Mit der Gruppenausstellung „Berlin, Berlin“ feiert die Helmut Newton Stiftung vom 7. Juni bis 16. Februar ihr 20jähriges Jubiläum; zugleich ist es eine Hommage an Newtons Geburtsstadt.
Im Herbst 2003 hatte sich Helmut Newton entschieden, Teile seines Archivs nach Berlin zu überführen, nachdem er die nach ihm benannte Stiftung gegründet hatte, die im ehemaligen Landwehrkasino am Bahnhof Zoologischer Garten untergebracht und im Juni 2004 eröffnet wurde. Von jenem Bahnhof verließ Helmut Neustädter, als Jude ständig von der Deportation bedroht, Anfang Dezember 1938 überstürzt Berlin und kehrte 65 Jahre später als weltberühmter Fotograf Helmut Newton zurück. Seitdem bespielt die Helmut Newton Stiftung gemeinsam mit der Kunstbibliothek das historische Gebäude unter dem Namen „Museum für Fotografie“. Nach dem Tod von June Newton (alias Alice Springs) im April 2021 ist das Gesamtwerk von Helmut Newton und Alice Springs sowie alle Archivalien im Stiftungsarchiv untergebracht.
Helmut Newton absolvierte von 1936 bis 1938 in Berlin-Charlottenburg eine Ausbildung bei der legendären Fotografin Yva, der er in seinem späteren Werk in den drei Genres Mode, Porträt und Akt folgte. Nach Stationen in Singapur und Melbourne begann Newtons eigentliche Karriere in Paris Anfang der 1960er-Jahre; in dieser Zeit kehrte er auch regelmäßig nach Berlin zurück, um hier insbesondere für Modemagazine zu fotografieren, darunter für die Constanze, für Adam oder die Vogue Europe. Wir begegnen in der Ausstellung Newtons Modellen am Brandenburger Tor, noch vor Mauerbau, und 1963 realisierte er eine „Mata-Hari-Spionage-Story“ mit Brigitte Schilling als Modebildstrecke – rund um die Berliner Mauer, die für einiges Aufsehen sorgte. 1979 wurde er von der deutschen Vogue beauftragt, die gerade wieder auf den Zeitschriftenmarkt zurückkehrte, den Spuren seiner Kindheit und Jugend in West-Berlin zu folgen und aktuelle Mode zu visualisieren; so entstand damals ein mehrseitiges Portfolio unter dem Titel „Berlin, Berlin!“, der für diese Jubiläumsausstellung übernommen wurde. Später entstanden Cover-Stories für das Zeit-Magazin (1990), die Männer Vogue (1991) oder das Magazin der Süddeutschen Zeitung (2001).
Newtons ikonische und unbekanntere Berlin-Bilder, die zwischen den 1930er und Nullerjahren entstanden, werden in den anderen Ausstellungsräumen neu kontextualisiert, von Vintage Prints von Yva bis hin zur journalistisch-politischen Fotografie von Barbara Klemm. So wird der inhaltliche Bogen von den „goldenen Zwanzigern“, in die Newton hineingeboren wurde, über die Kriegszerstörung, den Wiederaufbau, den Mauerbau und -fall bis ins frühe 21. Jahrhundert geschlagen.
Jewgeni Chaldei, ein russisch-ukrainischer Fotograf, schuf ikonische Bilder vom Häuserkampf rund um den Reichstag in den letzten Kriegswochen im Frühjahr 1945, während Hein Gorny im folgenden Herbst gemeinsam mit Adolph C. Byers über die Stadt flog und ihren ruinösen Zustand nach Kriegsende in einer Serie spektakulärer Luftaufnahmen dokumentierte. In den späten 1950er-Jahren normalisierte sich langsam die lange Zeit so prekäre Situation in Berlin, wie wir anhand der Aufnahmen von Arno Fischer, Will McBride und F.C. Gundlach sehen können, die seinerzeit noch abwechselnd im Ost- und im Westteil der Stadt fotografieren konnten. Der Mauerbau im August 1961 veränderte erneut nahezu alles, im Westteil begannen ab 1966 die Studentenunruhen und die APO-Zeit, festgehalten unter anderem von Günter Zint sowie in einer Archivarbeit von Arwed Messmer, zusammengestellt aus historischen Aufnahmen der West- Berliner Polizei und durch die künstlerische Aneignung neu interpretiert.
Die Berliner Mauer taucht in der Ausstellung immer wieder auf, insbesondere in den 12 Folianten von Arwed Messmer, in denen die Besucher den Zustand der gesamten Mauer Mitte der 1960er-Jahre studieren können, ebenso wie Bilder aus der geteilten Stadt, die jenseits des Brandenburger Tores oder des Reichstages entstanden sind und zusammengenommen den Mythos Berlins und seine Visualisierung ausmachen. So sind es bestimmte Projekte, die Foto- oder Filmgeschichte geschrieben haben, die hier spannungsvoll miteinander interagieren, etwa Maria Sewcz‘ Serie „inter esse“ neben Michael Schmidts „Waffenruhe“ und Ulrich Wüsts Leporellos, oder film stills aus Wim Wenders‘ „Himmel über Berlin“; alle stammen aus den späten 1980er-Jahren, noch vor dem Mauerfall. Der Fall der Mauer, die Wiedervereinigung und die Fotografien, die dazu und danach entstanden sind, bilden schließlich das letzte Kapitel dieser Übersichtsausstellung. Dafür stehen exemplarisch Thomas Florschuetz und Harf Zimmermann mit ihren großformatigen Farbarbeiten, die unter anderem im ehemaligen Palast der Republik entstanden und den Fernsehturm am Alexanderplatz respektive das Schinkel’sche Erbe in Berlins Mitte spannungsvoll neu verorten. Es sind Bilder einer Stadt, die dazu verdammt ist, „immerfort zu werden und niemals zu sein“ (Karl Scheffler).
So wird Newtons Blick auf seine Heimatstadt, in Form von etwa 100 Fotografien, von ebenso vielen Bildern und unterschiedlichen Ansätzen der Kollegen und Kolleginnen in den hinteren Räumen begleitet, kommentiert, ergänzt und gespiegelt. Eine solche Gegenüberstellung mit wechselseitigen Bezügen gab es in der Stiftung bereits 2022 mit der Gruppenausstellung „Hollywood“, einem anderen bekannten Ort der Newton’schen Bildproduktion.
https://helmut-newton-foundation.org