Während Smartphotography den Massenmarkt dominiert, wächst das gesellschaftliche Interesse an Fotografie als Kulturgut kontinuierlich. Gleichzeitig geraten professionelle Fotografie und die Authentizität der Bildberichterstattung durch KI-Bildgeneratoren unter Druck. Diese und weitere Themen waren Thema des Gipfeltalks beim 11. Oberstdorfer Fotogipfel.
ProfiFoto Chefredakteur Thomas Gerwers diskutierte beim Gipfeltalk im Rahmen des 11. Oberstdorfer Fotogipfels mit Staatsministerin Claudia Roth (Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und politische Schirmherrin des Fotogipfels 2023), Kristian Schuller (Fotograf und fotografischer Schirmherr des Oberstdorfer Fotogipfels 2023), Bernd Aufderheide (PHOTOPIA Hamburg), Falk Friedrich (Leica Camera Deutschland), Reiner Fageth ((CTO, Head of R&D bei der CEWE Stiftung) und Christian Popkes (Kurator des Oberstdorfer Fotogipfels).
ProfiFoto: Claudia Roth, Sie als politische Schirmherrin des Oberstdorfer Fotogipfels: Welche gesellschaftliche Stellung hat die Fotografie Ihrer Auffassung nach als Kulturgut aktuell in unserer Gesellschaft?
Claudia Roth: Die Fotografie hat schon immer auch eine große gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Relevanz gehabt, man denke allein an die Pressefotografie. Fotos, die uns nicht mehr loslassen, die manchmal mehr sagen, mehr vermitteln als Worte. Doch die Frage ist, wie sieht es mit der Bedeutung und Repräsentation der Fotografie als Kunstsparte, als Kulturgut aus? Fotografie hat in den vergangenen Jahrzenten deutlich an Popularität hinzugewonnen, ja, aber es gibt noch Nachholbedarf. Ein Beispiel aus meiner Zeit als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, in dieser Funktion war ich jahrelang im Kunstbeirat des Deutschen Bundestages. In der über viereinhalbtausend großen Kunstsammlung des Deutschen Bundestag waren anfangs kaum Fotografien vertreten. Das hat sich inzwischen geändert und jetzt findet man dort auch verstärkt künstlerische Fotografie. Und auch Ausstellungen zur zeitgenössischen Fotografie sind ja immer beliebter. Das ist eine wichtige, eine gute Entwicklung, die wir aber weiter vorantreiben, und deshalb erhält die Fotografie auch in meinem Haus mehr und mehr Bedeutung.
ProfiFoto: Um dem Rechnung zu tragen, war die Gründung eines Deutschen Fotoinstituts ja schon unter Ihrer Vorgängerin beschlossene Sache. Wie ist aktuell der Stand der Dinge bei diesem Projekt?
Claudia Roth: Leider ist in dem Zusammenhang viel Ärger entstanden. Aber es ging in dieser ganzen Auseinandersetzung überhaupt nicht um die Sache, also darum, dass wir ein solches Fotoinstitut brauchen, sondern es ging nur um die Standortfrage. Deshalb möchte ich zunächst nochmal die Bedeutung eines Deutsches Fotoinstituts für die Fotografie in unserem Land unterstreichen, denn ein solches Institut macht klar: Fotografie ist Kunst. Aber zurück zur Standortfrage: Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat sich dreimal eindeutig für den Standort Düsseldorf entschieden, jetzt heißt es gemeinsam mit der Landesregierung NRW den Willen des Parlaments umzusetzen und die gesamte Breite der fotografischen Szene einzubinden. Diese Entscheidung ist ja vor allem auch eine Entscheidung für den Standort Nordrhein-Westfalen.
Es ist gut, dass die Gründungskommission, mit Fachleuten aus einem breiten Spektrum aller relevanten Bereiche der Fotografie, nach der Sommerpause ihre Arbeit aufnehmen kann und die Konzeption erarbeitet. Das Projekt ist also auf einem guten Weg, und ich hoffe sehr, dass wir endlich über die Inhalte, über Fotografie reden und diskutieren.
ProfiFoto: Viele Kreative – auch Fotografierende – fühlen sich aktuell durch generative KI bedroht. Sehen Sie hier politischen Handlungsbedarf, und wie sieht Ihre Strategie dafür aus?
