Die Digital-Ära begann im Leica M-System erst vor 18 Jahren, denn es war nicht einfach, das zu diesem Zeitpunkt schon ein halbes Jahrhundert alte System entsprechend zu aktualisieren. Seitdem sind fünf digitale M-Generation mit zahlreichen Varianten erschienen.
Die erste Digitalkamera mit M-Bajonett kam 2004, allerdings nicht von Leica, sondern in Form der Epson R-D1, die auf der Voigtländer Bessa R2 des japanischen Herstellers Cosina basierte. Der damalige Leica-Vorstandschef Hanns-Peter Cohn gab zeitgleich im SPIEGEL seine Vision zur Zukunft der Fotografie zum Besten: „Die Digitaltechnik ist nur ein Intermezzo.“ Dabei fehlten Leica schlicht die Mittel, den Technologiewandel mit zu vollziehen: Im Geschäftsjahr 2004/05 sackte der Umsatz auf 92 Millionen Euro ab, der Verlust nach Steuern betrug 18 Millionen Euro und eine Insolvenz schien mehr als wahrscheinlich.
M8
Da tauchte mit Dr. Andreas Kaufmann ein neuer Investor auf, durch dessen Engagement die für die Entwicklung einer digitalen M notwendigen Mittel zur Verfügung standen. Schon zwei Jahre später, 2006, stellte Leica mit der die M8 die erste digitale M mit einem 10,3 Megapixel CCD-Sensor im Format 18 mm × 27 mm (Cropfaktor 1,33) vor. Deren Elektronik war von Jenoptik entwickelt worden, schien zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht ganz abgeschlossen gewesen zu sein. Das Problem: Bei einer Messsucherkamera liegt der Sensor wesentlich näher am Objektiv als bei SLRs. Dadurch ergeben sich Vignettierungen im Randbereich. Leica musste dies durch die Ausrichtung der Mikrolinsen auf dem seinerzeit eigens entwickelten CCD-Sensor der ersten digitalen M ausgleichen; diese Linsen haben einen kleinen Versatz, der sich in regelmäßigen Schritten zum Rand hin erhöht. Zusätzlich kann die Vignettierung mittels Software herausgerechnet werden. Die dafür nötigen Parameter des verwendeten Objektivs werden mittels einer optischen 6-bit-Codierung auf dem Ansatzflansch des Objektivbajonetts an die Kamera übertragen.
Der Fachjournalist Michael Hußmann: „Wegen der flachen Winkel, unter denen das Licht bei manchen M-Objektiven auf den Sensor trifft, musste das IR-Sperrfilter sehr dünn sein, und das verbaute dünne Absorptionsfilter war nicht effektiv genug. Ein dünnes dichroitisches Filter vor dem Sensor hätte das IR-Licht zuverlässig unterbunden, aber bei den Einfallswinkeln, um die es ging, ebenfalls Probleme gemacht. Außerdem schaltete der automatische Weißabgleich der M8 nur zwischen festen Farbtemperaturen um, was manchmal zu überraschenden Wechseln der Farbwiedergabe in aufeinanderfolgenden Aufnahmen führte. Aber bei Leica war man damals der Überzeugung, Leica-Fotografen würden ohnehin mit einem Raw-Workflow arbeiten; der automatische Weißabgleich war ja nur für JPEGs relevant. Als Leica später mit Panasonic statt mit Jenoptik zusammenzuarbeite und begann, auch eigene Expertise im digitalen Bereich aufzubauen, verbesserte sich das.“ Bis es soweit war, blieb die Kamera in der 2008 verbesserten Variante M8.2 im Programm.
M9
Erst mit der im September 2009 vorgestellten M9 brachte Leica eine Version mit Sensor im Kleinbildfilm-Format 24 × 36 mm, die zu ihrer Zeit übrigens die kleinste Systemkamera mit Vollformat war. Der von Kodak speziell für die Leica M9 entwickelte Sensor löst das Bild in 18 Millionen Pixel auf und basiert wie der in der M8 auf CCD-Technologie. Bei der Entwicklung und Herstellung der Elektronik war Jenoptik beteiligt, seinerzeit führend im Bau digitaler Mittelformat-Rückteile.
Technisch fast identisch ist die im Juni 2011 heraus gekommene Leica M9-P die sich nur in wenigen Details von der M9 unterscheidet. So bestand das Deckglas des LC-Monitors aus Saphirglas, der rote Leica-Punkt und die Typbezeichnung auf der Vorderseite entfielen, stattdessen befand sich nun ein dezenterer Leica-Schriftzug auf der Deckkappe.
