Die palästinensische AP-Fotografin Fatma Alzahra Shbair ist Gewinneren der Kategorie „Portfolio (Story-Telling)“ des HIPA Fotopreises 2024. ProfiFoto sprach mit ihr anlässlich der Preisverleihung über die Situation von Bildjournalisten im Gaza-Konflikt.
ProfiFoto: Fatma Alzahra Shbair, Sie arbeiten in Gaza als Bildjournalisten für Associated Press. Wie kam es dazu?
Fatma Alzahra Shbair: Ich bin in Gaza geboren, einem Ort, an dem es ständig besondere Geschichten zu erzählen gibt. Von klein auf habe ich ein anderes Leben gehabt, als andere Kinder auf der Welt. Das ist Teil meiner Geschichte.
ProfiFoto: Haben Sie eine formelle Ausbildung als Journalistin?
Fatma Alzahra Shbair: Nein. Eigentlich war die Umgebung selbst ein Lehrmeister für mich. Durch die Fotografie habe einen Weg gefunden, meine Gefühle auszudrücken. Ich bin jemand, der gerne beobachtet. Ich bin alleine auf die Straße gegangen und habe 2017 angefangen, dort zu fotografieren. Ich bekam viel Ärger und bin oft gescheitert, aber mit der Zeit begannen die Medien, über mich und meine Fotos zu berichten, die ich in den sozialen Medien teilte. Und im Jahr 2019 begann meine Zusammenarbeit mit Getty Images. Seit 2022 arbeite ich für AP.
ProfiFoto: Sie haben mit dem Posten von Fotos in sozialen Medien begonnen?
Fatma Alzahra Shbair: Ja, das ist verrückt, aber so ist es. So hat es angefangen. Davor habe ich bei mir zu Hause alte Kameras gefunden, die von meiner Großmutter und meinem Vater stammten. Es waren verstaubte, alte Geräte, doch meine Neugierde war geweckt. Ich wollte mehr darüber wissen.
ProfiFoto: Unterstützt AP Sie aktiv, zum Beispiel mit Ausrüstung?
Fatma Alzahra Shbair: Ja, klar. AP stellt die Ausrüstung, wenn man bei ihnen angestellt ist. Außerdem gibt es Experten und tolle Fotografen. Ich lerne eine Menge von ihnen. Jeder kümmert sich um den anderen. Wir arrangieren die Arbeit gemeinsam. Der Büro-Chef achtet zuallererst auf unsere Sicherheit und koordiniert die Berichterstattung.
Aber vor Ort arbeitet eigentlich jeder auf eigene Faust. Das Wichtigste ist, die Wahrheit zu dokumentieren.
ProfiFoto: In Gaza wurden überdurchschnittlich viele Journalisten getötet.
Fatma Alzahra Shbair: Ja, wir sind die meiste Zeit über in echter Gefahr.
ProfiFoto: Wie gehen Sie damit um?
Fatma Alzahra Shbair: Das tägliche Risiko beeinträchtigt mich selbst nicht allzu sehr, weil das Teil meines Lebens ist. Für Journalisten aus anderen Ländern ist es vielleicht ein bisschen schwieriger.
ProfiFoto: Gibt es eine Weisung von AP, Gebiete zu meiden, in denen aktiv gekämpft wird?
Fatma Alzahra Shbair: Von AP werden wir immer aufgefordert, uns aus einem Gefahrenbereich zu entfernen. Wir dürfen uns nicht in aktiven Kampfzonen aufhalten. Unsere Sicherheit steht für die AP immer an erster Stelle.
ProfiFoto: Gibt es Journalisten, die nicht mit Agenturen verbunden sind, die diese Risiken eingehen?
Fatma Alzahra Shbair: Ja, sie handeln auf eigene Faust und riskieren zu viel. Manche begeben sie sich wissenrlich in Gefahr. Sie riskieren zu viel, weil sie mit großartigen Fotos zurückkommen wollen, die noch nie jemand zuvor gemacht hat. Sie nehmen bewusst in Kauf, ein hohes Risiko einzugehen, um für ihre Fotos vielleicht Auszeichnungen zu bekommen. Manche von ihnen haben nicht das Glück, zurückzukommen.
ProfiFoto: Welchem Konzept folgen Sie bei Ihrer Arbeitsweise?
Fatma Alzahra Shbair: Wie ich schon sagte, bin ich in Gaza geboren. Es ist also meine Geschichte, die ich erzähle, indem ich die der Menschen dort dokumentiere. Es geht darum, zu zeigen, was vor Ort passiert, aber auf eine Weise, die meine Emotionen, meine Seele, meine Gefühle in diesem Bild nicht unterdrückt. Es geht nicht nur um Objektivität. Ich sehe die Dinge aus meinem Blickwinkel, aus meiner Perspektive. Ich muss so in die Tiefe gehen, dass die Leute mich verstehen können, wenn sie das Bild betrachten.
ProfiFoto: Haben sie Richtlinien, was Ihre Arbeit betrifft?
Fatma Alzahra Shbair: Es geht immer um das echte Foto, also darum, vor Ort herauszufinden, was dort wirklich passiert. Das echte Bild muss ehrlich sein, was die Informationen darin angeht. Es ist dabei egal, ob man auf der einen oder auf der anderen Seite fotografiert. Wir sind da, um alles zu dokumentieren. Unsere Arbeit besteht darin, die Wahrheit zu zeigen.
ProfiFoto: Es ist bekannt, dass immer wieder Situationen für die Presse arrangiert werden. Wie gehen Sie damit um?
Fatma Alzahra Shbair: In Gaza ist es sehr einfach, davon zu erfahren. Ja, es zu wissen. Die meisten von uns erfahren voneinander, was vor Ort passiert, wissen, ob es eine Situation eine Fälschung ist oder nicht.
ProfiFoto: Wie erleben Sie die Situation vor Ort?
Fatma Alzahra Shbair: Es gibt einige Gebiete in der Mitte des Gazastreifens, die noch stehen. Aber vom Norden her sind die meisten Gebiete zerstört. Mein Haus, meine Gegend, meine Nachbarschaft, sind nicht mehr vorhanden. Der Schaden ist groß. Aber in diesem Krieg bleibt keine Zeit, zurückzublicken auf das, was ich verloren habe. Das Wichtigste ist das, was wirklich passiert.
ProfiFoto: Lässt AP Sie wissen, wenn Ihre Fotos irgendwo veröffentlicht wurden?
Fatma Alzahra Shbair: Ja, jeden Tag recherchieren wir bei Google und so weiter, wo unsere Arbeit veröffentlicht wurde, weil es eine Ermutigung für uns ist und zeigt, wie wichtig unsere Arbeit ist.
Zur Person
Fatma Alzahra Shbair ist eine palästinensische Fotojournalistin in Gaza-Stadt. Sie wurde 2021 mit dem Prix de la Ville de Perpignan Rémi Ochlik Award von Visa pour l’image und 2022 mit einem World Press Photo Award ausgezeichnet. Shbair ist Autodidaktin und wurde 1997 in Gaza geboren. Sie studierte Betriebswirtschaft an der Al-Azhar-Universität. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Dokumentation des aktuellen Konflikts in Gaza-Stadt im Auftrag der internationalen Nachrichtenagentur Associated Press, AP. Shbairs Arbeiten wurden von vielen internationalen Publikationen veröffentlicht, darunter The New York Times, The Guardian, Le Figaro, L ‚Express und Le Temps.