Am 30. Juni ist offizieller Kinostart von „Dear Memories – eine Reise mit Magnum Fotograf Thomas Hoepker“. ProfiFoto sprach mit Regisseur Nahuel Lopez über seinen Film und den legendären Magnum Fotografen.
Im Jahr 2017 erhielt der Fotograf Thomas Hoepker, heute 85 Jahre alt, die Diagnose Alzheimer. Ein Schicksalsschlag, dem er sich jedoch bewusst entgegenstellen will, mit viel Humor und Arbeitseifer. Sein letzter großer Traum: Ein Roadtrip durch die USA gemeinsam mit seiner Ehefrau Christine. Noch einmal wollen sie sich gemeinsam auf eine große Reise begeben, eine Neuauflage jener Reise, die Anfang der 1960er Jahre sein internationales Renommee als Fotograf begründet hat. Heartland nannte er diesen Roadtrip durch die USA. Noch einmal will Thomas Hoepker dabei mit seiner Kamera das Herz der Vereinigten Staaten ergründen, das Land, das seit über 40 Jahren seine Wahlheimat ist. Regisseur Nahuel Lopez hat daraus einen Roadmovie gemacht.
ProfiFoto: Nahuel Lopez, Ihr Film ist Künstlerporträt, Roadmovie, Alzheimer-Geschichte, und mit den Themen Corona und US-Wahl auch noch Zeitgeschichte: Womit hat das Projekt für Sie angefangen?
Nahuel Lopez: Eigentlich entsteht jedes Projekt aus meiner Biografie heraus. Ich fotografiere selbst sehr gerne und fühle mich auch als Filmemacher der Fotografie sehr nahe. Die Magnum-Fotografen waren für mich immer schon absolute Spitze, vor allem im Bereich des Fotojournalismus. 2007 habe ich in Hamburg die weltweit getourte, große Hoepker-Retrospektive besucht und dort seine Bilder zum ersten Mal in wirklich großen Formaten gesehen. Das hat mich sehr beeindruckt, weil diese Fotos sehr vielschichtig erzählen. Darum habe ich Thomas Hoepker gefragt, ob er sich vorstellen könnte, mit mir einen Film zu drehen, bekam aber zunächst eine Absage. Als er drei Wochen später dann doch bereit war, mich zu treffen, wurde klar, dass die Bedenken seiner Alzheimer-Krankheit geschuldet waren, die damals noch nicht öffentlich war und die man in so einen Film natürlich einbeziehen müsste. Einen Alzheimer-Film wollte ich eigentlich nicht machen, fand dann aber, dass die Erinnerung der Fotografie als Meta-Ebene bereits innewohnt. Hoepkers Fotografien sind sozusagen die ausgelagerten Erinnerungen, die er selber jetzt mehr und mehr verliert. Vor allem sollte es immer ein Film über ihn und seine Fotografien werden.
ProfiFoto: Was begeistert Sie besonders gerade an Hoepkers Fotografien?
Nahuel Lopez: Seit ich die große Retrospektive gesehen hatte, ist er mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Was ich so besonders mag, ist, dass seine ganze Arbeit so unprätentiös und gleichzeitig so wunderschön und tief ist. Sie erzählt so viel, auf eine Weise, die mich immer wieder bewegt, wenn ich seine Fotos sehe. Man spürt, dass er nicht im Großformat 4 mal 5 Meter denkt. Zunächst hat er sehr schöne Schwarzweiß-Bilder gemacht, aber auch sehr früh Farbfotografie und später auch das Digitale ausprobiert. Er war immer auch ein technischer Pionier, hatte keine Angst vor Neuerungen. Und er gehört zu dieser kleinen Gruppe von Fotografen, die humanistisch an ihre Arbeit herangehen, die sehr bewusst ihre Themen gesucht und Menschen an den Rändern der Gesellschaft porträtiert haben.
ProfiFoto: Stand die strukturelle Verzahnung von Roadtrip und Lebenswerk von Anfang an fest?
Nahuel Lopez: Ohne einem Kollegen zu nahe treten zu wollen, finde ich die meisten Filmporträts von Fotografen ein bisschen vorhersehbar. Originelle Beispiele, wie War Photographer über James Nachtwey oder Das Salz der Erde von Wim Wenders über Sebastião Salgado sind selten. Darum fragte ich Thomas und seine Frau, ob es denn noch ein Projekt gibt, das er gern verwirklichen würde, worauf er meinte, es würde ihn reizen, noch einmal fotografierend durch die USA zu reisen. Diese Idee fand ich sofort bestechend, weil sie auf seine Heartland-Tour 1963 anspielt, also den Moment, in dem er die Weltbühne der Fotografie betreten hat. Dadurch ergab sich eine Klammer um sein fotografisches Gesamtwerk.
ProfiFoto: Nach zwei Dokumentationen über Musiker folgt jetzt eine über einen Fotografen: Was verändert sich dadurch? Tritt der Filmemacher mit seiner Kamera in eine Art Konkurrenz oder zumindest in ein Spannungsverhältnis zum Fotografen mit seiner Kamera?