Claudia Roth: In der gesamten Kreativbranche wird gerade intensiv darüber diskutiert, wie KI das Arbeiten, das Kunstschaffen verändert und weiter verändern wird. Was KI und ihre Auswirkungen auf die Kultur angeht, beobachte ich sehr genau, bin dabei auch sehr interessierte Zuhörende und Lernende. Politik, Kunst- und Kulturschaffende und die Macherinnen und Macher von KI sollten sich gemeinsam überlegen: Was müssen die Rahmenbedingungen sein? Wie können wir hier einen angemessenen Interessensausgleich schaffen? Wie können wir insbesondere für Transparenz, klare Verantwortlichkeiten und eine angemessene Berücksichtigung von Urheberrechten sorgen? Wie wirkt sich KI auf das Arbeitsleben von Kunst- und Kulturschaffenden aus?
Das sind zentrale Fragen, die von vielen auch im Bereich der Fotografie gestellt werden, nicht zuletzt, weil KI-Training ja unter anderem auf Fotografien basiert, die online verfügbar sind. Was passiert mit meinem geistigen Eigentum? Wie wird das geschützt? Wie kann ich auch zukünftig davon leben? Wie wird Kreativität bewertet? Das wird, das ist bereits eine große und wichtige Debatte.
Ich denke da tatsächlich ganz oft an die Fotografinnen und Fotografen, die plötzlich mit KI-Bildern konfrontiert sind. Können sie den kreativen Kern ihres Schaffens gegenüber KI behaupten? Ich glaube ja, menschengemachte Kunst wird auch in Zeiten von KI-Kunst ihren besonderen Wert, die ihr eigene Kreativität, behalten.
Aus meiner Sicht spricht Vieles dafür, dass KI-generierte oder manipulierte Werke grundsätzlich gekennzeichnet werden sollten, damit ich erkennen kann, was dahintersteckt. Meine große Sorge ist das Verhältnis menschlicher Kreativität zu den sich neu entwickelnden, technischen Möglichkeiten. Dies hängt auch eng zusammen mit folgendem Aspekt: Fotografie als Mittel der Propaganda, zur Desinformation und für Fake News. Natürlich konnte man Fotografien schon immer manipulieren beziehungsweise nur einen Teil des Geschehens abbilden, aber KI wirkt wie ein Turbo. Hier loten wir als Gesellschaft und auch als Politik nach wie vor aus, wie wir damit umgehen, wie wir unsere Demokratie resilienter dagegen machen können und was wir gegen den Missbrauch und die Manipulation tun können
ProfiFoto: Kristian Schuller, als fotografischer Schirmherr des Fotogipfels: Kann das eben Gesagte die Angst vor KI-Bildgeneratoren nehmen? Oder macht Dir persönlich das Thema am Ende gar keine Sorgen?
Kristian Schuller: Ich unterscheide da zwei Bereiche. Der eine ist der kreative Bereich. Da erleben wir einen ganz normalen Fortgang, so wie irgendwann mal die Fotografie aufkam, dann Filmkameras, später wurden die Aufnahmegeräte kleiner, schneller und flexibler. Schließlich wurde die Fotografie digital, es kam Photoshop, und jeder neue Schritt hat die Leute irritiert, beängstigt und verunsichert. Das hat immer wieder dazu geführt, dass Jobs kamen und gingen. Die Welt hat sich weitergedreht. Wenn ich in diesem Kontext KI sehe, dann ist es der Lauf der Dinge, dass viele Fotografen nicht mehr gebraucht werden. Unsere Nachfolger werden quasi Grafiker sein, die sich der Bilder Anderer bedienen und diese neu zusammenstellen. Man darf auch nicht vergessen, wie viel großartige Fotos existieren, an denen neben einem Fotografen auch ein Stylist / in oder Art Direktor / in und ein ganzes Team beteiligt war, ein Thema, das gerne unter den Tisch fallen gelassen wird.
Aber das kann man eben nicht so einseitig betrachten. Wir schauen alle momentan KI-Bilder an. Auch für mich das Entscheidende ist die Sorge, dass Desinformation durch das neue Werkzeug an Boden gewinnt, um zu beeinflussen und zu manipulieren.
