Der Fotojournalist und FREELENS-Vorsitzende Marco Urban, Berlin, engagiert sich seit geraumer Zeit unter anderem zu Urheberrechtsfragen. ProfiFoto sprach mit ihm über die Machbarkeit einer Kennzeichnung KI-generierter Bilder.
ProfiFoto: Marco, viele in der Fotoszene fordern eine Kennzeichnung KI-generierter Bilder. Welche Möglichkeiten dazu erscheinen Dir praktikabel?
Marco Urban: Ja, wir halten es für sehr wichtig, dass „wahr“ und „unwahr“ von den Rezipienten leicht unterschieden werden kann. Das naheliegendste scheint mir zu sein, Fotografien bzw. Bilder mit dem oder beim Urhebernachweis zu kennzeichnen. Der ist ja ohnehin gesetzlich vorgeschrieben, also kann man ihn auch um eine Kennzeichnung zur “digitalen Herkunft“ des Bildes oder Fotos ergänzen.
ProfiFoto: Macht das bei allen Fotos Sinn, oder sollte eine solche Kennzeichnung nur eingeschränkt erforderlich sein?
Marco Urban: Natürlich ist diese Kennzeichnung dort am wichtigsten, wo die Authentizität von Bedeutung ist, also bei Dokumentarfotografie und im Journalismus. Das bedeutet aber nicht, dass man sie in anderen Feldern nicht auch fordern darf.
ProfiFoto: Ist es nicht Sache der Medien, im Interesse ihrer eigenen Glaubwürdigkeit die Authentizität von Bildern zu überprüfen?
Marco Urban: Die etablierten Medien wie auch die Nachrichtenagenturen betreiben bereits ein oft umfangreiches Fact Checking, wenn die Quellen nicht sicher sind. Ich denke aber, dass die meisten Probleme mit mehr oder weniger deep gefakten Bildern in den Social Media Plattformen auftreten werden, die für sehr viele Menschen längst die klassischen Medien ersetzt haben. Es war während der Corona-Pandemie bereits zu erleben, wie leicht Menschen durch falsche Nachrichten und Narrative beeinflusst wurden.
Da es sich aber in gewisser Weise um geschlossene Systeme handelt, könnte eine entsprechende Kennzeichnung automatisch erfolgen, ohne dass der Nutzer Einfluss darauf hat. Große Techunternehmen haben erst vom Kurzem die freiwillige Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten zugesagt, vermutlich um hier gesetzlichen Regelungen vorzugreifen.
Damit wären die Bilder der großen KI-Bildgeneratoren schon mal erkennbar, ohne dass man das ohne Weiteres ändern kann (Screenshot geht immer, ich weiß …). Der Rest ist eigentlich einfach: Die Social-Media-Plattformen müssen diese Kennzeichnung (und am besten auch gleich den Urheber des Werks) auslesen und beim Veröffentlichen eines Bildes anzeigen. Fertig. Natürlich hilft das nicht gegen echte Böswilligkeit, aber die könnte man ja sanktionieren, wie andere Böswilligkeiten im echten Leben auch. Ein generiertes Bild als authentisches Foto zu veröffentlichen, könnte in bestimmten Fällen als Betrug gewertet werden.
ProfiFoto: Freelens geht mit dem Vorschlag, auch authentische und manipulierte Bilder entsprechend zu kennzeichnen, noch einen Schritt weiter. Wie könnte das umgesetzt werden?
Marco Urban: Zu der Frage, was nun als authentisch (A), manipuliert (M) oder generiert (G) gewertet werden kann, habe ich mir – in Anlehnung an die Regeln des World Press Award – schon vor einiger Zeit Gedanken gemacht:
Authentisches Foto [A]:
Das Foto ist vollständig durch Belichtung entstanden.
Beschnitt ist erlaubt.
Verschieben, Hinzufügen oder Entfernen von Pixeln ist nicht erlaubt.
Ausnahme: Durch Kratzer oder Verschmutzungen von Sensoren oder Bildträgern entstandene Fehler.
Farbanpassungen oder die Umwandlung in Graustufen, die den Inhalt nicht verändern, sind mit zwei Ausnahmen zulässig:
Farbänderungen dürfen nicht zu signifikanten Veränderungen des Farbtons führen, die so stark sind, dass die bearbeiteten Farben von den Originalfarben abweichen.
Änderungen der Dichte, des Kontrasts, der Farbe und/oder der Sättigung, die den Inhalt erheblich verändern, indem sie Elemente des Fotos verdecken oder auslöschen, sind nicht zulässig.
Nicht erlaubt ist jede Bearbeitung, wenn sie Betrachter*innen in die Irre führt.
Inszenierung von Ereignissen sind nicht erlaubt, wenn sie Betrachter*innen in die Irre führen.
Manipuliertes Foto [M]:
Das Foto ist vollständig durch Belichtung entstanden, entspricht aber nicht den Maßgaben für ein authentisches Foto.
Generiertes Bild [G]:
Das Bild ist nicht oder nur zum Teil durch Belichtung entstanden, sondern durch andere Verfahren erstellt. Beispiele: Malerei, Grafik- oder Bildbearbeitungsprogramme, Künstliche Intelligenz.
