeispiel ist in Graz aufgenommen. Ich durfte mehrmals für Videotrainings vor der Kamera stehen und so konnte ich dort in meiner »Freizeit« einige Demoaufnahmen für dieses Buch machen. Bei der ersten Aufnahme möchte ich eine weitere Möglichkeit der Dynamik zeigen. Dieses Mal mit bewegten Menschenmassen. Ich möchte die Menschen noch zeigen, aber nicht als Personen erkennbar, sondern eher als »Geister«, um somit einen bestimmten Eindruck zu erwecken bzw. eine bestimmte Emotion beim Betrachter auszulösen. Wichtig hierbei ist der Bezug zu einem statischen Element, hier das Hinweisschild. Da die Menschen nicht ausgelöscht, unsichtbar gemacht werden sollten, durfte ich keine allzu lange Belichtungszeit wählen. Ich fand 2 Sekunden als ausreichend und diese konnte ich mit einem ND-Filter der Stärke 3.0 erreichen
Statisch und bewegt – Selbstbildnis
Während eines Frankreichaufenthalts, bei dem ich für dieses Buch Aufnahmen machte, ist mir ein Bachlauf aufgefallen, der für Langzeitbelichtungen interessant schien. Interessant auch deshalb, weil er ganz unterschiedliche, von der Sonne beleuchtete Flecken aufwies und alleine deshalb schon nicht ganz einfach zu fotografieren war. Manchmal suche ich mir ganz bewusst solche Stellen, um den Einsatzbereich der Filter auszutesten. Auch als Herausforderung für mich selbst, um zu sehen, welche unterschiedlichen Kontrastsituationen man meistern kann. Hier war es so, dass die Lichtsituation ständig wechselte. Mal schien die Sonne und dann wurde sie von Wolken verdeckt. Dies machte es schon zum Geduldsspiel. Aber da erzähle ich Ihnen ja nichts Neues, das haben Sie ja im Buch schon erfahren. Hier war es nun so, dass, wenn die Sonne schien, auf der rechten Seite des Bildes bis in die Mitte hin sehr viele Sonnenflecken waren, also sehr helle Punkte, die direkt neben dunkleren lagen. Auf der linken Seite war eine Art Dreieck gleichmäßig heller als der Rest. So ergab sich nach langem Suchen der Problemzonen bzw. wie und wo ich meine Filter platzieren konnte, ein relativ klares Bild der Filterpositionierung. Von rechts sollte ein stärkerer Filter wirken und die linke Seite sollte nur leicht abgedunkelt werden. Ich machte erst eine Aufnahme ohne, dann eine mit Polfilter. Hierbei benutzte ich das Haida-Haltesystem mit einem Haida-Polfilter, der im Adapter integriert mir die Verwendung bis zu vier Filtern ermöglicht. Die habe ich letztendlich auch benötigt bzw. verwendet. Nach der Polfilteraufnahme schob ich von rechts einen 0.6-Hardverlaufsfilter von Lensinghouse bis zur Diagonale, die vom Bach gebildet wurde, ein. Auf der linken Seite schob ich einen 0.9-Softverlaufsfilter gleicher Marke genau gegenläufig in den Halter. Einen Softverlaufsfilter deshalb, weil ich hier keine klaren Definitionen hatte und so ein Hardverlaufsfilter aufgefallen wäre. Auch musste der Softverlaufsfilter nicht ganz so weit eingeschoben werden, da die hellsten Stellen nicht so weit in das Bildzentrum hineinragten. Für das gleichmäßige, nebelartige Wasser sollte ein ND-Filter der Stärke 1.5 sorgen. Durch diesen konnte ich eine Belichtungszeit von 32 Sekunden erreichen. Das sollte lange genug sein, um dem Wasser ein sehr seidiges Aussehen zu verleihen.
Nun hatte ich die Aufnahme gemacht und fand die Wirkung der Filter gut, aber das Bild überzeugte mich nicht. Mir fehlte noch etwas Wichtiges, Bildbestimmendes, was das Bild erst zum Bild machen sollte. Ich dachte mir, wie wäre es eigentlich, wenn ich selbst mit auf der Aufnahme zu sehen wäre. Wenn das klappen sollte, wäre das fehlende Element gefunden. Ich traf gleich alle Vorbereitungen. Ich dachte mir eine Vorlaufzeit für den Timer aus. Den stellte ich auf 20 Sekunden ein. Nun hatte ich Zeit, äh, also zwanzig Sekunden lang, mich von Stein zu Stein zu bewegen, um dann eine Position auf der linken Seite einzunehmen, an der ich anschließend für die Aufnahme ausharren musste. Das klingt erst mal nicht besonders schwierig. Nun waren die Steine ziemlich glitschig, was meine Bewegung über den Bach deutlich verlangsamte. Schließlich wollte ich keine Wasserberührung aufnehmen. Das war das eine, das konnte ich aber mit etwas Konzentration meistern. Die Hauptschwierigkeit war nicht das Ankommen, nein, es war meine Person, die sich nicht statisch genug verhielt. Machen Sie mal den Versuch und bleiben Sie einfach nur stehen und konzentrieren Sie sich auf Ihre Position. Sie werden
feststellen, dass ein verwacklungsfreies Stillstehen nur schwer möglich ist. Ich machte meine erste Testaufnahme und stellte fest, dass das bei der Belichtungszeit wohl nicht klappen würde. Ich hatte mich schon in die Hocke begeben und spannte meine Muskeln an und versuchte, mich nicht zu bewegen. Nun kam noch ein Problem hinzu, das mir vorher gar nicht aufgefallen war. Durch die Wassergeräusche hörte ich meinen Timer nicht und wusste somit nicht, wann die Vorlaufzeit und die Gesamtbelichtungszeit vorüber waren. Wäre ja blöd, wenn ich zu früh aufgestanden wäre und damit die Aufnahme ruiniert hätte. Also positionierte ich mich so, dass ich meine Armbanduhr im Blick hatte und so konnte ich die Zeit gut abschätzen. Nachdem klar war, dass ich bei 32 Sekunden Belichtungszeit nicht verwacklungsfrei aufgenommen werden konnte, stellte ich die Zeit auf 7 Sekunden und machte erneut eine Aufnahme. Hierzu benutzte ich keinen anderen ND-Filter, nein, ich wollte eine schnelle Lösung. Da die Schärfe im Prinzip nur auf der Person wichtig sein sollte, stellte ich die Blende von 14 auf 7.1 und kam so auf die 7 Sekunden und eine leichte Unterbelichtung. (Jede Blende halbiert die Zeit, 32 : 2 = 16, 16 : 2 = 8.) Diesmal klappte das wirklich gut. Allerdings war die Position nicht gut. Sie zeigte aus dem Bild, das gefiel mir nicht. So drehte ich mich bei dem folgenden Bild zur Bildmitte. Jetzt gefiel mir die Aufnahme sehr gut. Ich dachte sofort an eine Schwarz-Weiß-Umwandlung, bei der nur eine Farbe, in dem Fall das Orange von meinem T-Shirt, weiter im Bild existieren sollte. Diese Umwandlung machte ich in Lightroom.
Filterfotografie
von Uwe Statz, mitp Verlag 2016, 1. Auflage 2016, 304 Seiten, Softcover, Format 22 x 22 cm, ISBN 978-3-95845-337-1, 33,99 Euro
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