2025 jährt sich die legendäre Mannheimer Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ zum 100. Mal. Aus diesem Anlass präsentieren die Reiss-Engelhorn-Museen mit dem Forum Internationale Photographie die Sonderausstellung „SACHLICH NEU“.
Die Schau zeigt vom 22. September 2024 bis 27. April 2025 Werke der beiden wichtigsten Fotografen der Neuen Sachlichkeit: August Sander (1876-1964) und Albert Renger-Patzsch (1897-1966). Ihre Inkunabeln der 1920er- und 30er-Jahre treten dabei erstmals in einen Dialog mit Foto-Ikonen des Fotografen Robert Häusser (1924-2013). Zugleich feiern die Reiss-Engelhorn-Museen mit der Präsentation auch dessen 100. Geburtstag und vereinen zwei Jubiläen in einer Schau.
Die Ausstellung stellt faszinierende Korrespondenzen zwischen den Fotografien der drei Künstler her und konzentriert sich auf die Themen „Porträt und Menschendarstellungen“, „Industrie und Menschen bei der Arbeit“ sowie „Landschaftsräume“. Darüber hinaus geben die rund 120 gezeigten Bilder umfangreiche Einblicke in die verschiedenen Werkphasen der drei Protagonisten.
Entscheidend für das Lebensgefühl der Weimarer Republik war die Erfahrung des Ersten Weltkrieges und dessen wirtschaftliche und soziale Misere. Die Zerrissenheit jener Jahre voller Umbrüche und Gegensätze führte zu Ernüchterung. Auch die Kunstschaffenden waren auf der Suche nach neuen Inhalten und Ausdrucksmöglichkeiten. Sich abgrenzend vom emotionalen und phantasievollen Expressionismus strebten sie nach Klarheit und Objektivität. Anstelle einer atmosphärisch pittoresken, gefühlsbetonten Bildsprache rückte die Abbildung der nüchternen und ungeschönten Wirklichkeit in den Vordergrund. Für diese neue Stilrichtung prägte Gustav Friedrich Hartlaub, der damalige Direktor der Mannheimer Kunsthalle, den epochemachenden Begriff „Neue Sachlichkeit“.
Dieser neue sachliche Blick auf die Welt dominierte nicht nur die Malerei, sondern spiegelte sich auch in anderen Kunstgattungen wie Grafik, Architektur, Design und Literatur wider. Gerade die in ihren Anfängen als technoides und „seelenloses“ Medium in der Kunst abgelehnte Fotografie vermochte die Realität möglichst unmittelbar und ungeschönt einzufangen. Mit einer Vorliebe für klare Kompositionen, ungewöhnliche Perspektiven und messerscharf herausgearbeitete Details wurden Menschen, Natur, Städte, Industriebauten und Alltagsgegenstände dokumentiert. Neue Möglichkeiten eröffneten zudem Innovationen wie Kleinbildkameras und Rollfilme, die in den 1920er Jahren auf den Markt kamen und die Fotografie revolutionierten.
Zwei Pioniere der Neuen Sachlichkeit in der Fotografie waren August Sander und Albert Renger-Patzsch. Mit seinem breit angelegten enzyklopädischen Werk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ gilt August Sander als Chronist seiner Zeit. Dank exakter Beobachtung gelang es ihm, ganz unterschiedliche Menschen als Repräsentanten ihres Berufsstandes oder ihrer Gesellschaftsschicht zu porträtieren – von Politiker und Arzt über Sekretärin und Konditormeister bis zu Gymnasiastin und Kohleträger. Während bei ihm der Fokus auf Porträts lag, wirkte Albert Renger-Patzsch mit seinen Landschaftsbildern und Stillleben stilbildend. Vor allem seine Sachaufnahmen von Fabrikanlagen, Zechen, Maschinen und Brücken inspirierten nachfolgende Fotografen-Generationen. Mit seinem 1928 erschienenen Buch „Die Welt ist schön“ schuf er ein fotografisches Manifest der Neuen Sachlichkeit.
Ausgewählte Werke von Sander und Renger-Patzsch stehen in der Ausstellung „SACHLICH NEU“ Aufnahmen von Robert Häusser gegenüber. Häusser wurde in die Zeit der Weimarer Republik hineingeboren, seine Bilder entstanden jedoch deutlich später, ab den 1940er Jahren. Die Motive sind in ihrer Klarheit auf das Wesentliche reduziert und zeigen eindeutige Bezüge zum Stil der Neuen Sachlichkeit. Häussers ähnliche Themenwahl so wie auch sein Schaffen waren geprägt von den einschneidenden Erfahrungen des Krieges – in seinem Fall des Zweiten Weltkrieges. Bei allen Parallelen zeigen seine Porträts, Landschaft- und Industrieaufnahmen aber eine ganz eigene Handschrift, die zugleich eine Nähe zum Surrealismus und Magischen Realismus aufweist. Neben dem auf dem ersten Blick Offensichtlichen schwingt bei ihm auch immer etwas Hinter- und Abgründiges mit. Häusser wurde so zum Vorreiter der Nachkriegsfotografie, zum Klassiker der Moderne und zu einem wichtigen Vertreter einer subjektiv-fotografischen Richtung.
Das Projekt wird ermöglicht durch die großzügige Förderung der Bassermann-Kulturstiftung Mannheim. „SACHLICH NEU“ ist ein besonderer Beitrag zum Jubiläumsjahr „100 Jahre Neue Sachlichkeit“ und flankiert eine große Sonderausstellung in der Kunsthalle Mannheim. Aus diesem Anlass wurde das Netzwerk „Die 1920er-Jahre in Mannheim“ ins Leben gerufen, an dem sich zahlreiche Partner mit Veranstaltungen und Aktionen beteiligen.