Die erste Leica M Monochrom wurde im Mai 2012 präsentiert. Sie hatte einen Bildsensor mit 18 Megapixeln, bei dem erstmals die Farbfilter-Matrix (der sogenannte Bayer-Filter) weggelassen wurde, so dass der Sensor ausschließlich Aufnahmen in Schwarzweiß liefert.
Eine leicht abgespeckte Version der M9 ist die anlässlich der photokina 2012 vorgestellte M-E mit anthrazitgrau lackiertem Gehäuse, die als Einsteiger-Modell konzipiert wurde.
M (Typ 240)
Ebenfalls zur photokina 2012 präsentierte Leica das Modell Leica M als Nachfolgemodell der M9. Zugleich kündigte Leica an, zukünftig die seit 1954 gebräuchliche Zählung der Modellnummern aufzugeben.
Die M (Typ 240) ist mit einem 24-MP-Sensor ausgestattet, der gemeinsam mit dem belgischen Herstellers CMOSIS entwickelt wurde und erstmals Live-View zur Unterstützung beim manuellen Fokussieren durch Fokus-Peaking ermöglichte. Außerdem waren – erstmals bei einem Kameramodell des M-Systems – Videoaufnahmen möglich, ein Feature, das bei Nachfolgemodellen wieder abgeschafft wurde. Als neues Zubehör war der elektronische Sucher EVF-2 in das Lieferprogramm aufgenommen worden.
Am 25. August 2014, kurz vor der Photokina, stellte Leica die M-P (Typ 240) vor. Der Arbeitsspeicher wurde auf 2 GB erweitert und der rote Punkt auf der Vorderseite weggelassen, dafür erhielt die Deckkappe einen eingravierten, weißen Leica-Schriftzug.
Die Leica M Monochrom Typ 246 mit einem 24 Megapixel CMOS-Sensor, mit der sich Schwarzweiß-Videos in Full-HD-Auflösung bei 24 oder 25 Bildern pro Sekunde aufzeichnen lassen, folgte im Mai 2015. Die im selben Jahr vorgestellte Leica M (Typ 262) basiert auf der M (Typ 240), verzichtet aber auf LiveView oder Videofunktionen.
M10
Mit der M10 kehrte Leica 2017 wieder zur Durchnummerierung der Messsucher-Kameramodelle zurück.
Mit der Kamera mit 24 MP-CMOS-Sensor gelang es, wieder ein schlankeres Gehäuse mit 38,5 mm Tiefe wie bei den Analogmodellen zu realisieren. Ein neues Feature der M10 war ihr eingebautes WLAN/WiFi-Modul. Damit wurde die Kamera per Smartphone fernbedienbar, Fotos lassen sich zudem (auf Wunsch auch als DNG-Raw-Datei) an iOS-Geräte übertragen und dort weiterverarbeiten und teilen. Dem Gehäuse spendierte Leica neben dem Belichtungszeitenrad auch ein ISO-Einstellrad.
Die Leica M10-P unterscheidet ihr Touchscreen und ihr deutlich leiserer Verschluss. Die Leica M10-D (Typ 9217, ab 2018) basiert auf der M10-P, verzichtet aber auf das hintere Display, an dessen Stelle ein Belichtungskorrekturrad sitzt. Außerdem hat sie einen Filmtransporthebel, der als ausklappbarer Daumenhebel dient.
Im Januar 2020 stellte Leica die M10 Monochrom mit 40 Megapixel Auflösung vor. Ein halbes Jahr später folgte die M10-R mit 40,9 Megapixel Auflösung und verändertem Sensor-
Design für verbessertes Rauschverhalten und mehr Dynamikumfang.
M11
Anfang 2022 folgte die derzeit aktuelle Leica M11. Als Neuerung besitzt sie einen Vollformat-BSI-CMOS-Sensor mit 60,3 Megapixel (9528 × 6328 Pixel) Auflösung, wobei zwei niedrigere Auflösungen gewählt werden können: Entweder 36,5 Megapixel (7416 × 4928 Pixel) oder 18,4 Megapixel (5272 × 3498 Pixel). Die beiden niedrigeren Auflösungen werden nicht durch Cropping erzielt, sondern durch Zusammenschaltung einzelner Pixel zu Gruppen, so dass immer die gesamte Sensorfläche ausgelesen wird. Eine weitere Besonderheit der M11 ist ihr interner Speicher mit 64 GB, der es ermöglicht, auch ohne SD-Speicherkarte Fotos aufzunehmen.