Die Auslegung für A ist streng, aber das muss sie auch sein. Natürlich wird es zukünftig viele Bilder geben, die mit M gekennzeichnet sind – letztens hat sogar Der Spiegel ein Bild aus einem redaktionellen Auftrag so gekennzeichnet. Aber es geht ja darum, da einen Unterschied zu machen. A wäre eine Art Auszeichnung. Und wenn ich journalistisch arbeite, dann muss ich mich an die Regeln halten. M ist nicht glaubwürdig. G ist ein Fantasieprodukt.
ProfiFoto: Jenseits von Bildjournalismus spielt das aber doch alles keine Rolle, oder?
Marco Urban: M wäre aber bei werblichen Bildern kein Makel – es sei denn, man empfindet das so. Werbetreibende sollten sich darüber mal Gedanken machen. Ist das eigentlich okay, wenn in der Autowerbung schon jetzt keine realen Bilder zu sehen sind? Wird der Konsument da nicht betrogen?
ProfiFoto: Und wie siehst Du die Sache bei Stock-Fotos?
Marco Urban: Die wird es bald so nicht mehr geben. Für diese Bilder braucht in naher Zukunft niemand mehr Fotograf*innen oder Models mit ihren umfangreichen Rechten. Stock-Bilder werden billiger und individueller von der KI generiert werden.
Aber: Auch ein Stock-Foto wäre, wenn es den technischen Anforderungen genügt, ein authentisches Foto. Bisweilen werden Symbolfotos von Medien auch so gekennzeichnet. Das könnte man natürlich zusätzlich fordern, wobei hier die Abgrenzung schwierig wäre.
Wenn wir hier allerdings technische und inhaltliche Fragen zu sehr vermischen, können wir die Sache gleich vergessen. Dann ist das Ganze nicht handhabbar. Die Konsequenz daraus wäre, den Kampf schon jetzt als verloren zu betrachten.
ProfiFoto: Es gibt dazu ja viele Meinungen in der Foto- und der Medienszene. Nicht alle scheinen von einer weitreichenden Kennzeichnung überzeugt zu sein?
Marco Urban: Ich halte es für wenig hilfreich, nach Problemen zu suchen und immer mehr scheinbare Widersprüche aufzuzeigen. Damit kommen wir kein bisschen weiter.
Einige sind ja der Meinung, dass die Magazine deshalb nicht als authentisch kennzeichnen sollten, weil sie ja auf jeden Fall authentisch sein müssen. Authentisch muss man kennzeichnen, um gar nicht gekennzeichnete Bilder zu deklassieren. Es ist ja auch so, dass selbst in Biomärkten die Bio-Ware entsprechend gekennzeichnet ist. In jedem Fall geht es ja auch darum, solche Label zu etablieren.
Die Kennzeichnung wird im Übrigen auch seitens der Politik gefordert, zum Beispiel durch Věra Jourová, Vice-President für Werte und Transparenz in der EU-Kommission. Sie will eine Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten durchsetzen. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hingegen findet es zielführender „(…) die Echtheit digitaler Medieninhalte wie Text, Ton und Bild beim Urheber fälschungssicher zu kennzeichnen (…)”. Warum nicht beides?
ProfiFoto: Was können Fotografinnen und Fotografen konkret tun, um dem Thema gerecht zu werden?
Marco Urban: Wir können die Kennzeichnung unserer Bilder in den IPTC-Daten vornehmen. IPTC hat sich dazu längst Gedanken gemacht und sieht im „NewsCodes Scheme“ bereits ein Feld „Digital Source Type“ vor. Interessant ist hier für die Frage A/M/G vorrangig die Kategorie “Name(en-GB): Original digital capture sampled from real life”, die voraussetzt, dass ein Bild eines real existierenden Motivs kamera-basiert erfasst wurde. Das entspräche einem [A]. Es gibt aber auch “Name(en-GB): Algorithmically-enhanced media” für Bilder, die durch eine KI verbessert wurden. Das würde auch dann zutreffen, wenn man Personen in Lightroom maskiert, um sie unabhängig vom restlichen Bild zu korrigieren. Außerdem gibt es weitere Kategorien für Scans vom Negativ, Positiv oder Bild. Hier wäre die Frage, ob das Original eigentlich [A] war.
[M] entspräche der IPTC-Kategorie “Name(en-GB): Original media with minor human edits” für retuschierte Bilder oder “Name(en-GB): Composite of captured elements” für Composings.
Für KI-generierte Bilder [G] gilt die IPTC-Kennzeichnung “Pure algorithmic media” oder alternativ “Data-driven media”, “Digital art” beziehungsweise “Virtual recording”, “Composite including synthetic elements” oder “Trained algorithmic media”
Allerdings sind z.B. bei Lightroom nicht alle Kategorien für das Feld auswählbar. Aber mit einer Kennzeichnung der authentischen Bilder durch Fotografin oder Fotograf wäre ja schon ein erster Schritt getan.
ProfiFoto: Vielen Dank für das Gespräch!
http://www.marco-urban.de