Im kreativen Bereich stecken wir alle in einem Lernprozess. Einer meiner größten Kunden beschäftigt einen jungen Kreativdirektor, der sehr weit vorne in technischen Fragen ist. Er gibt der klassischen Fotografie noch zwei Jahre, weil er dann für normale Jobs keinen Fotografen mehr braucht. Ich muss dazu sagen, ich habe schon vor zehn Jahren der Fotografie nur noch fünf Jahre gegeben und mein ganzes Leben darauf eingestellt. Aber ich glaube, dass wir im High End Bereich auf jeden Fall weiterhin reale Menschen brauchen werden.
Vielleicht überleben auch wir das alles, aber eigentlich bräuchten wir in der Masse längst nicht mehr zu fotografieren. De facto können wir alles filmen und anschließend das eine Bild aus 25, 60 oder 120 Bildern pro Sekunde auswählen, das wir brauchen. Wenn zum Beispiel eine große Schauspielerin fotografiert wird, wird auch zukünftig noch eine Spitzenkraft ran, aber nicht weil die es besser macht, sondern weil da Eitelkeiten im Spiel sind.
Kein einziges Still müsste mehr geschossen werden. Wenn die AI in der Lage ist, aus einer Videosequenz die fünf Bilder mit entscheidenden Posen – denkend, lachend, ruhig –auszuwählen, dann fände ich das sehr praktisch.
Wie gesagt, ich habe mich schon einmal getäuscht..
ProfiFoto: Ich habe gestern in Midjourney den Prompt „Modefoto im Stil von Kristian Schuller“ eingegeben. Hast Du das mal selbst ausprobiert?
Kristian Schuller: Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen. Wir werden es sicherlich mal ausprobieren. Aber ich habe das große Glück, dass ich den Berg schon ein bisschen weiter runtergefahren bin und die Lawine noch so weit hinter mir liegt, dass ich mich im Moment noch auf mein Jetzt konzentrieren kann. Aber ich weiß, die Lawine holt auch mich ein.
Claudia Roth: Kristian, aber was ist, wenn etwa bei Porträts einfach der Kopf der Person ausgetauscht wird? Wessen Bild ist das dann?
Kristin Schuller: Das hätten wir schon vor fünf Jahren perfekt machen können. Dafür brauchen wir keine KI, das kriegen wir mit Photoshop hin.
Ich persönlich habe sicherlich den Vorteil, dass meine Bilder einen gewissen Wiedererkennungswert haben. Schwieriger wäre es für einen Pressefotografen, der ein Motiv geschossen hat, dass 20 andere auch fotografiert haben, weil er kaum beweisen kann, dass dieses Bild von ihr oder ihm ist. Wird aber der Kopf einer dargestellten Person ausgetauscht, dann entsteht eventuell eine neue Interpretation des Fotos. Schwieriges Thema – aber für Fragen zu Recht und Ordnung seid ja Ihr Politiker zuständig. Wir Fotografen sind zum Glück in Vereinen Mitglied, damit die Rechtsanwälte bezahlt werden, die uns durch diesen Irrgarten leiten – lacht..
ProfiFoto: Kristian, nicht nur für KI-Bildgeneratoren, auch für viele Fotografen dient Dein Stil als Vorbild. Wo findest Du Inspiration? Und welche Inspiration möchtest Du mit Deinen Bildern vermitteln?
Kristian Schuller: Was mir als Anregung ganz wichtig ist, auch wenn ich mit Studenten zusammen bin oder etwas mit ihnen erarbeite, ist, den Mut zu haben, nach vorne zu gehen und sich zu bewegen. Das Allerwichtigste ist Bewegung, mach einen Schritt und dann den nächsten. Mit jedem Schritt passiert etwas, kreative Arbeit ist ein Prozess. Die eigentliche Arbeit ist der Weg, nicht das Ergebnis. Und es ist dieses große Missverständnis, dass man das große Meisterwerk sucht. Nein, der Weg dahin ist die eigentliche Aufgabe, unser Leben, unsere Arbeit. Und das Entscheidende ist, sich dem zu stellen und den Mut zu haben, die Tür aufzumachen, auf die Straße zu gehen und sich zu bewegen.
ProfiFoto: Falk Friedrich, wir reden hier über KI generierte Bilder, aber laut Deiner Kollegin Karin Kaufmann bleibt ein Bild, das nicht gedruckt wird, nur eine Datei. Ist das in Zeiten von NFTs und KI noch gültig?
