Im September 2021 hatte die Schweizer EIGER FOUNDATION mit dem African Photobook of the Year Award einen neuen Fotobuchpreis ins Leben gerufen. Der Gewinner und drei Zweitplatzierte wurden jetzt aus insgesamt 4.000 Einsendungen einen ausgewählt.
Der Preis für die bemerkenswerteste Fotopublikation geht an The African Lookbook: A Visual History of 100 Years of African Women von Catherine McKinley.
Catherine McKinley
Leonard O’Brien (Vorsitzender, EIGER FOUNDATION): „Während die meisten mit Bildern afrikanischer Frauen aufgewachsen sind, die rein anthropologisch waren – glänzende Darstellungen von Exotik, bei denen die tiefere Persönlichkeit verborgen blieb, oder Chroniken von Krieg und Armut – stützt sich die Kuratorin Catherine E. McKinley für The African Lookbook auf ihre umfangreiche Sammlung historischer und zeitgenössischer Fotos, um eine visuelle Geschichte zu präsentieren, die sich über einen Zeitraum von hundert Jahren (1870–1970) erstreckt und damit zu den frühesten Fotografien des Kontinents zählt. Diese Bilder erzählen eine andere Geschichte der afrikanischen Frauen: wie kosmopolitisch und modern sie in ihrem Stil sind; wie sie in der Lage waren, die Werkzeuge der kolonialen Unterdrückung zurückzufordern, die ihre Selbständigkeit und ihren Lebensunterhalt bedrohten.“
Mit Werken berühmter afrikanischer Meister, legendärer afrikanischer Ateliers und anonymer Künstler fängt The African Lookbook die Würde, Verspieltheit, Strenge, Erhabenheit und Fantasie afrikanischer Frauen über ein Jahrhundert hinweg ein. McKinley zeigt auch Fotos von Europäern – vor allem auffällige Aktfotos –, die die Beziehungen zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen zeigen, in denen bestenfalls ein gravierendes Machtungleichgewicht herrscht. „Es ist eine bittersüße Wahrheit, dass es bei Ausbeutung auch tiefgreifenden Widerstand geben kann, der auf unerwartete Weise zum Ausdruck kommt – und sei es nur durch erwiderte Blicke. Diese Fotos erzählen, wie die Nähmaschine und die Kamera zu mächtigen Werkzeugen für die Selbstdarstellung der Frauen wurden und enthüllen eine wahrhaft glorreiche Darstellung der alltäglichen Schönheit“, so Leonard O’Brien.
Alle Bilder sind dem Buch The African Lookbook: A Visual History of 100 Years of African Women von Catherine McKinley entnommen.
Bild 1: ohne Titel, ca. 1930, unbekannter Fotograf, aus der Sammlung von Aladji Adama Sylla, St. Louis, Senegal | Bild 2: ohne Titel, 1900, Dunau/Lumiere Society, Senegal | Bild 3: Peulh-Frau aus Niger, 1970, Malick Sidibe, Mali | Copyright Estate Malick Sidibe, Courtesy MAGNIN-A, Paris
Potšišo Phasa
Einer der drei zweiten Plätze geht für „A City on a Hill“ an Potšišo Phasa. Das visuelle Forschungsprojekt, das 2013 begann, ist ein äußerst fesselndes Buch, das eine inspirierende und intime Perspektive auf menschliches Dasein bietet, das sich in einigen der zwar sichtbaren, aber vergessenen Räume Johannesburgs entfaltet. Das Buch macht auf kreative und anregende Weise Wissen zugänglich, das zwar oft im akademischen Raum vorhanden ist, jedoch in Stadtentwicklungsprozessen und -praktiken verborgen ist. Die visuelle Erzählung spielt in den alten, aber im Wandel begriffenen Minenhalden von Johannesburg und folgt einer Gruppe von Männern, die ihren Lebensunterhalt mit dem „Scavenging“ von Metallschrott verdienen. Der Fotograf stellt die Männer in den Kontext der seltsamen und verzerrten Bergbaulandschaften, in denen sie leben. Künstlerisch reflektiert er ihr Ringen um Erfolg, während sie sich in diesen unsicheren Räumen bewegen, um Metallscherben auszugraben – die für einen Hungerlohn an Schrottplätze im nahegelegenen zentralen Geschäftsviertel verkauft werden. Letztlich schildert die Geschichte die Funktionsweise einer unsichtbaren, aber lebendigen Wirtschaft auf den Minenhalden der Provinz Gauteng – scheinbar tote Orte, die normalerweise als bloße Müllhalden übersehen werden. Das Buch, das Teil eines umfassenden Werkkomplexes des Autors und Fotografen ist, zu denen auch Fotodrucke und eine Reihe von kurzen Experimentalfilmen gehören, bringt die Vorstellung von der Stadt als einem lebenden Organismus zum Ausdruck, der auf verschiedenen Ebenen wächst und schrumpft, sich Herausforderungen stellt und auf komplexe Weise in eigenwillige Beziehungen zu seinen Bewohnern verwickelt ist. Durch seine Poesie und Bildsprache stellt A CITY ON A HILL Johannesburg als ein Modell für die afrikanische Stadt dar: ein Raum, der vor Hoffnung sprudelt und doch von einer ungerechten rassischen und wirtschaftlichen Vergangenheit verfolgt wird, die die Gegenwart verkompliziert, während sie versucht, ihre eigene Identität in einer sich schnell verändernden Welt neu zu definieren. Dies wird anhand von Themen wie Liebe, Spiritualität,Migration , städtische Verwaltung, schwarzer Lebensunterhalt und der Vorstellung von Arbeit erforscht. „A City on a Hill“ ist eine zutiefst fesselnde, geniale und mitfühlende Reflexion über die gegenwärtigen Schmerzen und vergangenen Errungenschaften der afrikanischen Städte.