Die im April 2023 vorgestellte M11 Monochrom nutzt denselben „Multi Resolution Vollformatsensor“, aber ohne Bayer-Farbfilter. Im Oktober 2023 stellte Leica schließlich das Modell M11-P vor. Als erstes Kameramodell überhaupt nutzt sie die Authentifizierungstechnologie der Content Authenticity Initiative (CAI) gemäß dem C2PA-Standard. Die M11-P ist damit die erste Digitalkamera gewesen, die Bilddaten mit Content Credentials versieht. Ist diese Funktion aktiviert, werden Fotos direkt bei der Aufnahme digital signiert. Mit einem Open-Source-Tool lässt sich anschließend nachvollziehen, wie die Bilder nachträglich digital manipuliert wurden.
Zukunft
Nach anfänglich dreijährigen Modellzyklen hat Leica sich seit 2012 auf jeweils fünf Jahre Entwickkungszeit zwischen komplett neuen M-Generation eingependelt, wobei in den Jahren dazwischen Varianten wie die P- und Monochrom-Modelle releast werden. Da diese bei der M11 Serie bereits nach nur zwei Jahren erschienen sind, rechnen einige bereits mit einem verfrühten Modellwechsel. Vorher wird es sicher wieder eine Schwarzlack-Version und als Zwischenschritt zu einer neuen Generation ein R-Modell geben. Denkbar wäre auch eine Sonderserie ohne Kameradisplay. Sicher ist: Das 70jährige Jubiläum wird nicht ohne eine entsprechend gravierte Sonderedition vorüber gehen.
Ganz oben auf der Wunschliste stünde dabei ein integrierter Bildstabilisator, der angesichts der gebotenen Auflösung sinnvoll erscheint, bislang aus Platzgründen aber nicht realisierbar ist. Worauf viele warten, ist eine kleinere und deutlich preiswertere Leica mit M-Bajonett, die den Messsucher durch einen elektronischen ersetzt, wie ihn viele M-Fotografen als Zubehör sowieso schon nutzen. Angesichts des Erfolgs der M-Serie ist jedoch fraglich, ob Leica nach der Erfahrung mit der Leica CL in den 70er Jahren zum zweiten Mal riskieren wird, den Erfolg der M zu Kannibalisieren. Schon die Q-Serie bietet eine Autofokus-Alternative mit elektronischen Sucher zur M und ist kommerziell trotz fehlender Möglichkeit zum Objektivwechsel extrem erfolgreich.
Das liegt sicher auch am oft kritisierten, hohen Preisniveau des M-Systems. Ein Grund dafür: Die Kameras werden in Wetzlar aus über 1.000 Einzelteilen gefertigt, darunter etliche aus Messing gefräst. Zu einem hohen Anteil erfolgt die Produktion in Handarbeit, die über 50 Justage-Schritte umfasst. Die Deckkappe und der Bodendeckel werden bei einigen Versionen aus massiven Metallblöcken gefräst, die anschließend in 40-minütiger Handarbeit geschliffen werden.
Dabei übersteigt die Nachfrage nach wie vor das Angebot, und angesichts hoher Preise für M-Modelle aus Vorbesitz relativiert sich die total-cost-of-ownership auf das normale Maß. Kein anderes Kamerasystem nutzt außerdem seit sieben Jahrzehnten dasselbe Bajonett. Der hohen Investition in M-Objektive steht somit eine jahrzehntelange Nutzungsdauer gegenüber. Neuauflagen, wie das jüngst in limitierter Sonderserie herausgebrachte, erstmals 1961 erschienene Leica Summilux-M 1:1.4/35 zeigen, dass selbst sehr alte Objektivkonstruktionen heute noch sinnvoll an einer M nutzbar sind.
Unbestreitbar ist, dass die Marken-typische Reduktion der M auf das Wesentliche mit einem minimalistischen Verzicht auf zahlreiche Funktionen einhergeht, mit denen moderne Systemkameras ausgestattet sind – allen voran beim Thema Autofokus, denn den gibt es im M-System bekanntlich nicht. Dafür sind selbst die lichtstärksten M-Optiken ungleich kleiner als die anderer Systeme. Eine Leica M ist sicher keine Kamera für alle Fälle, aber seit 70 Jahren ein Objekt der Begierde …
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