Falk Friedrich: Ich glaube, dass der Fotogipfel ja gerade ein Beleg und ein Indiz dafür ist, dass die Gültigkeit des gedruckten Bildes einen hohen Stellenwert hat. Und den Satz, den du von Karin zitierst und hinterfragst, kann man so stehen lassen, aber man muss – wie in vielen Dingen – komplementär denken. Es gehört jetzt noch etwas dazu.
Ihre Aussage bezog sich immer darauf, dass viel zu viele Fotografien, anders als in der analogen Vergangenheit, irgendwo auf einem Speichermedium bleiben. Und erst, wenn ich sie auf Papier bringe, wird aus einer Bilddatei eine Fotografie. NFTs gehören aber sicher zu den Themen, denen sich Unternehmen wie Leica stellen müssen.
Leica hat sich zusammen mit anderen Unternehmen wie Canon, Nikon und Adobe der Content Authenticity Initiative angeschlossen. Wir diskutieren über Möglichkeiten, direkt in der Kamera eine Kennzeichnung, sogenannte Content Credentials, mit der Bilddatei zu verknüpfen, damit man deren Authentizität belegen kann. Das ist ein wichtiges Thema, und sowohl Claudia als auch Kristian haben das sehr, sehr gut und treffend beschrieben.
In Gesprächen mit Fotografen wird für mich immer deutlicher, dass KI nicht unbedingt als Bedrohung abgelehnt werden sollte, weil es unaufhaltsam ist. Stattdessen müssen wir lernen, mit diesen Themen umzugehen. Vertrauen in den Urheber wird zu einem wichtigen Faktor, denn natürlich gibt es Bereiche in der Fotografie, in denen KI gefährlich ist, gerade wenn es um Desinformation geht. Aber ich glaube, es ist nicht gut, KI zu verteufeln, weil es nicht an uns vorbeigehen wird. Es ist nur eine Frage, wie man damit umgeht.
ProfiFoto: Ich persönlich befürchte, dass unsere Sehgewohnheiten sich durch KI-generierte Bilder verändern. Ich frage mich mittlerweile sehr häufig, ob ein Bild von einer KI erstellt, oder ob es tatsächlich fotografiert wurde …
Falk Friedrich: Ich stimme Dir zu, dass KI Einfluss auf unseren Umgang mit Bildern haben wird. Man muss hinterfragen, ob das, was ich da gezeigt bekomme, echt ist oder synthetisch ist.
Kristian Schuller: Viele Hollywood Filmproduktionen sind ja schon lange zu großen Teilen animiert.. Wir sind also längst darauf trainiert, Bilder zu hinterfragen. Viele der klassischen Berufe sind durch Automatisierung und Digitalisierung bereits verschwunden, und darauf zu pokern, dass man in 15 Jahren noch Effekte in Hollywood Studios mit einem Hundert-Mann-Team produzieren wird, erscheint mir zweifelhaft, weil bis dahin vielleicht selbst Kleinkinder ihrem iPad einfach mitteilen können, was für einen Film sie gerne generiert haben möchten.
ProfiFoto: Immerhin wäre das ja dann schon ein kreativer Akt …
Claudia Roth: Um Jugendliche an die Kultur heranzuführen, gibt es seit ein paar Wochen den Kulturpass. Ein großes Pilotprojekt, auf dass ich wirklich stolz bin: Menschen, die dieses Jahr 18 Jahre alt werden, erhalten 200 Euro Budget für Kultur, also für Bücher, Museen, Ausstellungen, Theater, Konzerte, Festivals, Schallplatten, Musikinstrumente und so weiter.
ProfiFoto: Ich habe richtig verstanden? Damit können auch Musikinstrumente angeschafft werden? Gilt das auch für Kameras?
Claudia Roth: Nein, nicht für Kameras – aber für natürlich für den Besuch von Foto-Ausstellungen, wie etwa die großartige Ausstellung zu Lee Miller im Bucerius Kunst Forum in Hamburg.
Reiner Fageth: Ob ich ein Buch gedruckt oder am Computer lese, ist aber keine Entweder-Oder-Frage, das geht beides parallel. Man kann mal ein gedrucktes Buch lesen, und dann wieder einen Text am Monitor. Erst letzte Woche habe ich Falk Friedrich aus Japan ein Bild einer jungen Frau geschickt, die sowohl eine analoge, als auch eine digitale Kamera dabei hatte.