Nahuel Lopez: Natürlich ist das ein Thema, wenn man so einem Jahrhundert-Fotografen begegnet, der unglaubliche Bilder gemacht hat, die einen ein ganzes Leben begleitet haben. Da denkt man sich schon, dass man da erst mal rankommen muss. Aber Thomas ist ein so warmherziger, zuvorkommender, fast schon schüchterner Mensch, ohne jegliche Arroganz, dass sich solche Gedanken in seiner Gegenwart sofort auflösen. Er hatte auch große Lust, zusammen loszuziehen und zu fotografieren, was natürlich ein enormes Privileg war. Konkurrenz gab es da keine.
ProfiFoto: Haben denn seine Fotografien unterschwellig auch den filmischen Stil des Films beeinflusst?
Nahuel Lopez: Das kann ich rückblickend gar nicht genau beurteilen. Film läuft ja durch viele Filter: der Autor, der das Exposé schreibt, sich Fotobände anschaut und versucht, Parallelen herzustellen. Der Kameramann, der auf dem Roadtrip gefilmt hat und die Bilder durch sein Auge und seine Kameraführung prägt. Schließlich der Schnitt, in dem man entscheidet, an welchem Punkt man in eine Szene reingeht und wieder raus. Aber natürlich haben wir vorher seine Bildbände angeschaut, uns rein visuell in die Materie sehr stark eingearbeitet, mit Sicherheit ist da etwas hängengeblieben.
ProfiFoto: Vieles, was Hoepker über seine Art der Fotografie sagt, lässt sich gerade auf den Dokumentarfilm übertragen. War das also vielleicht mehr als sonst auch eine Reflexion über Ihre eigene Arbeit?
Nahuel Lopez: Eine gute Frage, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Tatsächlich lässt sich da Vieles von dem was er über seine Arbeit sagt übertragen. Beispielsweise wenn er über Erinnerung spricht. In der Fotografie wie im Film geht es um Dinge, die durch Bilder bewahrt werden, was ich sehr reizvoll finde.
ProfiFoto: Teilen Sie Hoepkers Misstrauen der Schönheit gegenüber?
Nahuel Lopez: Eigentlich mag ich Schönheit sehr gern, aber vielleicht ist mein Begriff von Schönheit auch ein anderer als bei den meisten Menschen. Schön ist für mich nicht unbedingt der Sonnenuntergang, schön kann für mich auch eine graue Straße sein. Schön ist für mich etwas, das interessant ist. Hoepker hat ja nie nur Schönheit fotografiert. Nehmen wir das Bild mit den Leuten unter dieser Bruce-Lee- Plakatwand irgendwo in Burma, das ist ja kein objektiv schönes, aber ein sehr interessantes Bild, mit einer tieferen Wahrheit. Das hat ja immer auch mit dem Kontext zu tun, der einem Bild-Tiefe und Größe und dadurch auch Schönheit verleiht.
ProfiFoto: Hoepker sagt auch, ein Foto müsse eine gute Geschichte erzählen oder einen wichtigen Gedanken formulieren…
Nahuel Lopez: Das hat mich am Fotojournalismus immer besonders gereizt: Es geht weniger um Einzelbilder, als um Bildgeschichten. Darum hat Hoepker sich ja auch immer dagegen gewehrt, seine Bilder auf einer Galeriewand zu zeigen, was jetzt natürlich passiert. Sein Anspruch war immer, wahrhaftige Geschichten zu erzählen. Und das kommt ja gerade dem Dokumentarfilm sehr nahe.
ProfiFoto: Durch Alzheimer kommt ja Hoepkers Frau eine besondere Rolle zu. Haben Sie sich über Fragen abgesprochen?
Nahuel Lopez: Das nicht, aber ich habe natürlich reingefragt, und sie hat sehr dabei geholfen, Dinge aus ihm herauszulocken. Zugute kam uns dabei auch, dass sie selber Dokumentarfilmerin war. Sie weiß, wie so ein Film entsteht, welche Themen man ansprechen muss.
ProfiFoto: Als Dokumentarfilmer sammelt man auch Zeitdokumente ein, in diesem Fall das Wahlergebnis 2020 und die Pandemie: War das bewusst eingeplant, oder ist es passiert?
Nahuel Lopez: Geplant war der Trip eigentlich im März 2020, also in dem Monat, in dem Corona kam und alles geschlossen wurde. Insofern hat sich der historische Kontext eingeschlichen, parallel zu Hoepkers Heartland Roadtrip. Wir hatten großes Glück, überhaupt eine Einreisegenehmigung zu bekommen, zur Hochphase der Pandemie in den USA und gleichzeitig im Präsidentschaftswahlkampf. Das war Fluch und Segen zugleich: Zum einen fand diese Reise plötzlich in einem historischen Kontext statt, den er in seiner Fotografie ja immer gesucht hat. Zum anderen waren zwischenmenschliche Begegnungen, die einen solchen Roadtrip eigentlich auszeichnen, rar gesät.
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