A friend in a fight (links) + Cleaving (rechts), alle Arbeiten: © Potšišo Phasa, Courtesy EIGER FOUNDATION
Tom Huber
Ebenfalls einen zweiter Platz vergab die Juy für Nguecokh von Tom Huber. Der Fotograf und der Designer Christof Nüssli reisen in das kleine senegalesische Dorf Nguecokh im Flussdelta des Saloum, etwa 200 Kilometer südlich von Dakar. Sie kehren zurück mit Porträts voller mystischer und poetischer Schönheit, einer seltenen Vision des ländlichen westafrikanischen Lebens in einer abgelegenen subsaharischen Siedlung – und vielen Fragen. Monatelang tauschen Huber und Nüssli Sprachnachrichten mit ihrem Gastgeber Mamadou, dem Dorflehrer, aus. Sie diskutieren über Klimawandel, Polygamie und Religion. Mamdou beschreibt die Herausforderungen im Bildungs- und Gesundheitssystem, erzählt alte Volksmärchen von Bäumen und Wäldern und zeichnet Nguecokhs Weg in die Zukunft auf.
Alle Arbeiten: © Tom Huber / Christoph Nüssli, Courtesy EIGER FOUNDATION
Michele Sibiloni
Den dritten 2. Platz gewann Michele Sibiloni für sein Buch Nsenene, eine Delikatesse und eine wichtige Einnahmequelle in Uganda. Technisch gesehen handelt es sich um Buschgrillen, die im Allgemeinen als Heuschrecken bezeichnet werden. Die Nsenene wandern zweimal im Jahr in Massen, direkt nach den beiden Regenzeiten. Riesige Schwärme füllen den Himmel kurz vor Sonnenaufgang. Deshalb bleiben viele Ugander während der Grillenzeit Nacht für Nacht bis zum Morgengrauen auf, um die Tiere zu fangen. Die Allgegenwart der grünlich schimmernden Insekten inmitten des nächtlichen Nebels und des Rauches der Lagerfeuer taucht das ganze Land in eine unheimliche Atmosphäre, die durch die bizarren Utensilien, vor allem die phantasievoll gestalteten Werkzeuge und Fallen, noch verstärkt wird. Hektische Betriebsamkeit wechselt sich mit langen Wartezeiten und Zeitvertreib ab. Aufgrund ihres hohen Proteingehalts sind die Nsenene eine vielversprechende Nahrungsquelle für die Zukunft, so die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die darauf hinweist, dass der Welthunger verringert und die Ernährungssicherheit verbessert werden könnte, wenn mehr Menschen essbare Insekten in ihren Speiseplan aufnehmen würden. Die Abholzung der Wälder hat jedoch in den letzten Jahren die Populationen wandernder Insekten dezimiert, sodass einige Grillenarten inzwischen vom Aussterben bedroht sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Regenfälle in Afrika aufgrund des Klimawandels immer weniger vorhersehbar sind und die Grillenernte völlig vom Timing abhängt.
Der italienische Fotograf Michele Sibiloni hat die ugandische Grillenernte, eine Tätigkeit auf dem schmalen Grat zwischen Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Modernisierung, in einer sehr atmosphärischen Bildsprache festgehalten. Seine unmittelbaren filmischen Sequenzen sprechen Bände, nicht nur über die ugandische Situation, sondern auch über die Zukunftsaussichten für unseren Planeten insgesamt.
Blick ins Buch Nsenene von Michele Sibiloni, © Michele Sibiloni, Courtesy EIGER FOUNDATION
EIGER FOUNDATION
Die in Genf ansässige EIGER FOUNDATION arbeitet eng mit dem Inside Out Centre for the Arts in Johannesburg, Südafrika zusammen. Ihr Ziel ist es, die afrikanische Fotografie sowie andere Kunstformen durch Ausstellungen, Bildungsprogramme, Wettbewerbe und kreativen Austausch zu fördern. Seit ihrer Gründung im Jahr 2012 setzt sich die EIGER FOUNDATION dafür ein, Fotografie als wichtige Kunstform innerhalb und außerhalb von Afrika zu fördern. „EIGER steht für Qualität und inspirierende Fotografie und ist weitaus mehr als nur ein weiterer Kunstpreis“, so der Managing Director Leonard O´Brien. „EIGER ist vielmehr eine Entdeckungsreise, Inspiration und Dialog und darauf ausgerichtet, sich für die zukünftigen Generationen einzusetzen.“ Neben dem EIGER FOUNDATION African Photobook of the Year Award sind auch noch ein Scholarship, eine Reihe von Vorträgen und Ausstellungen als auch die EIGER Sammlung in Vorbereitung.