Wir müssen es schaffen, die emotionalen Momente in den Fokus zu rücken. Um Emotionen zu verschenken, können wir all die tollen Technologien nutzen, die es heute gibt.
Und die andere Frage lautet: Was ist Wahrheit? Was ist Fake? Wir haben dieselben Diskussionen während der Digitalisierung geführt. Der große Unterschied für mich ist bei KI, das der Fortschritt so viel schneller verläuft und uns dadurch überfordert.
Claudia Roth: Wir haben ja alle Matrix gesehen und Brave New World gelesen. Aber der entscheidende Unterschied zu allem, was vorher war, ist, dass bislang immer ein Mensch beteiligt war, der die Hebel bedient hat. Bei KI ist das anders. Und das ist, glaube ich, der ganz große Unterschied zu vorher.
Kristian Schuller: Da sind wir wieder bei der Politik. Überall in der realen, analogen Welt dreht die Politik durch, wenn es um Regeln geht, etwa für die Kennzeichnung von Bio-Lebensmitteln. Alles sehr richtig und wichtig! Aber bei TikTok und Co. scheint irgendwie kein Politiker jemals reingeschaut zu haben und hat auch keine Vorstellung, was da eigentlich abgeht in dieser virtuellen Welt.
Auch bei AI sehe ich die Hauptgefahr, dass zu viele Politiker denken, dass das eine Freiheit ist, die man verteidigen müsste. Was wir aber brauchen, sind gewisse Normen. Was analog illegal ist, muss es digital auch sein. Wie soll AI kontrolliert werden, wenn alles Digitale eine heilige Kuh ist?
ProfiFoto: Ich denke, man muss unterscheiden zwischen kamerabasierter und synthetischer Bilderwelt, die eben nicht die Realität abbildet, sondern künstlich generierte Welten erschafft.
Falk Friedrich, ein anderes Trendthema ist die analoge Fotografie, die immer beliebter wird. Leica hat mittlerweile drei analoge Kameras im Programm. Wie nachhaltig ist dieser Trend?
Falk Friedrich: Leica hat nie aufgehört, analoge Kameras zu produzieren. Es gab lange Zeit zwei analoge Kameramodelle, die M7 und die MP. Aber es ist kein Geheimnis, dass wir nur eine ganz kleine, vierstellige Zahl dieser Kameras im Jahr produziert haben. Mehr als die Hälfte der Produktion ging nach Japan, denn in der dortigen Fotokultur wird der analogen Fotografie eine sehr hohe Wertschätzung entgegengebracht. Dann kam auf einmal die Analogwelle, die ich auch nicht erklären kann. An den Hochschulen ist aktuell die dritte Generation, die ohne Film aufgewachsen ist. Die Arbeit in der Dunkelkammer ist ja ein anderer kreativer Prozess, als ein, zwei Regler am Rechner hoch und runterzuschieben.
Viele gebrauchte Leica M3, M4, M6, für die wir alle noch viele Ersatzteile haben, sind noch im Gebrauch. Und dann kam irgendwann der starke Wunsch, die M6 noch einmal zu reloaden, um in der Filmsprache zu bleiben. Aber auch da sind die Stückzahlen, die wir fabrizieren, überschaubar. Aber solange wir das irgendwie aufrechterhalten können, werden wir analoge Kameras anbieten.
ProfiFoto: Bernd Aufderheide, wir haben bereits eine Reihe an Themen angeschnitten, die die PHOTOPIA als neuer Messeevent der Fotobranche alle abbilden will. Wie kann dieser Spagat gelingen?
Bernd Aufderheide: Ich habe tatsächlich gerade bei dem, was ihr gesagt habt, über die Zukunft des Projektes PHOTOPIA nachgedacht. Dabei komme ich zu dem Schluss, dass dies gar kein so riesiger Spagat ist. Was wir versuchen, ist, diese Vielfältigkeit der Themen mit all ihren Facetten darzustellen.
Die PHOTOPIA ist ja ein Festival mit ganz unterschiedlichen Aspekten.
Messen sind aus Jahrmärkten entstanden, da waren die Gaukler, und alle Leute freuten sich und hatten Spaß. Das ist nach wie vor ein ganz wichtiges Element, auch bei modernen Messen. Es gilt, Themen so aufzubereiten, dass Aussteller und Besucher zusammenfinden die richtigen Impulse an den Mann und an die Frau gebracht werden. Und wenn uns das gelingt, dann glaube ich, haben wir eine Funktion, die nicht der Vergangenheit angehört, auch wenn das Messewesen das zweitälteste Gewerbe der Welt ist.
Wir in Hamburg haben vor ein paar Jahren das 650. Jubiläum des Messeplatzes Hamburg gefeiert. Man hat uns abgeschrieben, als die Industrialisierung kam. Man hat uns abgeschrieben, als es die Digitalisierung gab. Man hatte uns in der Pandemie abgeschrieben. Doch es gibt uns immer noch. Und ich glaube, da müssen wir als Messe-Veranstalter uns gemeinsam mit der jeweiligen Branche einfach intensiv reinhängen und fragen, was wirklich gebraucht wird. Wie können wir so eine Plattform nutzen, um unsere Anliegen nach vorne zu treiben?
Auch bei uns wird das Thema KI in September einen großen Stellenwert haben. Wir haben in Hamburg eine AI Foundation, die für uns Startups rekrutiert, die ihre Lösungen zeigen. Weitere PHOTOPIA-Themen sind Fotografie im Metaverse, NFTs, aber auch die analoge Fotografie. Es geht für uns dabei immer um Engagement, Spaß und Emotion.
ProfiFoto: Welche Impulse will die PHOTOPIA im September den Besuchern geben?
Bernd Aufderheide: Ich war ja selbst an anderer Stelle auch mal für eine Messe verantwortlich, die jahrzehntelang die weltweit führende Fotomesse war. Aber es gibt bestimmte Faktoren, die heute so nicht mehr funktionieren. Da müssen wir ansetzen, um den Faden nicht zu verlieren, auch wenn der Weg kein einfacher ist.
Wichtig ist die Community, Stichwort Familientreffen, nichts anderes ist die PHOTOPIA ja auch. Und das wollen wir mit allen gemeinsam auf ein neues Level bringen. Was derzeit einen eher nationalen Rahmen hat, soll eine europäische Relevanz bekommen. Unsere Kunden auf der Ausstellerseite, die Kreativen, die Fotografie-Liebhaber, wir alle haben die gleichen Themen. Wir bieten allen eine Plattform zum Austausch. Nur gemeinsam können wir bestimmte Messages in die Gesellschaft tragen. Dann haben wir, glaube ich, viel erreicht.
Falk Friedrich: Da ist sicher noch Luft nach oben, aber die Richtung stimmt. Es gibt ja manchmal eine Tendenz in Deutschland, alles zu zerreden, zu kritisieren und zu nörgeln. Jedes Festival in Deutschland hat eine unterschiedliche Ausrichtung. Und ohne, dass wir jetzt vergleichen, muss ich der Hamburg Messe einfach ein großes Kompliment machen, weil sie mit der PHOTOPIA alles abdeckt. Es gibt informative Veranstaltungen wie die Creative Content Conference, Stages und Workshops. Es gibt Vorträge, Fotografen haben ihren Space, es gibt Ausstellungen, und es gibt auch Händler, die dort vor Ort sind. Man kann also, wenn man auf die Idee kommt, sogar etwas kaufen. Es gibt nichts, was fehlt oder wo man was zu kritisieren hätte. Und deswegen glaube ich, die PHOTOPIA hat eine große Zukunft.
Claudia Roth: So ein Festival ist wie ein Mosaik, wo alles zusammenkommt. Das ist wirklich etwas Besonderes. Und in unserem Gespräch thematisieren wir sehr wichtige und spannende Fragen. Wir leben in einer hybriden Welt, aber was heißt das eigentlich? Welche Rolle spielt dabei Ethik in einer solchen Welt, die sich rasend schnell verändert? Und was bedeutet das für den individuellen Menschen, was für die Gesellschaft? Das finde ich eine legitime Debatte. Eigentlich ist es eine hoch-philosophische Auseinandersetzung. Und daher kommt eben der Begriff des digitalen Humanismus.
ProfiFoto: Reiner Fageth, CEWE steht wie kein anderer Anbieter für Prints persönlicher, privater Bilder. Welche Perspektive sehen Sie dafür im Massenmarkt?
Reiner Fageth: Bilder, das sind Emotionen. Klar fertigen wir bei CEWE weniger Bilder als vor 20 Jahren, damals haben wir vier Milliarden im Jahr geliefert, jetzt sind es nur noch zweieinhalb.
Aber das sind die wertvolleren Bilder, das sind die Emotionen, das sind die Geschenke zu Weihnachten, der Kalender oder ähnliches.
KI kann helfen, die besten Bilder aus der großen Mengen an Fotos heraus zu finden, diese schöner zu machen. Wir können damit den Wert der Bilder für Konsumenten deutlich erhöhen. Und auch, wenn davon weniger gedruckt werden, entstehen heute tollere Bilder. Wir müssen ermöglichen, Emotion, die Freude am Foto zu vermitteln. Und das kriegen Kamerahersteller nicht alleine hin. Das kriegen auch die Bilddienstleister alleine nicht hin.
Das kann nur gemeinsam gelingen. Und deswegen ist Obersdorf so wichtig, um gemeinsam zu zeigen, dass wir eine Branche sind, die sich gegenseitig befruchtet, die Emotionen transportiert. Eine gute Kamera ermöglicht, dass ich ein tolles Bild an die Wand hängen kann. Ein solches Foto weckt den Wunsch, ein neues Objektiv oder ein Zubehör zu kaufen. Wir müssen verstehen, dass all diese Faktoren interagieren.
Aber ich würde gerne noch mal auf einen ganz wichtigen Punkt, nämlich das Thema Ethik und Verantwortung eingehen. Das ist nicht nur eine Gefahr, das ist auch eine Chance für Unternehmen, die das ernst nehmen. Wir informieren unsere Kunden vorher darüber, wie wir mit KI umgehen, und überlassen jedem einzelnen, ob er das wirklich nutzen will. Wir setzen KI nicht automatisch ein. Wer eine Bildverbesserung wünscht, die KI-basiert ist, muss das anklicken. Wir haben einen Digitalisierungsbeirat, der das kontrolliert. Wir gehen mit den Möglichkeiten also offen um und setzen die Technologie nicht einfach ungefragt ein.
ProfiFoto: Christian Popkes, in Deiner Doppelfunktion als Kurator des Fotogipfels und als künstlerischer Leiter der PHOTOPIA: Was braucht die Fotografie aktuell, um in dem hier und heute thematisierten Spannungsfeld ihre Rolle neu zu definieren beziehungsweise zu behaupten?
Christian Popkes: Viele Antworten haben wir schon in der Runde gehört. Der Mensch ohne den Menschen ist nichts. Und der Mensch funktioniert am besten in der Interaktion mit seinem Gegenüber, mit anderen Menschen und im besten Fall mit Gleichgesinnten, die einen ähnlichen Fokus haben. Und diese Interaktion mit anderen Menschen, dass man sich einmal im Jahr hier in Obersdorf trifft, dass man sich in Hamburg zur PHOTOPIA trifft und Gleichgesinnte sieht, sich inspirieren und sich von Begeisterung anstecken lassen kann, ist das Entscheidende. Eine Kamera kann zwar auch begeistern, aber ein Mensch, der mit einer Kamera ein Bild gemacht hat, das dann gedruckt wird und an der Wand hängt, begeistert umso mehr. Und ich denke, diese Inspiration, die man dadurch kriegt, dass man andere Fotografinnen und Fotografen trifft, dass man Meister der Kamera wie Kristian Schuller trifft, ist das Wichtigste.
In Oberstdorf bieten die Berge, verbunden mit dieser tollen Gastfreundschaft, die hier typisch ist, der ideale Rahmen, so wie auf der PHOTOPIA unsere tolle Containerlandschaft. Der zwischenmenschliche Aspekt gewinnt meiner Meinung nach in Zeiten von Social Media, Augmented Reality und KI immer mehr an existenzieller Bedeutung. Und deswegen machen wir Foto-Events, wie den in Oberstdorf und den in Hamburg.
Bei beiden reicht die Bandbreite vom Smartphonefotografen bis zum Profi. Das Ergebnis ist entscheidend. Und wer tolle Bilder mit dem Handy macht, macht dann auch irgendwann den nächsten Schritt.
ProfiFoto: Ein schönes Schlusswort, lieber Christian. Vielen Dank an alle in der Runde für unseren Gipfeltalk.